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Neue ARD-Serie "Über Barbarossaplatz"
"Und nach dem letzten Bild war Stille"

"Über Barbarossaplatz" heißt der Pilot für eine neue TV-Serie von Jan Bonny in der ARD. Von der Kritik bereits als innovativste Fernseherzählung seit Jahren gefeiert, steht die Fortsetzung jetzt wieder in den Sternen. Es wäre eine vertane Chance, meint Joachim Król, einer der beiden Hauptdarsteller, im DLF.

Joachim Król im Corsogespräch mit Tanja Runow |
    Der Schauspieler Joachim Król zu Gast im Funkhaus Köln.
    Der Schauspieler Joachim Król zu Gast im Funkhaus Köln. (Deutschlandradio / Kerstin Janse)
    Tanja Runow: Der Regisseur Jan Bonny hat sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht als jemand, der recht überzeugend den Spagat hinbekommt zwischen filmischen Gebrauchsformen und Filmkunst. Er hat Werbespots gedreht, ein großartiges Musikvideo für Olli Schulz, einen preisgekrönten Spielfilm und einen legendären Polizeiruf mit Matthias Brandt und Lars Eidinger. Und ab und zu sieht man seine Werke im Museum. Umso größer war die Aufregung als es hieß, er macht was Neues, für die ARD. Und zwar gleich eine Serie. Der Pilot mit dem Titel "Über Barbarossaplatz" sollte in der Prime Time laufen, auf dem Mittwochsfilmplatz. Wurde dann aber auf die Nacht geschoben. Und zwar auf heute Nacht.
    Die Zukunft der Serie steht mit dieser Sendeplatzverschiebung in den Sternen. Warum das eine vertane Chance wäre, darüber habe ich mit Joachim Król gesprochen, der neben Bibiana Beglau eine der beiden Hauptrollen spielt. In dieser Geschichte rund um eine psychotherapeutische Praxis am Kölner Barbarossaplatz ist er ihr erfahrener Kollege. Und zuerst habe ich Joachim Król gefragt, was ihn denn eigentlich für dieses Projekt eingenommen hat, das Drehbuch von Hannah Hollinger oder die Aussicht auf eine Zusammenarbeit mit Jan Bonny?
    Joachim Król: Eigentlich war es das Interesse an Jan Bonny. Weil: Ich kannte seine beiden anderen 90 Minüter bereits, die mich sehr gepackt hatten, die beiden Filme mit Matthias Brandt. Und da dachte ich, oh, das ist eine gute Chance, einen Regisseur kennenzulernen, der auf dem Weg ist, der besondere Sachen macht. Dann habe ich das Buch bekommen, und ich fand das eine wunderbare Geschichte, tolle Figuren, gut auserzählt. Dann kam wieder Jan dazu mit der Idee, das Ganze mitten in die Stadt zu knallen hier in Köln, da einen sehr heutigen, schroffen, Köln-Film daraus zu machen. Und diese Gemengelage hat mich dann völlig dafür eingenommen.
    Runow: Als Sie dann dieses Drehbuch gelesen haben, konnten Sie sich vorstellen, dass dieser Film jemals um 20:15 Uhr in der ARD läuft? Er war ja zunächst angekündigt für den Mittwochsfilmplatz im Ersten.
    Król: Die Vorlage von Frau Hollinger wäre wahrscheinlich ohne den Einfluss von Jan Bonny 20:15 Uhr kompatibel gewesen, denke ich mir schon. Man kann die Geschichte auch ganz anders erzählen, dass sie dahin passt. Aber das war nicht das, was Jan Bonny interessiert hat.
    "Aktueller, heutiger Film"
    Runow: Wie diese Geschichte jetzt läuft, das ist keine leichte Kost. Es gibt sehr viele, sehr einsame, isolierte Menschen in diesem Film. Es gibt harten, traurigen Sex, versuchte und geglückte Selbstmorde, Drogen, Flucht in den Exzess. Also es ist nicht der klassische Feelgoodmovie geworden.
    Król: Nein. Es ist ein aktueller Film, heutiger Film. Ich finde, wenn man links und rechts schaut, die Leute, die einen so im Alltag umgeben, oh mein Gott, ich sehe da viele, die es schwer haben, die beschädigt sind, die bemüht sind, über Wasser zu bleiben. Also nein, ein Feelgoodmovie ist das sicher nicht. Aber es ist garantiert ein Film, der einen fesselt, der einen nicht loslässt. Bei allem, was sie tun, sind das meiner Meinung nach liebenswerte Menschen, die ihr Bestes tun.
    Runow: Und es endet auch nicht ganz traurig.
    Król: Eben.
    Runow: Dürfen wir sagen.
    Król: Ja.
    Runow: Es ist ein bisschen Spoiler, aber vielleicht ermutigt das den ein oder anderen, es durchzustehen. An der Stelle müssen wir aber vielleicht nochmal zwei Sätze zur Handlung sagen. Dreh- und Angelpunkt ist eine psychotherapeutische Praxis an diesem Kölner Barbarossaplatz. Die wird von einem Ehepaar gemeinsam betrieben. Der Mann bringt sich um, bevor der Film einsetzt. Und eine ehemalige Patientin des Mannes, mit der er wohl auch ein Verhältnis hatte, die möchte jetzt gerne von seiner Frau Greta weiterbehandelt werden. Und diese Patientin - das wird schnell klar - ist ein ganz schön kniffliger Fall. Vielleicht sogar ein hoffnungsloser Fall?
    Król: Gibt es nicht.
    Runow: Das sagen Sie als Psychotherapeut, der Sie geworden sind, wahrscheinlich, im Laufe der Dreharbeiten.
    Król: Ja. Aber meine Aufgabe als Schauspieler war ja in dem Fall nicht, mir so einen komplexen psychotherapeutischen Hintergrund zu erarbeiten. Meine Aufgabe war ja eher das Beziehungsgeflecht der handelnden Figuren zusammenzuhalten.
    Ruhepol im Narrenkäfig
    Runow: Ich habe Sie auch so ein bisschen als Ruhepol inmitten dieser ganzen Suchbewegung und dieser Intensität und Schnelligkeit dieses Films empfunden.
    Król: Ganz genau. Ich denke auch, dass der in diesem Käfig voller Narren derjenige ist, der noch am wenigsten beschädigt ist.
    Runow: Obwohl er sein Päckchen zu tragen hat.
    Król: Ja. Aber er geht damit gelassener um. Die anderen treibt doch eine gewisse Hysterie um.
    Wir haben noch länger mit Joachim Król gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Runow: Ein Kritiker hat vorab geschrieben: "Joachim Król ist die Vaterfigur in diesem Film." Und der meint, glaube ich, nicht nur damit die Vaterfigur für Greta, die Therapeutin, sondern auch die Vaterfigur für das vielleicht ein bisschen überrumpelte Fernsehpublikum, das bei dieser experimentellen Anmutung des Films vielleicht ein vertrautes Gesicht braucht und eine Figur, an der es sich so ein bisschen festhalten kann. Kann ich nachvollziehen. Sie auch?
    Król: Kann ich gut mit leben mit diesem Gedanken. Jaja. Das ist eine gute dramaturgische Idee dann.
    "Es war eine neue Erfahrung"
    Runow: Beim Münchener Filmfest zum Beispiel wurde "Über Barbarossaplatz" als eins der mutigsten und innovativsten Projekte seit Jahren angekündigt. Da sind sicher die gesellschaftlichen Tabus gemeint, die der Film anspricht. Aber eben auch diese besondere Ästhetik, vielleicht Handkamera, vielleicht die Jump Cuts, die Rolle der Geräusche, die treibende Musik. Was würden Sie denn sagen? Was macht diesen Film so besonders oder eben auch innovativ?
    Król: Jan Bonny arbeitet anders als ich es bislang kennengelernt habe. Es war eine neue Erfahrung. Er sagte mir zum Beispiel, im Vergleich zu Bibliana Beglau: "Joachim, du kommst ans Set, du hast eine klare Vorstellung von deiner Figur, du machst ein Angebot, es ist immer brauchbar, kann man so machen. Muss man aber nicht. Man kann drüber reden, dann verändert man was, und so." Aber mich interessieren eigentlich weniger die kompletten, auserzählten Figuren. Mich interessieren in diesem Fall unsere Zusammenarbeit, die gerade gelebte Situation. Und dann macht er relativ verrückte Regieanweisungen, dass er sagte: "Jetzt spiel die Szene mal so, als hättest du gar keine Lust, dich mit deinem gegenüber zu unterhalten." Oder: "Spiel die Szene mal so, als müsstest du in drei Minuten weg sein" und, und, und. Oder: "Spiel die mal so, als wärst du gerade unfassbar müde." Und dann sagt, dann denkt man sich, wie willst du denn das irgendwann mal zusammenschneiden? Aber er befreit einen davon und dann spielt man plötzlich. Man spielt eine Szene vielleicht sieben Mal ganz verschieden. Vielleicht ist das auch etwas, was die Montage dann beeinflusst, ja, und die Erscheinungsform des Films. Aber ich habe das als Schauspieler sehr genossen.
    Runow: Es hat auch so ein bisschen was dokumentarfilmhaftes an vielen Stellen. Ich weiß nicht, wie das zustande kommt. Entweder durch die Handkamera, durch die Tonaufnahmen?
    Król: Ja, sicherlich. Das ist dann aber Kameraarbeit, die der Regisseur ... - also ich frage nie, welchen Bildausschnitt der Kameramann jetzt wählt. Das sind dann die Überraschungen, die man bekommt, wenn der Film am Ende fertig ist.
    "Ich war beeindruckt"
    Runow: Ja. Wie war das denn, als der Film fertig war und Sie ihn zum ersten Mal gesehen haben?
    Król: Ich war platt, muss ich ganz ehrlich sagen. Wir waren im WDR, in diesem wunderbaren Vorführraum, in dem Filmgeschichte präsentiert wurde, wo schon Rainer Werner Fassbinder gearbeitet hat. Und da haben wir eine Teamvorführung gehabt. Und nach dem letzten Bild war Stille. Also ich musste auch schlucken und ich musste eine Weile alleine sein. Also ich glaube, dem Jan Bonny ist da was Besonderes gelungen. Man muss sich drauf einlassen, man muss sich fesseln lassen, und ich war beeindruckt. Die hatten unfassbar viel Material, der Cutter hat da Tage und Nächte verbracht in der Dunkelheit. Ja und irgendwann ist es dann fertig und ich bin stolz auf den Film.
    Runow: Ja, dann bleiben wir gespannt. "Über Barbarossaplatz" ist heute Abend im Ersten zu sehen um 22.45 Uhr und ab morgen dann auch zu einer Arbeitnehmer-freundlicheren Zeit Ihrer Wahl: in der ARD-Mediathek. Herzlichen Dank für den Besuch im Studio, Joachim Król.
    Król: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.