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Neue Berufe
"Bedürfnisse der Betriebe in Ausbildung aufnehmen"

Jedes Jahr entstehen in Deutschland neue Berufe und andere verschwinden dafür. Das liege vor allem an den technischen Neuerungen und den veränderten Bedürfnissen der Unternehmen, sagte Berufsbildungs-Expertin Irmgard Frank im DLF. Von den zahlreichen Berufen, die es in Deutschland gebe, würden allerdings nur die wenigsten wirklich ausgeübt.

Irmgard Frank im Gespräch mit Kate Maleike |
    Lehrling und Meister in der Werkstatt.
    Lehrling und Meister in der Werkstatt: Obwohl es mehr als 200 Berufe in Deutschland gibt, sind nur circa 10 wirklich begehrt. (picture alliance / dpa/ Sebastian Kahnert)
    Kate Maleike: Fachkraft für Speiseeisherstellung, das wollen in Deutschland offenbar nur wenig junge Leute werden, das haben wir gerade im Beitrag mit Beispielen aus Baden-Württemberg ja gehört. Nur etwa 50 Azubis gibt es bundesweit pro Jahr, und damit reiht sich dieser Ausbildungsberuf ein in die große Zahl von handwerklichen Berufen, die Nachwuchs suchen: Bäcker, Metzger, Optiker. Das wollen viele junge Leute nicht mehr werden, stattdessen geht es eher in den kaufmännischen Bereich oder in Banken und Versicherung. Um bestimmte Berufsausbildungen moderner und attraktiver zu gestalten, werden sie reformiert, und es gibt zu jedem Ausbildungsjahr sogenannte neue Berufe. Wer aber entscheidet, wann und wie eine Ausbildung modernisiert wird und wann ein neuer Beruf sozusagen auf den Markt kommt, darüber möchte ich jetzt sprechen mit Irmgard Frank – sie leitet die Abteilung Struktur und Ordnung in der Berufsausbildung beim Bundesinstitut für Berufsbildung. Hallo, Frau Frank!
    Irmgard Frank: Guten Tag, Frau Maleike!
    Maleike: Wer entscheidet denn nun, wann es eine neue Ausbildung gibt oder wann eine Ausbildung reformiert wird?
    Frank: Es gibt mehrere Wege, aber in Ihrem Beispiel wurde schon wunderbar darauf hingewiesen, dass dieser große italienische Eisverband die Maßgabe ausgegeben hat, mit einer Neuordnung eines Berufes gibt es so und so viele Auszubildende, die dann anschließend diesen Beruf auswählen werden. Das ist eine der wesentlichen Merkmale, wie Berufe zustande kommen. Das heißt, wenn Verbände, Institutionen, die Arbeitgeberverbände, aber auch Gewerkschaften an die Ministerien herantreten mit dem Hinweis, in diesem Berufsfeld ist ein neuer Beruf zu schaffen oder ein bestehender Beruf zu modernisieren auf Grundlage von Veränderungen, dann finden Gespräche statt, die darin münden können, dass ein neues Berufsbild entwickelt wird. Das ist der grundsätzliche Weg. Man kann – und das ist in dem Beispiel angesprochen worden –, wenn wir Berufe in Erprobung erlassen, führt das häufig dazu, dass man sich nach einiger Zeit anschaut, wie kommt dieser Beruf in der Praxis an, sind die Inhalte, die in diesen Berufsbildern angesiedelt sind, hinreichend, ist es auszuweiten, wie gehen die Jugendlichen damit um, sind sie zufrieden. Diese Ergebnisse können dann auch die Grundlage sein für eine Neuordnung beziehungsweise für eine Modernisierung eines dann bestehenden Berufes.
    Maleike: Das heißt, es könnte rein theoretisch auch jetzt sein, wenn der Bedarf gar nicht so da ist, wie er ursprünglich aus der Wirtschaft, aus den Verbänden beschrieben wurde, dass man den Beruf wieder einstellt?
    Frank: Das ist relativ unwahrscheinlich. Es ist natürlich so, wenn Sie auch vorhin darauf hingewiesen haben, dass nur sehr wenig Auszubildende diesen Beruf ergreifen, dann ist das die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist natürlich, wenn Berufe entwickelt und verabschiedet werden, dann haben die Unternehmen, die dann die Ausbildung anbieten, die Pflicht, auch dafür zu werben. Das heißt, wir arbeiten grundsätzlich in dem Bereich der Berufsausbildung so, dass wir die Bedürfnisse der betrieblichen Praxis – nicht nur das, was heute anfällt, sondern auch, was zukünftig sein wird – aufbauen, aufnehmen und das einfließen lassen in die Entwicklung von neuen Berufen oder in die Modernisierung bestehender Berufe.
    Maleike: Wie lange dauert denn sowas? Das klingt nach einem langen Prozess.
    Frank: Neun Monate.
    Maleike: Neun Monate.
    Frank: Ja.
    Traditionelle Handwerksberufe immer unbeliebter
    Maleike: In diesem Jahr steht auf der Liste der neuen Berufe oder modernisierten Ausbildungsberufe zum Beispiel der Holzmechaniker, aber auch der Kerzenhersteller und Wachsbildner und der Werksteinhersteller. Was verbirgt sich dahinter, zum Beispiel, sagen wir mal hinter dem Kerzenhersteller – warum braucht man dafür einen neuen Ausbildungsberuf?
    Frank: Ganz kurz: Es ist ein sehr traditioneller Beruf, und Sie haben vorhin schon darauf hingewiesen, dass wir natürlich auch im handwerklichen Bereich, aber nicht nur da, Berufe haben, die sehr wenig Ausbildungsplätze haben, aber Sie haben gleichzeitig ja ein hohes Kulturgut, was damit verbunden ist, und dieser Kerzenhersteller – die Veränderungen bestehen darin, dass man hier festgestellt hat, dass neue Technologien, neue Kundenanforderungen Eingang finden sollen in diese neue Ordnung, in dieses neue Berufsbild. Das findet dann statt. Man kann grundsätzlich sagen, dass wenn wir bestehende Berufe modernisieren, ist im Allgemeinen die Veränderung auf der einen Seite bezogen auf stärkere Kundenorientierung, also Umgang mit Kunden, und gleichzeitig technologische Veränderungen, die ganz unterschiedlich ausfallen können.
    Maleike: Ich frage das deswegen noch mal so dezidiert nach, Frau Frank, weil Sie ja auch wissen, dass – ähnlich wie beim Angebot an den Hochschulen, wo ja auch die Bachelorstudiengänge wie die Pilze aus den Boden sprießen – sich immer auch rund um die duale Ausbildung die Frage rangt, brauchen wir eigentlich so viele Berufe? Wir haben derzeit, wenn ich da richtig informiert bin, etwa 250. Wir wissen aber, dass die jungen Leute sich meistens für die zehn Beliebtesten sozusagen entscheiden. Also ein Drittel geht in den kaufmännischen Versicherungs-, sagen wir mal, Bürobereich. Muss da nicht auch umgedacht werden?
    Frank: Sie können sich vorstellen, dass wir diese Diskussion ständig führen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Wir haben eine Diskussion schon seit vielen Jahren über die Bildung von sogenannten Berufsgruppen, wo man verwandte Berufe zusammenlegen kann, und diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen. Aber wenn man mal sich anschaut, als das Bundesinstitut für Berufsbildung 1970 gegründet wurde und die seinerzeitigen Berufe, die es gab, übernommen hat, wenn Sie so wollen, dann hat man ungefähr um die 600. Jetzt haben wir noch 328 Ausbildungsberufe. Man kann darüber streiten, aber es gibt dazu auch in den Unternehmen ganz unterschiedliche Auffassungen. Jeder Beruf, der mit einem anderen Beruf zusammengelegt wird, besteht immer die Diskussion darin, inwieweit dann die Profile dieser jeweiligen Berufe noch aufrechterhalten werden können. Man muss einfach sagen, dass wir in Deutschland ein Berufsbildungssystem haben, was sehr alt ist, was sehr traditionell zum Teil ist und wo es lange ... wo Sie dicke Bretter bohren müssen, um gegebenenfalls solche Diskussionen weiterzuführen und dazu zu kommen, dass man vielleicht die Anzahl der Berufe noch mal reduziert.
    Maleike: Wie entstehen neue Ausbildungsberufe und wann werden sie warum modernisiert. Das waren Informationen von Irmgard Frank vom Bundesinstitut für Berufsbildung. Danke schön!
    Frank: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.