Martin Zagatta: In London sind wir jetzt mit dem britischen Journalisten Peter Bild verbunden. Die große Überraschung: Der umstrittene Boris Johnson wird Außenminister. Herr Bild, ist das jetzt Rache, dass er die Brexit-Suppe jetzt auch mit auslöffeln soll, oder ist das ein höchst geschickter Schachzug?
Peter Bild: Ich glaube, das ist beides. Ein bisschen Rache und jetzt wird ihm gesagt, Du hast es gewollt, vielleicht nicht gewollt, aber Du hast Dich dafür ausgesprochen, nun sollst Du damit fertig werden und mit den Ländern, mit denen wir jetzt eine Distanz haben werden, wenn wir aus der EU austreten. Er ist ein sehr begabter, ein sehr kluger, aber vielleicht nicht ganz seriöser Politiker. Ich kenne ihn eigentlich noch aus seiner Zeit als Journalist. Wie gesagt, sehr, sehr begabt, aber man soll ihn nicht immer zu ernst nehmen. Man meint, er ist eigentlich euroskeptisch, aber kein Europagegner gewesen. Er hat nur Brexit befürwortet, weil er sich damit besser positionieren würde, meinte er, der Nachfolger von Cameron zu werden. Als es dann gelang, war er genauso erschrocken, glaube ich, wie die meisten Briten.
"Das ist eben Boris. Er ist ein Unikum."
Zagatta: Außenminister sollen, so die Jobbeschreibung, in der Regel ja diplomatisch sein. Nun ist Boris Johnson doch das Gegenteil eigentlich von einem Diplomaten. Oder tue ich ihm da unrecht? Wird das nicht sehr schwierig?
Bild: Es wird sicherlich manchmal schwierig. Vieles hat er gesagt, was er dann hat zurücknehmen müssen. Zum Beispiel hat er diese Aussage von Präsident Obama, England würde dann am Ende der Schlange sein, mit einer antikolonialistischen Stimmung seines Vaters, seines kenianischen Vaters begründet, dass der Vater so antibritisch sei und dass das auch im Sohn Obama, im Präsident Obama zu finden war. Das ist wirklich nicht sehr geschickt gewesen, ein bisschen rassistisch und nicht dafür geeignet, eigentlich ein sehr gutes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zu haben. Und vieles andere hat er gesagt, was er dann später bereut hat und wofür er sich mehrmals hat entschuldigen müssen. Aber das ist eben Boris. Er ist ein Unikum.
Zagatta: Was heißt das?
Bild: Es kann sein, dass es ihm gelingt, dann doch eine gute Figur abzugeben. Auch für Theresa May ist das vielleicht keine schlechte Sache, weil er sehr viel im Ausland sein wird und keine Probleme zuhause machen wird.
Zagatta: Aber er ist sehr viel im Ausland. Das heißt, er wird ja dann auch in Brüssel sein. Was heißt das aus Ihrer Sicht? Was glauben Sie, was heißt das für die Verhandlungen mit der EU? Weil in Brüssel ist Boris Johnson ja vielen doch regelrecht verhasst. Macht es das jetzt einfacher, da vielleicht hart zu verhandeln?
Bild: Nein. Er ist ja nicht derjenige, der den Brexit verhandeln soll. Er ist nur Außenminister in dem Sinne. Eigentlich der Brexit-Minister, das wird David Davis sein, auch ein ganz alter Fuchs, ein relativ radikaler Liberaler im sozialen Sinne, ein Politiker, David Davis, der auch kandidiert hat gegen Cameron vor elf oder zwölf Jahren, und es ist ihm damals nicht gelungen. Er ist seitdem kaum in der Regierung gewesen, weil er lieber Hinterbänkler geblieben ist. Er hat sehr liberale Meinungen, vor allem, was den Staat angeht. Er war ein leitender Brexitier und wird jetzt dafür zuständig sein, die Verhandlungen mit Brüssel zu leiten.
"Ich würde sie eher mit Angela Merkel vergleichen"
Zagatta: Das sind, wenn man das jetzt auf die Schnelle sagen kann, relativ mutige Entscheidungen.
Bild: Es sind drei interessante Entscheidungen.
Zagatta: Ist denn Theresa May, wenn man jetzt auf die Premierministerin blicken kann, die wir in Deutschland ja auch noch nicht so richtig einschätzen können, ist das eine mutige Politikerin?
Bild: Ich glaube, das ist eine schlaue, zum Teil auch mutige Politikerin. Sie wird manchmal mit Thatcher verglichen. Ich würde sie eher mit Angela Merkel vergleichen. Sie hat vielleicht etwas strengere moralische Züge als Merkel, die vielleicht sehr viel pragmatischer ist, aber im Grunde ist sie, glaube ich, eine, mit der die Frau Merkel und andere gut verhandeln können. Ich glaube, sie wird etwas langsamer sein und sie wird sich Zeit nehmen. Sie ist etwas seriöser, meine ich, als David Cameron, der ein PR-Mann war, und das ist sie ganz bestimmt nicht.
Zagatta: Sie sagen, sie kann gut verhandeln. Wie ist das aber innenpolitisch? Das Land scheint ja sehr, sehr gespalten jetzt nach diesem Brexit-Votum. Trauen Sie Theresa May jetzt zu, das Land und auch ihre Partei, die ja auch sehr gespalten ist, die Tories, wieder zu einen, wieder zusammenzuführen?
Bild: Ja. Sie hat, glaube ich, in ihrer Eröffnungsrede genau das gemacht. Sie hat das Thema Brexit kaum genannt in dieser Rede in Downing Street. Sie haben schon den Bericht gehört. Um soziale Justiz geht es. Sie hat praktisch ihren politischen Panzer auf dem Rasen der Labour-Partei geparkt und das ist, glaube ich, ein Versuch, das Land wieder zu einigen, indem nicht nur Schottland bleiben soll, aber auch Arme und Reiche sollen geeint werden. Das ist, was man auf Englisch sagen würde, one nation Tory, eine Eine-Nation-Konservative, ein bisschen in der Art von Ludwig Erhard.
"Cameron nimmt sich selbst nicht zu ernst"
Zagatta: Aber das hatte Cameron, wenn ich mich recht erinnere, ja auch versprochen bei seinem Amtsantritt.
Bild: Versprochen, aber dann eigentlich wenig gemacht, vor allem mit dem Finanzminister George Osborne, der eigentlich eine ganz harte Linie mit dem Defizit gefahren ist: Ausgabenkürzungen, um da das Haushaltsdefizit und das gähnende Loch dort zu schließen. Das hat sie von Anfang an einfach abgelehnt und wir werden jetzt sehen, ob wir da nicht eine finanzielle Revolution hier in England bekommen. Es lässt sich noch zeigen, ob sie das wirklich durchhalten kann.
Zagatta: Eines wollte ich Sie auf alle Fälle noch fragen, Herr Bild. Der abgelöste Premierminister Cameron ist ja über den Brexit gestürzt. Er gilt als gescheitert. Wieso ist er im Unterhaus jetzt dennoch mit so viel Beifall verabschiedet worden?
Bild: Der Mann nimmt sich selbst auch nicht zu ernst. Er ist relativ humorvoll, er ist noch jung und sagt, ja okay, ich habe es versucht, ich habe verloren. Okay, mein Pech, aber jetzt gehe ich, und der Nächste, oder die Nächste in diesem Fall soll es besser machen. So ist es manchmal vor allem in der britischen Politik. Bei Thatcher war es natürlich nicht so. Aber manche gehen, nicht, weil sie unbedingt gehen müssen, aber weil sie gehen wollen, und das hat man gemerkt, glaube ich, bei Cameron. Natürlich wird er dann immer geprägt sein als der Mann, der Premierminister, der praktisch Europa verloren hat für die Briten, und das wird ein hartes Erbe sein für ihn.
Zagatta: Der britische Journalist Peter Bild direkt aus London. Herr Bild, herzlichen Dank für Ihre Zeit und für Ihre Einschätzungen.
Bild: Ich bitte Sie!
Zagatta: Danke sehr.
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