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Neue Bühne für Hamburg

Die Schauspielerin Nina Petri und der Regisseur Nils Daniel Finckh haben in Hamburg ein privates Theater gegründet, die "Theaterfabrik". Weder ein Ort der Show, noch ein Ort "erstickender Kulissen", wie die beiden Gründer es formulierten, soll ihr Theater werden, sondern ein Ort der Schauspieler und gespielter Geschichten. Mit einer Bühnenfassung von Lars von Triers Film "Dogville" wurde die "Theaterfabrik" am Sonntagabend eröffnet.

Von Hartmut Krug |
    Erst wollten Schauspielerin Nina Petri und Regisseur Niels Daniel Finck eine leere Fabrikhalle im Hamburger Stadtteil Barmbek in nur drei Monaten zu ihrer Theaterfabrik Hamburg auf- und ausbauen. Doch selbst nach einmonatiger Verschiebung blieb beeindruckend, zu welch besucherfreundlicher Theatertauglichkeit die beiden Theatergründer ihre Fabrikhalle in so kurzer Zeit entwickelten.

    Wozu die nicht weit entfernte, wenn auch wesentlich größere städtische Kampnagel-Kulturfabrik Jahre gebraucht hat, gelang dieser leidenschaftlichen privaten Theaterinitiative in nur vier Monaten. Die Theaterfabrik Hamburg ist ein riesiger schwarzer Kasten für immerhin 400 Zuschauer, die auf flach ansteigenden Sitzreihen vor ebenerdiger Bühne Platz finden. Diese riesige Blackbox spielt weder mit einer Industrieaura noch gibt es eine Klinkersteinatmosphäre.

    Es ist kein einfacher Theaterraum, denn er verlangt großformatiges Theater. Das natürlich bei einem selbstfinanzierten, privaten Theater nicht mit großem ausstatterischen Aufwand aufwarten kann, sondern das vor allem auf Text und Ton, auf Körpersprache und schauspielerische Raumbeherrschung setzen muss.

    Mit Christian Lollikes szenischer Einrichtung von Lars von Triers "Dogville" wählte man zum Auftakt eine Vorlage, die von ihrer filmischen Theater-Versuchsanordung in eine genuin eigene Bühnenform übertragen werden muss. Volker Lösch hat bei der deutschsprachigen Erstaufführung von "Dogville" im Staatstheater Stuttgart die vielköpfige Dorfgemeinschaft auf enger Spielfläche zu chorischer Interaktion angehalten. In Hamburg verteilt Regisseur Niels Daniel Finckh die Schauspielerschar nebst ihrer Musikinstrumente zu folkloristisch unzusammenhängender Buntheit in der Weite des Raumes.

    Ein Erzähler sitzt am Bühnenrand und holpert als falsch betonender Märchenonkel durch die Geschichte, während die Schauspieler lange Gänge auf leerer, nur mit schäbigen Obstkisten bestückter Spielfläche machen müssen. Regisseur und Ensemble haben vor allem im ersten Teil der Aufführung große Probleme mit der Weite und der Akustik des Raumes. Benno Fürmann als Tom, der seinem Dorf "Dogville" den menschlichen Zusammenhang zwischen Geben und Nehmen im Experiment mit der vor ihrem mächtigen, kriminellen Vater geflüchteten Grace verdeutlichen will, hält sich als moralisierender Theoretiker schauspielerisch und akustisch so sehr zurück, wie man es bei filmischen Großaufnahmen sicher tun muss. Auf der riesigen Bühne der Theaterfabrik aber nimmt Fürmanns "Unterspielen" seiner Figur alle Intensität und jede Wirkung.

    Wo Fürmann undeutlich und beiläufig wird, da ist Judith Rosmair kraftvoll und sinnlich. Sie gibt die Grace als eine Frau, die an die Menschen glaubt. Sie hilft ganz selbstverständlich, weil sie Asyl gefunden hat. Aus christlicher Gehorsamkeitsethik wird sie dann zum Opfer. Auch wenn die Darstellungen der vielen Vergewaltigungen, die Grace erdulden muss, wenn das Mitleid mit der Fremden zum Hass auf diese wird und das Experiment böse scheitert, immer hart an der Grenze zur unfreiwilligen Komik entlang schlittern, vermag Judith Rosmair die Entwicklung der Grace von der christlichen Opferfigur über die eines Sündenbocks zu der eines Racheengels so selbstverständlich wie sinnlich zu beglaubigen.

    Während Erdal Yildiz mit kraftvoller Überdeutlichkeit einen Obstbauern Chuck gibt, der seine emotionalen Minderwertigkeitsgefühle mit sexueller Gewalttätigkeit zu kompensieren sucht, zeigt Naomi Krauss in der Rolle seiner Frau, wie rigide Lebensmaximen zu Lebenslügen werden und einen Menschen deformieren können.

    Ansonsten gibt es manch hilflose Stadttheatertöne und auch sympathische Aufgeregtheitsunsicherheiten bis hin zum Anreden eines Darstellers mit seinem privaten statt seines Rollen-Namens. Schlimmer ist, dass es Regisseur Niels Daniel Finckh nur selten gelingt, alle Schauspieler zu gleicher Zeit so auf der Bühne anwesend sein zu lassen, dass der Konflikt zwischen der Außenseiterin Grace und der Dorfgemeinschaft szenisch versinnlicht und die Aufführung spannend wird. Meist kommt es nur zu einem allgemeinen demonstrativen Aufmarsch aller Dogviller als Gruppe der Bösen.

    Organisatorisch gelang des der neuen "Theaterfabrik Hamburg" beeindruckend, ein neues Theater unter großem Publikumsandrang aus der Hamburger Kulturszene zu etablieren. Künstlerisch war ihr erster Auftritt allzu ehrgeizig und misslang eher. Das mag an der kurzen Vorbereitungszeit und der Unerfahrenheit der Schauspieler mit einem solchen Fabrikraum gelegen haben.

    Niels Daniel Finckh hat vor einem Jahr im kleinen Malersaal des Deutschen Schauspielhauses eine wunderbare Inszenierung von Wedekinds "Frühlings Erwachen" vorgelegt, bei der prominente Filmschauspieler wie Nina Petri in den Rollen der Erwachsenen von Videowänden auf die Jugendlichen im Sandkasten ein- und hinabredeten. Diesmal aber gelang ihm weder eine theatralisch überzeugende Inszenierung, noch versuchte er überhaupt eine Verbindung von Film und Theater. Dabei soll diese zu einem Markenzeichen der "Theaterfabrik" werden. In einer Theaterfabrik, in der vor allem Schauspieler auftreten sollen, die durch Film und Fernsehen bekannt sind. Hier sollen auch Filmregisseure inszenieren, und man will Drehbücher auf die Bühne bringen.

    Der Elan, mit dem dieses neue Hamburger Theater startet, beeindruckt. Trotz der Schwächen dieser ersten Inszenierung sollte man hoffnungsfroh in die Zukunft der Theaterfabrik Hamburg schauen.