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Neue Dauerausstellung im Ernst-Jünger-Haus
Sehnsucht nach Entgrenzung

Die mithilfe des Deutschen Literaturarchivs Marbach kuratierte neue Dauerausstellung im Ernst-Jünger-Haus sollte nicht der Heldenverehrung des Schriftstellers dienen - sie sollte ein Gedenkort werden. Nun wurde sie eröffnet und beweist: Sie trägt zwar zur Kanonisierung Jüngers bei, zeigt aber auch Ambivalenzen auf.

Von Christian Gampert |
    Das Besucherzimmer des verstorbenen Schriftstellers Ernst Jünger in der ehemaligen Oberförsterei in Wilflingen
    Das Besucherzimmer des verstorbenen Schriftstellers Ernst Jünger in der ehemaligen Oberförsterei in Wilflingen (dpa/picture alliance/Felix Kästle)
    Der vom Ersten Weltkrieg faszinierte, kalte Beschreiber von "Stahlgewittern", der "Krieger" und nationalkonservative Polemiker wurde am Ende seines Lebens zum "Anarchen" und stillen "Waldgänger". Und zwar im barocken Forsthaus in Wilflingen. Seit 1951 lebte Ernst Jünger in der im Sommer betörend schönen Landschaft Oberschwabens, zurückgezogen vom Getriebe der Welt. Der Ablauf der Tage war durchaus soldatisch und begann mit Gymnastik und kalten Waschungen, danach Schreiben, Gartenarbeit, Korrespondenz und Spazieren. Es blieb viel Zeit für die Beobachtung der Natur: "Warmer Februartag. Im Walde Seidelbast in voller Blüte. Im Garten Winterling, der sich in der Sonne zu gelben Ringen ausbreitet," notiert Jünger am 27.Februar.1966.
    Die Tagebuchnotiz gehört zu den Exponaten der neuen Dauerausstellung im Jünger-Haus, die Thomas Schmidt vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach kuratiert hat. Schon kurz nach Jüngers Tod 1998 war das Forsthaus in einen Erinnerungsort umgewandelt worden. Das skurrile Wohnumfeld des manischen Büchersammlers bot seitdem verirrten Touristen Einblicke in die muffige Welt eines Selbstinszenators. Dann musste das feuchte Haus grundsaniert werden, das gesamte Inventar kam ins Marbacher Literaturarchiv - und wurde 2011 haargenau wieder aufgebaut so wie zuvor.
    Jüngers Stimme wird noch einmal zum Leben erweckt
    Schon damals war klar, dass das rekonstruierte Ambiente nicht der Heldenverehrung dienen sollte, sondern mithilfe des Deutschen Literaturarchivs ein Gedenkort (mit Betonung auf Denken) werden musste. Im Erdgeschoss ist jetzt eine spartanische Ausstellung mit acht Stationen aufgebaut, die wesentliche Themen aus Jüngers Leben referiert. Nun hätte man dem alten Käfersammler und Stahlhelm-Präsentierer auch ideologiekritisch zu Leibe rücken können - Kurator Thomas Schmidt wollte etwas anderes:
    "Wir wollten der unglaublichen Ding-Menge an Büchern, an Käfern, an Muscheln, an Rasierklingen - Jünger hat ja fast alles gesammelt - in dieser kleinen kommentierenden Ausstellung auch ästhetisch einen Gegenpol bieten - dass auf der anderen Seite ein respektvoll würdigender, aber auch nüchtern kommentierender Zugang zu Jüngers Werk möglich wird."
    Schmidt hat jeweils ein Leit-Exponat in eine Vitrine gelegt (zum Beispiel ein banales rosa Handtuch, Herr Jünger benutzte nur rosa Handtücher) und es dann mit Materialien aus dem Archiv ergänzt, die zum großen Teil aber digitalisiert auf Monitoren abgerufen werden müssen. Während die Ausstellung ganz still und übersichtlich designt da steht, sind kommentierende Texte, Filme und Fotos im Computer versteckt. Das hat auch den Vorteil, dass man Jüngers Stimme noch einmal zum Leben erwecken kann:
    "Wenn Sie sich mit den ganz kleinen Tieren beschäftigen, dann wird die Welt ja wieder ungeheuer groß. Das ist ein Mittel, sie wieder in einer ganz anderen Ausdehnung zu genießen."
    Jünger lebte einsam, mit Frau und Sekretär, ging in den Wald - und mindestens einmal im Jahr auf große Auslandsreisen. Er experimentierte mit Drogen und korrespondierte mit Künstlerkollegen. Und er empfing Besucher. Es ist ziemlich überraschend zu sehen, wer da alles im Forsthaus zu Gast war: von dem jungen Sunday-Times-Redakteur Bruce Chatwin bis zum Zigarrenraucher Heiner Müller, der Jüngers Sekt nicht vertrug.
    An Jünger scheideten sich die Geister
    Natürlich trägt auch diese Ausstellung zur Kanonisierung Jüngers bei. Aber sie zeigt Ambivalenzen auf: Dem zoologischen Ordnungswillen Jüngers steht immer die Sehnsucht nach Entgrenzung gegenüber, immer geht es um Rausch, Schlaf, Krieg, Tod, Selbsterfahrung im kosmischen Ganzen und im Extremen. Die sorgfältig kommentierende Schau führt auch vor, mit welchem Gleichmut Jünger seinen faktischen Ausschluss aus dem Kulturleben der 68er-Bundesrepublik ertrug. Politisch sah sich der Wilflinger Waldgänger am Ende in einem Nirgendwo. Er nahm es mit Ironie.
    "Die Mittellage liegt mir weniger. Ist vielleicht ein Fehler. Ich könnte großen Erfolg haben, wenn ich mich etwas mehr der Mitte zubewegte. Ich sag: Ich bin weder rechts noch links, vor allen Dingen aber nicht in der Mitte."
    Ja, wo ist er denn nun? Einen Mittelweg beschreitet nämlich die Ausstellung. Vor allem in den Videos und Texten wird Jünger durchaus als eine suspekte Figur vorgeführt. Gleichzeitig will man ihn aber als großen Tagebuchliteraten und Gelehrten retten. Dass an Ernst Jünger sich einst die Geister schieden, dass der Jünger-Besucher Heiner Müller sich plötzlich in einer Kompanie mit Mitterand und Helmut Kohl befand und die gesamte Linke um Klaus Theweleit Jünger verachtete, das muss der Besucher sich selber erarbeiten. Man hätte es deutlicher sagen können.