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Neue Ethik-Verantwortliche bei der FIFA
"Die Wahl verstößt im Grunde gegen die Statuten"

Der Weltfußballverband FIFA hat seine beiden Chef-Ethiker von einer Wiederwahl ausgeschlossen. Der Grünen-Politiker Özcan Mutlu glaubt, dass so Ermittlungen gegen FIFA-Präsident Gianni Infantino ausgebremst werden sollen. Zudem hätten die Nominierten bereits vor vier Monaten bekannt gegeben werden müssen, sagte er im DLF.

Özcan Mutlu (Grüne) im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu (Bündnis 90/Die Grünen)
    Grünen-Politiker und Mitglied im Sportausschuss des Bundestags, Özcan Mutlu: "Die wissen, was mit ihnen passiert, wenn sie zu sehr in Dinge ihre Nase stecken, die dem Präsidium oder dem Präsidenten nicht genehm sind. " (picture alliance / dpa/ Sophia Kembowski)
    Dirk-Oliver Heckmann: Der neue Präsident der FIFA, Gianni Infantino, war ja als Nachfolger des in Korruptionsaffären versunkenen Joseph Blatter angetreten, den Weltfußballverband auf grundlegend neue Basis zu stellen und ihn vom Ruch der Korruption und Günstlingswirtschaft zu befreien. Doch jetzt muss er sich des Vorwurfs erwehren, das Gegenteil zu betreiben. Der Grund: Beim FIFA-Kongress in Bahrain mussten die beiden Vorsitzenden der Ethikkammern, der deutsche Richter Hans-Joachim Eckert und der Schweizer Cornel Borbely, eine Überraschung erleben. Sie standen nämlich nicht mehr auf der Liste der Nominierten und standen deshalb für sie völlig überraschend auch nicht zur Wiederwahl.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Özcan Mutlu von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Mitglied im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Schönen guten Tag, Herr Mutlu.
    Özcan Mutlu: Guten Tag, Herr Heckmann.
    Heckmann: Die Kritiker sagen jetzt, der Reformprozess bei der FIFA, der sei faktisch tot. Sehen Sie das auch so?
    Mutlu: Ich sehe das genauso. Ich hatte eh wenig Hoffnung in Infantino seinerzeit gesetzt. Er ist ja ein Zögling auch von Blatter gewesen, also Teil des Systems gewesen. Deshalb wundert mich das jetzt nicht. Und das Ganze jetzt als Fake News abzustempeln und die Ermittler abzusetzen, so wie der Trump es mit dem FBI-Chef gemacht hat, ist ein Zeichen dafür, dass diese autoritären Personen einfach keinerlei Widersprüche und keinerlei auch Kritik wünschen.
    Heckmann: Wobei man sagen muss, dass die bisherigen Amtsinhaber ja nicht abgesetzt worden sind von irgendeinem Präsidenten, sondern sie wurden nicht wiedergewählt und auch nicht nominiert vorher. Kann es denn eine Jobgarantie geben für Vorsitzende von Ethikkammern und ist nicht dieser Wechsel, der jetzt stattfindet, möglicherweise sogar gerade ein Ausweis von demokratischen Strukturen, weil es diesen Wechsel gibt?
    "Ich hätte mir von unserem DFB-Vertreter deutlichere Kritik gewünscht"
    Mutlu: Das ist ja kein Wechsel. Die beiden Amtierenden haben, während sie im Anflug waren, die Information bekommen, dass sie nicht mehr nominiert sind. Die sind durchaus abgesetzt worden. Und es ist auch kein Zeichen von demokratischen Strukturen, wenn das einfach durchgewunken wird, zumal die beiden inmitten von Ermittlungen auch gegen Infantino steckten, der jetzt wie der Grindel versucht, sich da rauszuwinden und so zu tun, als wäre das ein ganz normaler Prozess, der glaubt doch an den Weihnachtsmann. Ich hätte mir von unserem DFB-Vertreter - im Übrigen: Der DFB ist der weltgrößte Sportverband überhaupt - ein bisschen deutlichere Kritik gewünscht. Man hätte sich bei der Abstimmung enthalten können, wenn man das Verfahren falsch findet. Man hätte sogar dagegen stimmen können, weil man einfach nicht akzeptiert, dass in einem Prozess die Chefermittler abgesetzt werden oder nicht mehr wiedergewählt werden.
    Heckmann: Aber er hat eindringlich darauf hingewiesen, dass das eine sehr schwierige Entscheidung sei aus seiner Sicht, und er ergänzt auch, dass die beiden neuen Kandidaten durchaus eine Chance verdient haben.
    Mutlu: Ich wünsche den beiden neuen Kandidaten auch viel Glück und viel Erfolg. Aber Herr Grindel argumentiert ja jedes Mal in derselben Weise. Stellen Sie sich mal die beiden jetzt neu Gewählten vor. Die wissen, was mit ihnen passiert, wenn sie zu sehr in Dinge ihre Nase stecken, die dem Präsidium oder dem Präsidenten nicht genehm sind. Garcia ist gegangen, Eckert ist jetzt geschasst mit seinem Kollegen. Wie sollen da diejenigen, die zukünftig diese Arbeit machen sollen und wollen, überhaupt das Vertrauen haben, oder auch die Sicherheit, dass wenn sie zu sehr in dem Mist da bohren, dass sie nicht auch abgesetzt werden oder ersetzt werden einfach durch Neuwahlen.
    Heckmann: Sie haben gerade kritisiert, Herr Mutlu, dass die beiden bisherigen Amtsinhaber die Entscheidung, nicht nominiert zu werden, quasi im Flugzeug oder nach Ankunft überhaupt erst erfahren haben. Da kann man sagen, das ist eine Stilfrage. Sie sagen, die neuen Kandidaten sind jetzt einfach durchgewunken worden. Auf der anderen Seite kann man aber auch sagen, das ist eine demokratische Abstimmung gewesen, wie es im Bundestag oder bei den Bündnis-Grünen auf Parteitagen ja auch stattfindet. Die FIFA sagt jetzt, man habe mit den beiden neuen Kandidaten keineswegs nicht unabhängige Kandidaten nominiert, und die Neuen, die spiegelten die geografische und die geschlechtsspezifische Vielfalt wieder, die Teil einer internationalen Organisation wie der FIFA sein muss. Bisher sind ja zwei Europäer und auch zwei Männer in den Ämtern gewesen. Ist das nicht auch ein Aspekt, der Sie gerade als Grüner auch interessieren müsste?
    "Das sind doch fadenscheinige Gründe, jetzt irgendwie mit Vielfalt zu kommen"
    Mutlu: Ach das sind doch fadenscheinige Argumente, jetzt irgendwie mit Vielfalt zu kommen und dann einfach die Ermittlungen zu bremsen oder aufzuhalten. Außerdem hat der Präsident mit dieser Art und Weise des Vorgehens gegen eigene Statuten gearbeitet beziehungsweise eigene Statute verletzt. Diejenigen, die neu gewählt werden sollen oder nominiert sind, die müssen mindestens nach Statuten der FIFA vier Monate vorher mitgeteilt werden.
    Heckmann: Das heißt, Sie halten die Wahl jetzt für ungültig, die jetzt vollzogen wurde?
    Mutlu: Ich finde, dass diese Wahl im Grunde gegen die Statuten der FIFA verstößt. Auch das hätte beispielsweise Herr Grindel kritisieren können. Und die Statuten der FIFA habe ich ja nicht entworfen, sondern das hat die FIFA selbst sich gegeben. Daher sollten alle, die an dieser Wahl beteiligt sind, sich selbst an die Nase fassen. Aber mich wundert bei diesen Sportverbänden, vor allem diesen internationalen Sportverbänden, egal ob IOC oder FIFA, jetzt gar nichts mehr. Sie versprechen viel, lösen nichts ein. Die Integrität des Sports geht den Bach runter und leider ändert sich nichts und mit der Zeit werden die Menschen einfach kein Vertrauen und keinen Glauben mehr in diese Sportverbände haben. Man sieht es ja regelmäßig bei Olympia-Referenten in westlichen Nationen. Wie oft haben westliche Städte, zuletzt auch in Hamburg, die Bürgerinnen und Bürger aufgrund dieser Glaubwürdigkeitskrise und der Funktionäre, die oft korrupt sind, Olympia abgewiesen.
    Heckmann: Bleiben wir mal bei der FIFA. Pardon, Herr Mutlu, dass ich da noch mal einhake. Hans-Joachim Eckert und auch Cornel Borbely, die haben gesagt, hunderte FIFA-Untersuchungsfälle könnten jetzt lange brach liegen. Unter anderem zählen dazu die Ermittlungen zum sogenannten Sommermärchen 2006 hier in Deutschland und die Ermittlungen rund um Franz Beckenbauer. Was befürchten Sie da?
    Mutlu: Na ja. Diejenigen, die jetzt dieses Amt bekommen haben, die müssen sich in all diese Akten neu einarbeiten. Das ganze Wissen, was die beiden über die Jahre hatten, das sie bei ihren Ermittlungen zusammengetragen haben, das wird nicht weitergegeben. Es gibt ja keine Kontinuität. Es gibt auch kein Interesse daran, dass diese Fälle wohl weitergeführt werden, und deshalb sehe ich eben schwarz auch für die Arbeit der zukünftigen Kommission, die jetzt im Nebel stochern wird. Das ist sehr bedauerlich, weil Glaubwürdigkeit und Integrität erlangt man dadurch, dass man endlich Transparenz und Aufklärung betreibt, und die FIFA ist anscheinend daran nicht interessiert.
    Heckmann: Özcan Mutlu war das von Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Herr Mutlu, schönen Dank für das Gespräch.
    Mutlu: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.