Dirk Müller: Neue Kommission der Europäischen Union – darüber hat Martin Zagatta mit Bert van Roosebeke gesprochen vom Centrum für Europäische Politik.
Martin Zagatta: Ist das eine Ohrfeige für die Bundesregierung?
Bert van Roosebeke: Das würde ich nicht so sehen. Das finde ich fast belustigend, muss ich ehrlich sagen, wie viele Leute in Berlin zu denken scheinen, dass das ein unwichtiges Ressort sei. Nein! Immerhin streiten sich in Berlin drei Bundesminister, die Herren Gabriel, Dobrindt und de Maizière, darum, wer jetzt für Digitales zuständig ist. Im Kern, muss man sagen, sind das tatsächlich Fragen, die wirklich auf europäischer Ebene geregelt werden, wenn Sie denken an die Netzneutralität oder Investitionen in Breitbandnetze oder die Regulierung von Unternehmen wie Google. Das sind tatsächlich wirklich sehr europäische Themen. Ich würde ehrlich sagen, Herr Oettinger hat da eigentlich ein sehr wichtiges, zukunftsträchtiges Thema ergattert, und er hat da wirklich die Möglichkeit, sehr viele wichtige Fragen zu gestalten.
Zagatta: Und dass kein Deutscher in die Führungsriege der sieben stellvertretenden EU-Präsidenten berufen worden ist, das ist auch nicht so schlimm aus Ihrer Sicht?
van Roosebeke: Das ist noch offen, würde ich sagen heute. Herr Juncker hat heute mehrfach betont, dass diese sieben Stellvertreter oder Vizepräsidenten gerade keine zusätzliche Hierarchieebene sein sollten. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich bin da ein bisschen skeptisch. Ich glaube schon, dass das so angedacht ist, dass die sieben tatsächlich die sonstigen Fachkommissare im Griff behalten sollten.
Und tatsächlich hat Herr Juncker natürlich Herrn Oettinger gerade nicht da einberufen. Er hätte natürlich auch ein Problem gehabt zu erklären, warum Deutschland und dann nur Deutschland als einziger großer Mitgliedsstaat einen Vizepräsidenten soll und dann Frankreich, Großbritannien, Polen, Spanien et cetera, eben nicht. Ich denke mal, dass Herr Juncker das vor allem aus politischen Gründen nicht getan hat.
Und tatsächlich hat Herr Juncker natürlich Herrn Oettinger gerade nicht da einberufen. Er hätte natürlich auch ein Problem gehabt zu erklären, warum Deutschland und dann nur Deutschland als einziger großer Mitgliedsstaat einen Vizepräsidenten soll und dann Frankreich, Großbritannien, Polen, Spanien et cetera, eben nicht. Ich denke mal, dass Herr Juncker das vor allem aus politischen Gründen nicht getan hat.
Verhalten Moscovicis muss beobachtet werden
Zagatta: Der französische Sozialist Moscovici erhält jetzt den wichtigen Posten des Wirtschafts- und Währungskommissars. Ist das aus deutscher Sicht, wenn man den Blick richtet auf Haushaltsdisziplin, nicht eine halbe oder eine ganze Katastrophe?
van Roosebeke: Es ist sehr heikel, auf jeden Fall. Es wird jetzt sehr interessant sein zu beobachten, inwieweit die Vizepräsidenten da in der Lage sind, Herrn Moscovici an die Hand zu nehmen, sage ich mal. Er kriegt auch letztlich, wenn man so will, gleich zwei Vizepräsidenten vorgesetzt, Herrn Katainen aus Finnland und Dombrovskis aus Lettland. Beide sind eigentlich als relativ harte Sanierer bekannt. Das wird Herrn Moscovici sicher nicht gefallen. Das ist abzuwarten, würde ich sagen, inwieweit die Vizekommissare in der Lage sind, Herrn Moscovici da eine enge Auslegung des Stabilitätspakts auszulegen. Es ist auf jeden Fall Grund, ganz genau hinzuschauen, wie die Kommission und Herr Moscovici natürlich insbesondere sich verhalten werden.
Zagatta: Ist da Ärger vorprogrammiert?
van Roosebeke: Das wird man sehen müssen. Ich meine, man kann es auch anders sehen. Man kann auch sagen, gut, was Juncker da versucht zu tun, ist der große Unmut in Frankreich. Sie erinnern sich vielleicht an das Ergebnis der EP-Wahlen. Da hat der Front National sehr arg dazugewonnen. Es könnte auch helfen, wenn Herr Moscovici als Franzose in Frankreich jetzt aus Brüsseler Sicht sagen kann, was Frankreich alles machen muss. Das kann letztlich auch die Möglichkeiten für die Europäische Union und letztlich auch für Deutschland, Reformen in Frankreich und in anderen südeuropäischen Ländern durchzusetzen, stärken. Wenn Sie sich Deutschland angucken, hat letztlich auch ein Sozialdemokrat die Agenda 2010 durchgesetzt und kein konservativer Bundeskanzler, von dem man das vielleicht eher hätte erwarten können.
Nominierung des Briten Hills ist Überraschung
Zagatta: Auf der anderen Seite wird jetzt auch ein britischer EU-Skeptiker mit Jonathan Hill Kommissar für den Finanzsektor. Wie bewerten Sie das?
van Roosebeke: Ja, das ist sehr überraschend. Auch das kann man begründen mit ein bisschen Goodwill sozusagen. Herr Juncker versucht hier, wahrscheinlich den Briten zu zeigen, wie wichtig es ist, dann doch in der EU zu bleiben. Sie wissen ja: Cameron hat ja ein Referendum darüber angesetzt, ob das Vereinigte Königreich austreten soll. Jetzt lockt man, würde ich sagen, die Briten etwas damit, dann doch zu bleiben, weil schaut mal her, wir hören auf euch und ihr kriegt da diesen wichtigen Posten. Auch da ist ein Interessenskonflikt, genauso wie mit Herrn Moscovici, ziemlich offensichtlich.
Die Londoner City ist natürlich sehr einflussreich in Fragen der Finanzmarktregulierung, und vielleicht setzt Juncker ja darauf, dass dieser offensichtliche Interessenskonflikt letztlich zu einer Art Disziplinierung von sowohl Herrn Hill als auch Herrn Moscovici führt.
Zagatta: Sind Sie da zuversichtlich? Wenn Sie sich die gesamte Kommission anschauen, glauben Sie, dass da in den nächsten Jahren die EU-Verdrossenheit noch gefördert wird, oder sind Sie zuversichtlich?
van Roosebeke: Ich bin eigentlich vorsichtig optimistisch, muss ich sagen. Ich finde das sehr durchdacht, was der Herr Juncker gemacht hat. Er hat wirklich die verschiedenen Ansprüche sehr gut austariert, finde ich. Es wird darauf ankommen zu sehen, wie gut sein System mit den Vizepräsidenten funktioniert. Das sind alles ehemalige Ministerpräsidenten, die er da erkoren hat. Die kommen zwar aus kleineren Ländern, aber das sind keine schwachen Politiker. Das wird man sehen müssen und ein tolles Signal finde ich, dass er den Frans Timmermans, den Außenminister der Niederlande, als seine rechte Hand, als ersten Vizepräsidenten ernannt hat, der explizit auch sich mit Fragen der besseren Gesetzgebung und vor allem mit Subsidiarität sich beschäftigen soll. Er versucht schon, die Unzufriedenheit, die es mit Namen in Holland, Großbritannien, vielleicht auch etwas in Deutschland gegeben hat, diese Unzufriedenheit mit dem Agieren der EU einzufangen.
Müller: Mein Kollege Martin Zagatta im Gespräch mit Bert van Roosebeke vom Centrum für Europäische Politik.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.