Giegold sagte im Deutschlandfunk, der neue Kommissionspräsident Juncker versuche ebenso wie die Spitze des Europäischen Parlaments, Druck auf die Abgeordneten auszuüben. Damit gefährdeten sie die demokratischen Rechte des Parlaments. Giegold betonte, mehrere designierte Kommissare seien für die jeweils vorgesehenen Ämter nicht geeignet. Als Beispiele nannte er Lord Hill, den britischen Kandidaten für das Amt des Finanzkommissars. Dieser habe nicht einmal bekunden können, ob er für oder gegen Europa sei.
Ungeeignet sei auch Spanier Miguel Arias Cañete, der das Klima- und Energieressort übernehmen soll. Cañete war über viele Jahre als Öl-Unternehmer tätig. Hier liege ein Interessenskonflikt vor, der sich auch nicht dadurch auflöst, dass er kurz vor der Wahl seine Aktien verkauft habe, so Giegold. Milder urteilte der Grüne dagegen über den als Wirtschaftskommissar vorgesehenen Franzosen Pierre Moscovici. Ihm seien in Deutschland offenbar antifranzösische Ressentiments entgegen geschlagen. "Mitschuldig" ist Moscovici für Giegold jedoch am Scheitern einer nachhaltigen Finanztransaktionssteuer.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Jürgen Zurheide: Ich sage zunächst mal guten Morgen, Herr Giegold!
Sven Giegold: Ja, guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Giegold, es gibt ja mindestens bei drei Kommissaren und Anwärtern Probleme. Ich sage mal, bei Zweien sind es eher Interessenkonflikte, die eine Rolle spielen, bei dem Spanier Cañete und bei dem Briten Hill, und bei Herrn Moscovici, dem Franzosen, gibt es eher die Frage, ob er das Amt kann, weil er möglicherweise im Gepäck das eine oder andere hat. Ich würde gern beginnen mit Problem eins: Interessenkonflikte. Wie ist Ihre Einschätzung zu den beiden Kommissaren, die ich gerade genannt habe?
Giegold: Also, Lord Hill hat erst mal eine starke Vorstellung geliefert als Europäer. Er hat ja vor 20 Jahren für Europa viel geleistet, als die Maastrichter Verträge im Feuer standen. Allerdings, seitdem hat er sich für Europa nicht mehr eingesetzt. Und man muss deshalb eben befürchten, dass er im Bereich der Finanzmärkte im Grunde britische Interessen vertritt. Und er ist für diese Position eine Fehlbesetzung. Das hat man auch deshalb gemerkt, weil er einfach zu allen Fachfragen keine Meinung hatte, bis hin zu der Absurdität, dass er nicht sagen konnte, ob er für oder gegen Eurobonds ist.
Zurheide: Dann kommen wir auf den Spanier, Cañete – dort gibt es möglicherweise Verflechtungen zur Industrie, die Sie wie bewerten?
Giegold: Also, das ist nicht möglicherweise, sondern es ist völlig klar, dass er und seine Familie über viele, viele Jahre als Ölunternehmer aktiv war. Und deshalb ist er eben als Klimakommissar nicht geeignet. Herr Cañete ist der Spitzenkandidat der Konservativen Partei für das Europaparlament gewesen. Natürlich könnte er grundsätzlich Kommissar werden, aber nicht für Energie und Klima, das ist einfach ein Interessenskonflikt, der löst sich auch nicht dadurch, dass sie relativ kurz vor der Wahl ihre Aktien verkaufen.
Zurheide: Was heißt das nun für das Europäische Parlament? Gehen Sie davon aus, dass die beiden abgelehnt werden. Oder sagen Sie, da wird es noch irgendeine Art Kompromiss geben?
Giegold: Also die beiden, genauso wie weitere Kandidaten – es sind ja noch mehr, auch Herr Navracsics aus Ungarn und ein tschechischer Kandidat und so weiter, die sind alle mit negativen Briefen ausgestattet worden oder haben eben Nachfragen bekommen. Diese Kandidaten sind für die jeweiligen Positionen nicht geeignet. Und jetzt ist die interessante Frage vor diesen Anhörungen, die ja ein wichtiges demokratisches Recht des Europaparlaments sind, haben die beiden großen Fraktionen, Sozialdemokraten und Christdemokraten zusammen eine Art Große Koalition erklärt. Und damit bestand die Gefahr, dass jetzt alle erst mal durchgewunken werden. Das ist nicht passiert. Das Europaparlament hat demokratische Stärke bewiesen. Und ein Durchwinken von den Kommissaren gibt es nicht mehr. Jetzt besteht nur die Gefahr, und derzeit wird enormer Druck ausgeübt von der Spitze des Parlaments genauso wie von Herrn Junker, am Schluss doch alle relevanten zumindest auf ihren Positionen zu bestätigen. Und das wäre dann in der Tat wieder eine Gefährdung der demokratischen Rechte des Parlaments. Und hinter den Kulissen derzeit des Parlaments findet ein enormer Kampf statt zwischen den Fachabgeordneten, die, so wie ich, Fragen an die Kandidaten gerichtet haben. Und der Spitze des Hauses, die die Geschlossenheit dieser angeblichen Großen Koalition wieder herstellen will. Ich bin sehr der Meinung, dass jemand, der offensichtlich nicht geeignet ist für ein Amt, dieses Amt auch nicht bekommen darf.
Zurheide: Jetzt lassen Sie uns zu dem Problemfall zwei kommen. Das ist der Franzose Moscovici. Da gibt es Schwierigkeiten und kritische Nachfragen, weil er in Frankreich für mehrere Defizitüberschreitungen zuständig ist. Und kann man ihm zutrauen, die europäischen Regeln einzuhalten, durchzusetzen? Wie schätzen Sie das ein?
Giegold: Die Anhörung mit ihm hat erst mal gezeigt: Er ist ein engagierter Pro-Europäer mit sehr viel Erfahrung. Und einige der Bemerkungen über ihn hatten ja gerade in Deutschland eine ganz klar antifranzösische Konnotation, die, wie ich persönlich finde, nicht nach Europa gehört, so als ob per sé ein Franzose für dieses Amt ungeeignet sei. Als Finanzminister muss man zwei Dinge sagen: Erstens, er hat sehr wohl gespart, denn Frankreich war konjunkturell in der Krise. Und trotzdem, wenn man konjunkturbereinigt den Haushalt betrachtet, hat er jedes Jahr gespart. Und zwar in dem Maße, wie das die EU-Kommission vorgegeben hatte. Also, er hat sich technisch nichts vorwerfen zu lassen, selbst wenn die Haushalte über den drei Prozent Defizit sind. Aber ich erinnere daran, das war in Deutschland ganz genauso, als wir unsere Reformen gemacht haben. Was man ihm aber vorwerfen muss, ist, dass er nicht dafür gesorgt hat, dass ausreichend Reformen in Frankreich durchgeführt worden sind. Das lag sicher an der gesamten Regierung, aber auch an ihm. Und man muss ihm vorwerfen, dass er die Finanztransaktionssteuer systematisch auf europäischer Ebene geschwächt und bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt hat. Und da hat Herr Moscovici eindeutig eine Mitschuld.
Zurheide: Damit sind wir jetzt fast bei dem anderen Thema, was ich ansprechen möchte mit ihnen, bei der Frage, Sie haben gerade gesagt, in Frankreich sind nicht genügend Reformen gemacht worden. Das könnte man natürlich auf viele europäische Länder übertragen. Und gehen wir auf ein anderes Problemfeld, nämlich die Europäische Zentralbank, die gerade gesagt hat, sie will noch mal richtig viele Anleihen kaufen, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. Man könnte ja auch sagen, weil viele andere europäische Wirtschaftspolitiker nicht tun, was sie eigentlich tun müssten. Wie bewerten Sie das, was da gerade passiert von der EZB? Ist das eine Überdehnung des Mandates, zunächst einmal?
Giegold: Die Europäische Zentralbank will im Moment keine Anleihen kaufen, sondern Kreditverbriefungen. Kreditverbriefungen, sogenannte ABF-Papiere, sind genau die Papiere, die in den USA das ganze Schlamassel praktisch zum Vorschein gebracht haben. Diese Kreditverbriefungen aufzukaufen in der Größenordnung von bis zu 1.000 Milliarden Euro, das ist ja, was Herr Draghi angekündigt hat, ist eine Art Verzweiflungstat. Es ist eine Verzweiflungstat, weil die Mitgliedsländer nach wie vor nicht genug tun, um aus der Krise herauszukommen. Was mich allerdings wirklich daran stört, ist: Ich glaube nicht, dass der EZB das verboten ist, das zu tun. Es löst aber die Krise nicht. Aber genauso wenig löst es die Krise, wenn man jetzt Draghi-Bashing betreibt, wie ich das von einigen Personen der CDU/CSU oder der AfD höre, die im Grunde "Hau den Draghi" veranstalten, dabei aber die Schuld immer nur bei den anderen suchen. In Deutschland, Herr Draghi hat öfter darauf hingewiesen, brauchen wir mehr Nachfrage, mehr Investitionen, damit eben die anderen Länder nicht in eine Abwärtsspirale rutschen. Und die Mitgliedsländer der Eurozone machen zu wenig. Einige der südlichen Länder, gerade auch Frankreich, Italien haben bisher zu wenig Reformen gemacht. Im Ergebnis sieht sich Herr Draghi gezwungen, immer neue Maßnahmen zu starten, die aber das Problem alleine nicht lösen können.
Zurheide: Also Herr Draghi ist so eine Art Ersatzkaiser. Er handelt deshalb, weil die anderen nicht handeln. Oder er versucht es?
Giegold: Exakt. Er handelt, weil andere nicht handeln. Er handelt aber in einer Weise, dass man praktisch den Banken zusätzliche Gewinne verschafft, statt eben dafür zu sorgen, dass die richtige Politik gemacht wird. Er hat ja vorher schon in großem Maße den Banken Liquidität zur Verfügung gestellt, auch das will er fortsetzen. Für diese Liquidität haben die Banken Staatsanleihen gekauft. Die Staatsanleihen waren höher verzinst. Und das war ein milliardenschwerer Extra-Gewinn für die Banken. Und was nicht passiert ist, ist eben, dass man, wie in den USA, die Banken gezwungen hat, mehr Eigenkapital aufzunehmen. Das wäre viel wirksamer, weil wenn man die Banken per Aufsicht zwingen würde, ausreichend Eigenkapital zu nehmen, dann würden sie wieder Kredite vergeben, während der Aufkauf dieser ABF-Papiere erst mal nur dafür sorgt, dass sie Liquidität bekommen. Und mit Liquidität kann ich alleine keine Kredite vergeben, wenn ich zu wenig Eigenkapital habe. Und dieser Eingriff in die Banken, und zu sagen, ihr müsst ausreichend Eigenkapital haben, um Bankgeschäfte zu betreiben, das ist bis heute nicht passiert. Und da setzt Herr Draghi leider auch auf das falsche Programm.
Zurheide: Das war der Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Sven Giegold, zu den verschiedenen Problemen in Europa, die weiter herrschen. Herr Giegold, ich bedanke mich für das Gespräch. Auf Wiederhören!
Giegold: Sehr gerne, Herr Zurheide!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.