Christine Heuer: Ihre Wahl zur Präsidentin der Europäischen Kommission war alles andere als ein Selbstläufer. Ursula von der Leyen hatte viel für sich werben müssen, bei allen Fraktionen im Europaparlament, und dabei eine Reihe von Versprechen gemacht. Zum Beispiel, dass ihr Kabinett zur Hälfte aus Frauen bestehen soll. Nun liegt die Liste der von den Mitgliedsländern nominierten Kommissarskandidaten vor und ja, fast die Hälfte von ihnen sind tatsächlich Frauen.
Mit Spannung wird nun erwartet, wer welches Ressort besetzen soll. Von der Leyen hat wochenlang daran gearbeitet und wird heute Mittag mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit gehen. Am Telefon ist Elmar Brok. Der CDU-Politiker war lange Europaparlamentarier, auch Brexit-Beauftragter der EU-Kommission. Guten Morgen, Herr Brok.
Elmar Brok: Guten Morgen, Frau Heuer.
"Ein Großteil der Namen erweckt Hoffnung"
Heuer: Fast 50 Prozent Frauen in der neuen Kommission. Wird die besser als die alte?
Brok: Wenn man davon ausgeht, dass Frauen immer besser sind als Männer, dann ja. Aber was die Leistung erbringt, müssen wir sehen, aber ein Großteil der Namen erwecken doch Hoffnung, dass es eine gute Kommission wird.
Heuer: Über wen auf der Namensliste sind Sie denn besonders froh?
Brok: Ich glaube, dass etwa Sylvie Goulard eine gute Lösung ist, dass der Italiener Gentiloni eine Lösung ist, dass der Ire Phil Hogan, den ich sehr schätze, die Handelspolitik machen soll, wie ich höre, scheint mir eine gute Lösung zu sein, und so kann man die Liste fortsetzen mit einigen guten Leuten. Auch der griechische Kandidat, der bisher ja schon in der Kommission tätig war, ist eine gute Lösung. Ich will die jetzt nicht alle aufzählen, weil ich dann einen Guten vergesse.
Heuer: Herr Brok, aber da höre ich heraus, Sie wissen ja schon von manchen, welches Ressort die bekommen. Können Sie uns da was erzählen?
Brok: Nein, ich weiß nicht. Von manchen weiß man das und es hat sich herumgesprochen. Aber das ist alles noch ungesichert, weil natürlich Frau von der Leyen die richtige Komposition finden muss, damit das halbwegs einvernehmlich geht, denn natürlich erhofft sich jedes Mitgliedsland am liebsten einen Vizepräsidenten auch mit einem hohen Portfolio. Das kann natürlich nicht gelingen und deswegen ist das immer eine sehr schwierige Operation, die ein Kommissionspräsident am Anfang zu erbringen hat.
"Das würde bedeuten, den Bock zum Gärtner zu machen"
Heuer: Versuchen wir doch trotzdem, mal ein, zwei Ressorts herauszugreifen. Zum Beispiel das für Rechtsstaatlichkeit. Fänden Sie es gut, wenn ein Ungar dafür zuständig würde?
Brok: Nein. Ich glaube, das würde bedeuten, den Bock zum Gärtner zu machen, und deswegen wird es mit Sicherheit – dann müsste ich die Lage völlig falsch einschätzen – ein Ungar nicht werden.
Heuer: Gilt das auch für einen Italiener? Sie haben ja Paolo Gentiloni, den Sozialdemokraten aus Rom, gerade gelobt. Gilt das auch für einen Italiener als Währungskommissar?
Brok: Da kommt es auf die Figur an. Ich erinnere mich an den früheren Kommissar und Ministerpräsidenten Mario Monti. Der war ein hervorragender Mann. Der hat damals Wettbewerbspolitik gemacht. Das hängt immer sehr von den Figuren ab, denn in jedem Land gibt es für bestimmte Ressorts gute Leute und man kann hier nicht einfach sagen, weil es ein Italiener ist, kann man so etwas nicht. Ich glaube nicht, dass ein Italiener Währungskommissar wird, aber ich weiß es nicht, und Gentiloni hat sich natürlich in einer schon schwierigen Frage als sehr fähiger Ministerpräsident erwiesen.
Heuer: Meine Fragen zielen natürlich auf was Grundsätzliches ab. Hilft es, Vertreter aus umstrittenen Ländern in die Pflicht zu nehmen für genau die Themen, derentwegen sie umstritten sind? Hilft das der politischen Integration?
Brok: Das ist in der Regel so, dass das nichts hilft, und deswegen wird das in der Regel auch nicht gemacht werden.
"Die Komposition ist von außerordentlich großer Wichtigkeit"
Heuer: Okay! – Was raten Sie persönlich Ursula von der Leyen? Worauf kommt es als Kommissionschefin besonders an?
Brok: Es muss eine Mischung sein der verschiedenen Staaten, etwa im wirtschaftspolitischen Bereich, im währungspolitischen Bereich, von Nord und Süd. Es muss wichtig sein, dass die Osteuropäer und Mitteleuropäer auch ein paar wichtige Ressorts dabei haben, sodass diese Komposition von außerordentlich großer Wichtigkeit ist, dass die Fähigkeit der Kandidaten mit bestimmten unterschiedlichen Positionierungen, die auch aus geografischen Gründen heraus gegeben sind, hier doch miteinander verbunden werden, sodass es eine Balance wird.
Heuer: Umgekehrt gefragt, Herr Brok. Welchen Fehler muss Ursula von der Leyen unbedingt vermeiden?
Brok: Ich hoffe – ich kann da keine Ratschläge im Einzelnen geben, aber wir müssen sehen, dass Frau von der Leyen, glaube ich, mit wichtigen Ländern eng zusammenarbeiten muss, um in ihrer Kommission einen guten Start zu haben. Ich meine, es ist eine dusselige Bemerkung, sich mit den Polen und den Franzosen und den Spaniern und Italienern zur selben Zeit anzulegen. Das wäre jedenfalls nichts Kluges. Hier der Truppe das Gefühl eines Gemeinschaftsbewusstseins zu geben, auch einen Teamgeist hineinzugeben, ist, glaube ich, von großer Bedeutung.
Heuer: Kann eine Frau das besser als ein Mann?
Brok: Sie bringen mich jetzt in Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, ob meine Frau zuhört.
Heuer: Also ja?
Brok: Ich glaube, dass in vielen Dingen Frauen etwas besser machen, vielleicht auch mit geringerem Testosteron-Spiegel an solche Dinge herangehen und nicht unbedingt sich protzend darstellen wollen. Das fällt Frauen leichter. Aber Frauen vergessen auch weniger leicht, sodass das, glaube ich, eine ausgewogene Frage ist, was Geschlechter da zu tun haben oder nicht zu tun haben. Aber dass man quasi jetzt eine Fifty-fifty-Lösung zustande bekommen hat mit einer Frau sogar als Kommissionspräsidentin, ist, glaube ich, eine gute Entwicklung.
"Für einen Briten könne man ein vernünftiges Ressort finden"
Heuer: Auf der Namensliste, Herr Brok, für die neue Kommission findet sich kein britischer Politiker. Wenn die Briten keinen Kommissar benennen, ist das dann der sichere Weg raus aus der EU zum 31. Oktober?
Brok: Nein, das ist es nicht, obwohl ich glaube, dass das so kommen wird, aber das ist eine andere Einschätzungsfrage. Aber wenn jetzt der Premierminister sagt, am 31. Oktober sind wir raus, warum soll man einen Kommissar benennen, der am 1. November anfängt. Das wäre, glaube ich, etwas schwierig und wir haben es ja auch in der Vergangenheit gehabt, dass dann Kommissare auch nachbenannt werden können und die dann durch das Verfahren durchgehen. Hier im Europäischen Parlament, wenn Großbritannien in der EU bliebe, könnte man sicherlich schnell für einen Briten ein vernünftiges Ressort finden.
Heuer: Frankreichs Außenminister Le Drian hat ja dieser Tage gesagt, noch mal verlängern wir nicht – wir, die EU27. Sagt am Ende die EU, dass es das jetzt war, und schenkt Boris Johnson den No-Deal-Brexit?
Brok: Ich glaube, dass man eine Verlängerung nur machen kann, wenn etwas Neues kommt, aus dem hervorgehen könnte, dass die Position sich verändert und dass man dieses gegenwärtige Spiel nicht weiter vorantreibt und fortsetzt. Denn ein Schrecken mit Ende ist besser als ein Schrecken ohne Ende. Aber wir müssen sehen, dass Boris Johnson hier jetzt in einer Art und Weise vorgeht, was schon unerträglich ist. Ich habe in meinem Büro – 1969 habe ich das als Student gekauft – eine Zeichnung des britischen Parlaments. Das hängt heute noch da bei mir. Dass dieses Parlament, das die Mutter der Parlamente ist, in dieser Weise von einem Premierminister behandelt wird, das ist schon ziemlich einmalig.
"Das ist ein Coup gegen Demokratie"
Heuer: Sie sind gerade auf dem Weg oder fliegen heute nach Großbritannien, nach London, und haben da natürlich auch viele Kontakte zu Politikern, auch zu Kenneth Clarke und anderen Tories, die rausgeworfen worden sind von Boris Johnson. Was hören Sie denn eigentlich von denen so? Schäumen die vor Wut?
Brok: Da sind sie zu klug dazu. Aber sie sind schon selbst entsetzt. Philip Hammond, Kenneth Clarke und all diejenigen, die dazu gehören, auch der Enkel von Churchill, sind bekannt als gute Demokraten, unabhängig von inhaltlichen Positionen, dass ein solcher Premierminister in dieser Weise mit einem Parlament, mit einem solch stolzen Parlament herumspringt, das ist schon eine einmalige Angelegenheit. Das hat nichts mit Churchill zu tun, wie Boris Johnson das oft zum Ausdruck bringen will. Dieses ist ein Coup gegen Demokratie.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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