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Neue "Facebook-Regeln" und Tagesschau
"Wir überlegen, wie wir jetzt damit umgehen"

Die "Tagesschau" nehme bereits seit Monaten ein "sinkendes Fan-Wachstum" auf ihrer Facebook-Seite wahr, sagte Social-Media-Chef Patrick Weinhold der Nachrichtensendung im Dlf. Dennoch müsse man weiterhin in sozialen Netzwerken vertreten sein - aber das wohl vermehrt in anderen.

Patrick Weinhold mit Brigitte Baetz |
    Monitor mit Facebook-Startseite
    Monitor mit der Facebook-Startseite (picture alliance/dpa/Foto: Jan-Philipp Strobe)
    Baetz: Mark Zuckerberg, Gründer des Social-Media-Riesen hat angekündigt, dass die Facebook-Nutzer weniger "relevante Inhalte" und noch mehr "bedeutsame Dialoge" in ihrer Timeline angezeigt bekommen sollen. Doch was bedeutet das für die Medien, die seit Jahren via Facebook versuchen, an die Nutzer zu kommen, wie z.B. die ARD? Das fragte ich Patrick Weinhold. Er ist Leiter des Social-Media-Teams der Tagesschau.
    Weinhold: Prinzipiell sehen wir dem recht gelassen entgegen als "Tagesschau", weil wir schon immer Wert darauf legen, unsere nachrichtlichen Inhalte so anzulegen, dass sie auf den Plattformen, in dem Fall Facebook, optimal konsumiert werden können, d.h. wir haben unsere grundlegende Strategie danach ausgelegt, dass User, die unsere Beiträge dort sehen, auch möglichst mit ihnen interagieren. Also, dass sie sie anklicken, dass sie die Videos schauen, dass sie kommentieren und dass sie sie im Idealfall auch an ihre Freundeskreise weiterleiten. Mit Sozial, also Social-Stärken will Mark Zuckerberg ja wieder darauf hinaus, dass die Leute mehr untereinander interagieren. Für uns prinzipiell - würde ich sagen - sind wir da recht gelassen, weil wir eben sehr viel Wert schon von Anfang an auf Interaktion gelegt haben.
    Nachrichten so anbieten, dass sie in sozialen Netzwerken funktionieren
    Baetz: Nun wird aber auch eine Boulevardisierung der Medieninhalte befürchtet, also dass Medien nun ein bisschen lockerer daherkommen, als sie es vielleicht eigentlich sollten, um eben beim Algorithmus von Facebook auch anzukommen. Sehen Sie das auch?
    Weinhold: Teils, teils. Was wir sehen können, das ist ja eine Ankündigung, die - typisch im Facebook-Stil - wieder etwas später kommt, als wir das schon seit Monaten beobachten. Also wir sehen sinkende Reichweiten, wir nehmen sinkendes Fan-Wachstum auf unserer Seite der "Tagesschau" auch deutlich wahr schon seit ungefähr letztem Herbst. Wir versuchen damit einerseits umzugehen, indem wir uns weiterhin Gedanken darüber machen, wie wir unsere Strategie ausrichten, und wir sehen auch, dass einige Beiträge jetzt stärker als andere besonders gut performen. Das sind - das sprechen Sie an - manchmal sehr gesprächswertige Themen. Mit gesprächswertig meine ich: einerseits, z.B. wenn Donald Trump beschließt, dass Elefantenköpfe wieder in die USA importiert werden können. Also, da sehen Sie buntere Geschichten. Das war unter Barack Obama eben noch verboten. Andererseits bedeutet Gesprächswert aber auch - und das sehen wir auch in den vergangenen Tagen - alles, was z.B. mit den Sondierungsgesprächen zu tun hat. Also, ich würde nicht per se von einer Boulevardisierung der Inhalte sprechen, aber natürlich müssen wir genau beobachten, dass wir als "Tagesschau", als Inhalteanbieter, nach wie vor auch unsere nachrichtlichen Themen, unsere politischen Themen so konfektionieren, so anbieten, dass sie in den sozialen Netzwerken auch funktionieren. Das ist die Arbeit für uns als Social-Media-Redakteure.
    Baetz: Nun war es ja nie ganz unumstritten, dass vor allem jetzt öffentlich-rechtliche Medien die private Plattform Facebook nutzen, um mit ihren Zuschauern und Zuhörern in Interaktion zu treten. Zeigt sich jetzt, dass das vielleicht doch ein Fehler war?
    Weinhold: Ich würde es nicht als Fehler bezeichnen. Wir sind als "Tagesschau" recht früh auf Facebook gegangen, haben Inhalte dort so angeboten, wie die User sie dort konsumieren wollen, weil wir gesehen haben, es verändert sich was mit der Digitalisierung. Mit dem Beginn der Social Networks hat sich die Kommunikation von Menschen über - auch Nachrichten - eben immer mehr dorthin verlagert. Wenn Sie dort als Nachrichtenanbieter nicht sind, dann nehmen Sie die Menschen nicht wahr und dann nehmen die Menschen vielleicht auch nur private Urlaubsfotos in ihren Timelines wahr. Dem wollten wir entgegenwirken, wollten unsere Nachrichten aus Deutschland international dort einbringen und die Menschen darüber miteinander ins Gespräch bringen. Insofern würde ich es nicht als Fehler bezeichnen, aber es zeigt natürlich trotzdem auch, die Abhängigkeit in gewisse Masse. Wir haben sehr viel Aufwand reingesteckt oder stecken auch aktuell sehr viel Aufwand rein. Wir haben vier Redakteure am Tag bei uns im Team, die sich mit dem Posten von Inhalten für Facebook beschäftigen. Natürlich müssen wir jetzt beginnen, zu überlegen, wie wir jetzt damit umgehen. Ob wir möglicherweise dahin gehen, dass wir sagen, wir verlagern unsere Arbeit noch mehr Richtung andere Netzwerke. Wir sind gerade am überlegen, ob wir beispielsweise auch jetzt noch mal eine neue Strategie im Bereich YouTube starten. Einfach, um auch, sagen wir mal, Bewegt-Bild auf möglichst vielen Plattformen streuen zu können.
    Agilität ist gefordert
    Baetz: Das heißt, andere Alternativen, als zu den großen Anbietern zu gehen - YouTube gehört ja zu Google - sehen Sie nicht?
    Weinhold: Wir testen prinzipiell viele Sachen. Wir stärken einerseits natürlich - das sprechen Sie an - auch unsere eigenen Plattformen massiv mit Bewegt-Bild-Inhalten. Wir versuchen, Videos auch beispielsweise auf tagesschau.de so optimiert anzubieten, dass Menschen dort unsere Videos auch gucken. Das sind eben nicht die klassischen "Tagesschau"-Beiträge, sondern es sind eben für Webseiten oder eben für Social Network konfektionierte Inhalte. Sie haben dort sehr schnell den Einstieg, Sie haben bildstarke Themen, Sie agieren i.d.R. mit sehr wenig Text. Das stärken wir einerseits, und andererseits überlegen wir, wie gesagt, ob wir in viele Richtungen überlegen. Wir haben mit dem jungen Angebot von ARD und ZDF Funk einen Messenger-Dienst auf die Schiene gesetzt mit dem Novi-Bot bei Facebook. Wir investieren oder überlegen auch gerade in Richtung Snapchat, was man da machen kann. Also, insofern ist eine hohe Agilität von uns gefordert. Wir versuchen, dem auch entgegenzuwirken, indem wir eben auch flexibler werden in den Strukturen.
    Baetz: Wir stehen Sie denn zu Überlegungen, die jetzt auch wieder aufgepoppt sind und dass die Öffentlich-Rechtlichen auch eine eigene Infrastruktur aufbauen? Ist das zukunftsfähig? Ist das vernünftig? Könnte das überhaupt klappen?
    Weinhold: Also, prinzipiell hören wir uns jeden Vorschlag in diese Richtung natürlich interessiert an. Wir haben das mitbekommen und uns unsere Gedanken dazu gemacht. Es ist natürlich immer - haben Sie es als öffentlich-rechtlicher Nachrichtenanbieter genauso wie die privaten Verleger schwierig, wenn Sie eine eigene Plattform aufmachen. Denn im Gegensatz zu der Funktionsweise, also von sozialen Netzwerken, eben ihre Freunde erreichen können, dass Sie sie dort über ihre privaten Dinge informieren, über Sportveranstaltungen sich austauschen können. Das ist für Menschen, die dahin gehen, eine ganz niedrige Schwelle, um dort - sagen wir mal - Inhalte, auch andere Inhalte, in dem Fall Nachrichteninhalte wahrzunehmen, d.h. sie sind per se schon da. Wenn Sie jetzt z.B. ein öffentlich-rechtliches Nachrichtennetzwerk schaffen würden, Facebook nur für Verlags- oder Funkangebote - dann gehen Sie davon aus, dass Menschen per se Nachrichten konsumieren wollen. Was wir feststellen, ist, dass gerade die jüngeren Altersgruppe - die müssen Sie an Nachrichten ranführen. Wir erreichen bei Facebook, wir reden über die Zielgruppe unter 30, sogar teilweise unter 20 auf anderen Plattformen, d.h. dort per se zu sagen, wir haben jetzt hier als öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine eigene App, die sie nutzen sollen oder einen eigene Plattform. Man müsste sich eine Begründung überlegen, warum Menschen das eben konsumieren sollen. Menschen konsumieren nicht automatisch Nachrichten, ist das, was wir eben feststellen. Wenn Sie dann noch bedenken, dass Menschen, so ein bis zwei oder viele User, mit denen wir im Gespräch sind, so ein bis zwei Apps auf ihren Smartphones heutzutage haben, die sie regelmäßig nutzen und die meistens auch schon seit Jahren regelmäßig nutzen, dann ist es eben sehr schwierig, glaube ich, eine neue App oder ein neues Angebot noch einmal zu starten.
    Patrick Weinhold ist Teamleiter Social Media der Tagesschau.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.