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Neue Figur in der Sesamstraße
Autismus leicht erklärt

Seit heute hat die US-amerikanische Ausgabe der Sesamstraße eine neue Bewohnerin. Die Puppe Julia ist ein Mädchen mit roten Haaren, pinkem Kleid – und mit Autismus.

von Guido Meyer |
    Das Bild zeigt Julia, die neue autistische Puppe der Sesamstraße.
    Julia, die neue Puppe in der Sesamstraße. (Zach Hyman/Sesame Workshop)
    Wer mit der deutschen Sesamstraße, mit Samson oder Tiffy aufgewachsen ist, der kann sich noch an den Reim erinnern: "Wer – wie – was, wieso – weshalb – warum, wer nicht fragt bleibt dumm". Mit ihm beginnt die Sendung bis heute. Im Original klingt die Sesamstraße anders. Sunny Days heißt das Lied der amerikanischen Sesame Street, "sonnige Tage" also in der Sesamstraße, in der Kinder in einer heilen, perfekten Welt leben.
    Julia, ein liebenswertes Mädchen mit Autismus
    Doch so ist die Wirklichkeit eben nicht. Und das zeigen nun auch die Macher der Sendung, der Sesame Workshop in New York. Dort ist Jeanette Betancourt Vizepräsidentin und für den sozialen Einfluss der Sesamstraße zuständig. Julia sei ein liebenswertes, neugieriges, wunderbares kleines Mädchen von vier Jahren, sagt die amerikanische Sprachtherapeutin. Sie habe rote Haare, dunkle, grüne Augen – und Autismus.
    Als der gelbe Riesenvogel Bibo in der heutigen Sesamstraßen-Folge 4715 auf Julia trifft, kommt von Julia erst einmal keine Reaktion. Bibo ist düpiert. Er glaubt, Julia möge ihn nicht. Die Puppe Elmo beruhigt Bibo, dass dem nicht so sei, sondern dass Julia austistisch sei und deswegen manchmal etwas länger brauche. Sie wirke halt sehr schüchtern.
    Autismus leicht erklärt
    Jeanette Betancourt: "Julia bedient sich zur Kommunikation verschiedener Wege. Sie ist nicht sehr redselig. Dafür benutzt sie oft einen Tablet-Computer. Auf ihm kann sie Bilder und Wörter auswählen, die sie benutzen möchte."
    Die Puppenspielerin von Julia hat selbst einen autistischen Sohn, weiß daher also, wie sie Julia anzulegen hat – ihre Blicke, ihre Gesten und ihre Sprache. Damit verfolgt Sesame Street wieder einmal den pädagogischen Ansatz, Kinder spielerisch an gesellschaftliche Probleme oder Krankheiten heranzuführen.
    Mit Missverständnisse und Mythen aufräumen
    Jeanette Betancourt: "Wir haben uns für Autismus entschieden, weil hier in Amerika eines von 68 Kindern davon betroffen ist. Es gibt jedoch viele Missverständnisse und Mythen um diese Krankheit herum. Oft werden die Unterschiede zu normalen Kindern überbetont statt der Gemeinsamkeiten. Autismus ist jedoch so häufig, dass die meisten von uns – ob alt oder jung – irgendwann mit einem autistischen Kind in Kontakt kommen werden, entweder direkt oder in unserer Gemeinde, unserer Nachbarschaft oder in kirchlichen Kreisen.
    In verschiedenen multi-medialen Ablegern von Sesame Street ist Julia schon vor anderthalb Jahren als digitale Figur eingeführt worden. Dennoch bleibt die Frage, warum sich die Macher gerade dieser Krankheit angenommen haben. Zwingend sei das nicht, findet Holger Hermesmeyer aus der Abteilung Kinder und Jugend beim NDR in Hamburg, wo die deutsche Sesamstraßen-Version produziert wird.
    Themen aus der Lebensrealität der Kinder aufgreifen
    Holger Hermesmeyer: "Ich finde es sehr wichtig, dass in Kinderprogrammen Themen aus der Lebensrealität der Kinder angesprochen werden, wie ,Angst, Verantwortung, Wut, soziale Konflikte, Streit mit den Freunden, Familienprobleme, aber eben auch Krankheiten und Behinderung. Ob man dafür direkt eine eigene Figur braucht für eine eigene Krankheit, das weiß ich nicht. Das legt einen schon sehr fest, finde ich, weil diese eine Figur dann ja immer auf dieses eine Thema festgelegt ist."
    Es dürfte Kindern in der Tat künftig schwerfallen, wenn sie Julia sehen, dabei nicht sofort an Autismus zu denken.
    Eine Julia in Deutschland?
    Nicht nur in den USA war die Puppe heute erstmals dabei. Die heutige Folge wird auch in Singapur laufen, in Großbritannien, Australien und Mexiko. In Deutschland wird Julia erst einmal nicht auftreten. Das kann sich aber jederzeit ändern.
    Holger Hermesmeyer: "Was die Figuren angeht, gibt es keinerlei Vorgaben vom Sesamestreet Workshop aus Amerika. Wir können redaktionell unabhängig festlegen, welchen Puppencast wir für unsere eigenen Produktionen brauchen und welche Figuren wir einsetzen wollen. Vielleicht gibt es ja demnächst ja ein paar Clips, die uns zur Übernahme angeboten werden. Dann werden wir die uns anschauen und entscheiden, ob sie in Format, Inhalt und auch in der Qualität in unsere Sendung passen oder nicht."
    Bis dahin werden Abby, Bibo, Elmo & Co. in den USA und anderen Ländern weiter versuchen, Julia zum Sprechen zu bewegen – oder zumindest zur Interaktion.