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Camus, Horror und Drogenhölle

Volles Programm wieder im Kino: Die Zuschauer erwartet in dieser Woche ein Blick in Kolumbiens Drogenhölle der 1990er-Jahre, eine Albert-Camus-Verfilmung und ein ziemlich unkonventioneller Horror-Film.

Von Hartwig Tegeler |
    "It Follows" von David Robert Mitchell
    "Es wird dir folgen!"
    Ach ja, der Sex: gefährlich. Als Jay in "It follows" das erste Mal mit ihrem Freund schläft ...
    "Jemand hat es mir angehängt, und ich habe es auf dich übertragen."
    verfolgt sie ein böser Fluch, den sie nur loswerden kann, wenn sie ihn dem Nächsten ebenfalls beim Sex weitergibt. Doch bis dahin verfolgt den Teenager in einer immer unheimlicher werdenden Welt eine Gestalt, die immer wieder ihr Aussehen wechseln kann. Nur Jays Freunde, keine Erwachsenen, haben Verständnis für den Horrortrip, den Jay durchlebt."
    "Verdammt, was ...? - Geh nachsehen."
    Großartig, wie David Robert Mitchell - ohne Blut oder Special Effects - die Stimmung, das Gefühl, die Verunsicherung von diesem Übergang in das Erwachsenenleben, der sich natürlich mit dem Sex verbindet, eingefangen hat.
    "In der Küche ist eine Fensterscheibe kaputt. Aber da ist niemand. - Bist du sicher?"
    Verblüffend, wie präzise, spannend und klug das Kino manchmal vom immer mitlaufenden Strom des Unterbewussten und seinen Versionen von der Welt erzählen kann. Und natürlich muss das, wenn wir mal die Genre-Schubladen aufziehen wollen
    "Hilfe! Hilfe!"
    ein Horrorfilm sein. Und in diesem Fall, was für ein verstörend-spannender.
    "It Follows" von David Robert Mitchell - herausragend.
    "Dem Menschen so fern" von David Oelhoffen
    Daru, französischer Lehrer in Algerien. 1954. Kurz vor Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges. Daru soll einen Algerier in die nächste Stadt bringen. Mohamad hat einen Mann getötet. Zwei Männer auf ihrem Fußmarsch durch ein karges, unsicheres Land, wo sie Mohamads gefährlichen Verwandten, algerischen Rebellen oder einer gnadenlosen Einheit der französischen Armee begegnen.
    Vielleicht kann, vielleicht muss man "Den Menschen so fern", David Oelhoffens Verfilmung von Abert Camus' Novelle "Der Gast", als einen Western betrachten. Die kargen Steinwüsten des algerischen Atlasgebirges, durch die die beiden Protagonisten ziehen, diese Landschaft ist wie in vielen Western auch hier Hauptdarsteller. Untermalt von den suggestiven Klängen des Soundtracks von Nick Cave und Warren Ellis. Ein magischer Raum, in dem der Mensch fast verschwindet.
    Viggo Mortensen spielt den Lehrer, der die Kinder in einem einsamen Schulhaus unterrichtet, das in diese Wüste gesetzt wirkt wie in einem Monument-Valley-Bild von John Ford. Viggo Mortensen, der dem Aragorn im "Herr(n) der Ringe" eine shakespearsche Dimension verlieh und damit immer wie ein Kontrapunkt zur Fantasy-Vorlage wirkte. Abenteurer und Grübler, verbunden mit einer fast unheimlich wirkenden Ruhe: Viggo Mortensen kann diese Facetten auch in "Den Menschen so fern" überzeugend vermitteln. Ebenso wie Reda Kateb, der den Reisepartner Mohamad spielt. Mit großer Wucht entfaltet David Oelhoffen so ein Drama über das Gegeneinander oder das Miteinander unterschiedlichen Kulturen oder Religionen.
    "Wo sind wir?"
    "Bersina."
    "Was machen wir da?"
    "Wirst schon sehen."
    "Kennst du den Ort?"
    "Da unten bin ich geboren. Meine Eltern haben im Tal gearbeitet. Und
    da drüben. Ich auch, als Kind."
    "Da drüben?"
    "In den Weinbergen und bei der Halfagras-Ernte."
    "Ich habe noch nie Franzosen Halfagras ernten sehen."
    "Nein, nein, sie waren Spanier. Aus Andalusien. "Los caracoles", so nannten sie uns. Die Schnecken. Mit dem Haus auf dem Buckel. Für die Franzosen waren wir Araber. Und für die Araber sind wir jetzt Franzosen."
    Am Ende ihres gemeinsamen Weges haben Daru und Mohamad eine große Nähe zu- und Verständnis füreinander entwickelt. Eine sehr zeitgemäße Botschaft, die dieser grandiose Film vermittelt.
    "Dem Menschen so fern" von David Oelhoffen - ein Meisterwerk.
    "Escobar - Paradise Lost"
    "Und das da ist Pablos Geld. Rührt es ja nicht an. Er muss in Bewegung bleiben zurzeit. Aber keine Sorge, dieser Krieg ist bald zu Ende."
    "Escobar - Paradise Lost", Andrea di Stefanos Film, erzählt vom berühmt-berüchtigten Drogenboss Pablo Escobar in den 1990er Jahren, als noch nicht der mexikanische, sondern der kolumbianische Drogenkrieg im Zentrum des Interesses stand. Nick, ein junger Kanadier, verliebt sich in die Nichte von Escobar. Josh Hutcherson spielt diesen blauäugigen jungen Mann, Benicio del Toro den Drogenboss, von dem eine verstörende Aura von Gefährlichkeit ausgeht.
    "Was ist passiert, Nico? Alles in Ordnung? - Du willst meinen Tod? -
    Wo bist du, mein Junge?"
    So vermittelt sich etwas von dem Gefühl, dass Überleben in dieser Welt reiner Zufall ist. Trotzdem bleibt "Escobar - Paradise Lost" zu sehr Hollywood-Klischees. Dass nämlich Josh Hutcherson, Star aus den "Tribute von Panem"-Verfilmungen, hier am Ende überlebt: vorhersehbar. Mit Gerardo Naranjos kantigem Drogenthriller "Miss Bala" von 2012 kann "Escobar" sich nicht messen.
    "Escobar - Paradise Lost" von Andreas di Stefano - annehmbar.