Das Fremde, das Exotische kann sich im Kino zu unserer großen Freude und zu unserem Vergnügen und in vielerlei Gestalt verbergen. Synchronschwimmen von Männern? Gar noch im recht reifen Alter? Bitte?
"Halte den Kopf gerade. Über der Wasseroberfläche."
Eric, das Zahlengenie, Steuerberater bei einer Kanzlei in der Finanzmetropole London.
"Wie geht es den vielen Zahlen?"
"Sie verhindern das Chaos."
"Sie verhindern das Chaos."
Eric in Oliver Parkers Film "Swimming with Men" ist gelangweilt vom Job und glaubt, seine Frau betrügt ihn. Midlife- oder wo auch immer zeitlich zu situierende -krise. Auszeit vom Frust findet Eric allein im Hallenbad, wo er eines - märchenhaften - Tages auf eine siebenköpfige Truppe von männlichen Synchronschwimmern trifft. Allerdings: von wegen synchron. Schließlich, nach einigen Ups and Downs, landen die Sieben plus Eric, wie zu erwarten, bei der Synchronschwimm-WM in Mailand, weil: "Du musst wissen, das hier ist nicht irgendein Club. Es ist eine Idee! - Ein Protest! - Ein Protest gegen das Ende der Träume."
Und gegen … "gegen die Sinnlosigkeit des Lebens. Gegen das, was aus uns geworden ist."
Erfrischende Variante von "Ganz oder gar nicht"
Soweit zum Lebensphilosophischen. Dass "Swimming with Men" nicht nur ein paar Logik-, sondern auch ganz offensichtlich einige Konditionslöcher seiner sich um schwimmende Eleganz bemühenden Protagonisten vorzuweisen hat, ändert nichts an diesem: Oliver Parker hat eine erfrischende Variante von "Ganz oder gar nicht" gedreht, in der die Protagonisten nicht arbeitslos sind, sondern vor allem ungelenk und wenig grazil. Aber fähig zu Freundschaft und Solidarität. Und sie schaffen es, sich von den Zwängen äußeren Scheins freizumachen. Was interessiert da noch ein Waschbrettbauch?
"Reine Mathematik. Das meiste beruht darauf. Ich bin Buchhalter."
Na gut, das sieht Eric am Ende dann doch anders. Natürlich gewinnen die Herren bei der WM nicht Gold, aber … na ja, Märchen? Ja, bitte dann eben Märchen.
"Swimming with Men" von Oliver Parker - empfehlenswert.
Das Fremde, das Exotische … jetzt, mit einem Schnitt, aus einem Londoner Schwimmbad in ein einsam gelegenes Bergdorf in Afghanistan. "Der Kashmir Wolf," erklärt die Stimme des alten Mannes, "geht auf zwei Beinen." Und unter seiner Haut, wenn er denn nachts durchs Dorf schleicht, verbirgt sich eine nackte Fee. Mit diesem Bild sind wir in Shahrbanoo Sadats Film "Wolf and Sheep" hineingezogen in die reale wie mythisch aufgeladene Welt in Afghanistan, in der die Jungen und die Mädchen - getrennt - die Schafe und Ziehen hüten. Und wenn sie das nicht richtig machen, wenn der Wolf, der wirkliche, nicht das Fabelwesen, Schafe reißt, dann sind sie verantwortlich und stecken sie die Prügel ein.
Hartes Leben, karge Landschaft
"Wolf and Sheep" erzählt von einem Jungen und einem Mädchen, deren Familien im Dorf Außenseiter sind. Deswegen geben sich Quodrat und Seiqa auf den Weiden der Schafe und Ziegen Halt, wenn sie spielen oder mit der Schleuder üben, um den Wolf zu vertreiben. Shaharbanoo Sadat erzählt eine anrührende Geschichte über die Kindheit und Freundschaft in einer Welt, in der das Leben hart und die Landschaft karg, aber gleichzeitig auch von einer strengen Schönheit ist.
"Wolf and Sheep" von Shahrbanoo Sadat - empfehlenswert.
Das ist eine Schule fürs Leben, sagt der tunesische Koch Hatem, der in der Wirtschaftskrise seinen festen Job verloren hat. Nun ist er im "Haus der Solidarität" untergekommen. Hatem sagt, das hier, das ist für ihn ein "sechster Kontinent", dieses große alte Haus am Rand von Brixen in Südtirol, das aussieht wie eine Burg. Eine feste Burg ist unser … Halt? Andreas Pilcher porträtiert in seiner Doku "Der sechste Kontinent" diesen Ort, in dem 50 Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft für ein, maximal zwei Jahre leben. Ehemalige Diebe und Alkoholiker, Obdachlose oder Flüchtlinge erzählen in dieser Doku von ihrem Leben, wie auch die Sozialarbeiter, die das "Haus der Solidarität" leiten und von den Schwierigkeiten berichten, diesen Gestrandeten zu helfen, wieder auf die Beine zukommen.
Jenseits von Sozialromantik
Sozialarbeiter Alexander: "Nach einem Jahr kommt dann so ein massiver, wirklicher Abfall und dann bekommen wir als Hausleitung die massive 'Watschen'. Und dann sind wir für alles schuld."
"Der sechste Kontinent" ist ein eindrucksvoller Dokumentarfilm, weil er nahe an den Menschen bleibt und jenseits von Sozialromantik von einem anstrengenden Überlebenskampf erzählt. Wir sehen Ervin, den Ex-Alkoholiker, oder Ousman, den afrikanischen Bürgerkriegsflüchtling, wir sehen, welch entscheidenden, einzigen Halt ihnen das "Haus der Solidarität" gibt. "Der sechste Kontinent" ist mithin eine große Erzählung über die Menschlichkeit. Doch solch ein "Haus der Solidarität" ist bei uns inzwischen vielleicht ein sehr, sehr exotischer Ort der Gesellschaft geworden.
"Der sechste Kontinent" von Andreas Pilcher - herausragend.