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Neue Filme
Ein verlorener Staat und drei verlorene Söhne

Der Filmemacher Fatih Akin sprang bei der Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick" für einen anderern Regisseur ein. Der hatte aus Termingründen abgesagt. Gut, dass es so gekommen ist, findet unser Kritiker. Außerdem in den neuen Filmen: die Vater-Sohn-Geschichte "Auf Augenhöhe" und Bernd Michael Lades Abgesang auf die DDR in "Das Geständnis".

Von Hartwig Tegeler |
    Szene aus der Ost-Berliner "Morduntersuchungskommission" im Film "Das Geständnis".
    Szene aus der Ost-Berliner „Morduntersuchungskommission“ im Film "Das Geständnis". (ARIES IMAGES/Guntram Franke)
    "Das Geständnis" von Bernd Michael Lade
    "Morduntersuchungskommission Berlin. Major Panzer."
    Das Ende deutet sich an. Juni 1988. Berlin. Alexanderplatz. Mordkommission, die nicht "Mordkommission" heißen darf, sondern "Morduntersuchungskommission", weil es im Sozialismus an sich keine Morde geben darf. Aber es gibt sie: "Also, wir haben bei allen Lichtverhältnissen alles nachgestellt. Ganz klar, sie hat ihn geschubst."
    Nur zwei Räume in der Mordkommission. Das ist die Spielfläche von "Das Geständnis", einem Film, den Bernd Michael Lade inszeniert hat, Ex-DDR-Punk, unter anderem Ex-"Tatort"-Kommissar, und nun auch Hauptdarsteller in seinem Film. Lade entwirft eine Metapher über eine Gesellschaft, die sich quasi hinter eine Mauer zurückgezogen hat; und hier, in den beiden klaustrophobischen Räumen, präsentiert sich das gesamte menschliche und politische Repertoire zwischen Anpassung, Anecken, Mitlaufen und Kollegen Ausspionieren. Bis 1990 ein Wessie das Kommissariat übernimmt.
    "'Das Geständnis' war von vornherein so konzipiert, dass sich der Film ganz auf das Schauspiel konzentrieren wollte", sagt Bernd Michael Lade. Ohne Ablenkung sollte die Spannung unter der Oberfläche spürbar werden, die für ihn, meint Lade, in den letzten Tagen der DDR charakteristisch war. "Das Geständnis" ist eine intensive kammerspielartige Verdichtung eines Staates in Auflösung und einer Gesellschaft in Agonie.
    "Das Geständnis" von Bernd Michael Lade - herausragend
    "Auf Augenhöhe" von Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf
    Wie war das noch einmal mit dem Begriff "Coming of Age", zu Deutsch "Heranwachsen" oder "Erwachsenwerden": Durch schwere Situationen, durch schmerzhafte Erfahrungen geht es ans Licht. Eine Heldenreise wie die von Michi. Michis Leben am Anfang von Evi Goldbrunners und Joachim Dollhopfs Film "Auf Augenhöhe" ist übel: Michis Mutter ist tot; er lebt im Heim. Aber der Zehnjährige hat einen Plan: "Hallo, Herr Lamprecht, ich weiß von meiner Mama, dass Sie mein Vater sind. Ich würde Sie sehr gerne kennenlernen."
    Michis Traum: den Vater finden und einen Halt in seinem Leben finden durch einen, dem er vertrauen kann. Er findet ihn, um dann allerdings festzustellen, dass Vater Tom kleinwüchsig ist. Er ist sogar noch kleiner als sein Sohn. "Auf Augenhöhe" ist eine Geschichte, die von der Annäherung zwischen Sohn und Vater erzählt; eine Annäherung, die quälend ist, sehr emotional, voller Wut und Freude, voller Enttäuschungen und Hoffnungen. Mit einigen komischen, total politisch unkorrekten Volten, wenn der Sohn beispielsweise dem kleinwüchsigen Vater Bewegungstraining gibt: "Darf ich dir mal einen Tipp geben? - Okay! - Du musst an deinem Gang arbeiten. Na ja, du watschelst wie eine Ente. Quak, quak, quak, quak."
    Dies ist ein Film, der den Weg zu Akzeptanz und Toleranz gegenüber dem Anderen als anstrengende, aber ganz und gar lohnende Arbeit beschreibt.
    "Auf Augenhöhe" von Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf - empfehlenswert
    "Tschick" von Fatih Akin
    Eine Heldenreise wie die von Michi. Oder die von Maik und Tschick. Der Neue in Maiks Klasse: "Ladies and gentlemen, wir haben einen neuen Mitschüler. Sein Name ist Andrej Tschi…tscha…tschorow. - Tschichatschow …"
    Oder auch kurz: Tschick. Riesengroß, Schlitzaugen, Glatze, auf dem Vorderhaupt eine Haarsträhne, in der Plastiktüte Wodka. Maik, dessen Mutter Säuferin ist; Maik, der unglücklich verknallt ist in eine aus seiner Klasse; dessen Vater nur Kohle, aber keine Gefühle gibt. Dass Maik und Neuankömmling Tschick sich von Berlin aus Richtung Osten in diesem Sommer auf den Weg machen müssen zu diesem Traum-Ort namens Walachei: klar. Und zwar im Lada. Mit dem werden sie es immerhin bis in die ostdeutsche Provinz schaffen. Apropos Lada: "Ist der geklaut? - Nein, Mann, ist nur geliehen. Stell ich nachher wieder zurück."
    Mit "Tschick" ist Fatih Akin ein wunderbarer Roadmovie gelungen. Es geht durch die Provinz, durchs Maisfeld, durch einen Sumpf und bis zur Brücke im Nirgendwo, die einfach aufhört. Aber auch danach geht's noch weiter. So, wie es sich eben für zwei 14-Jährige gehört, ist erstens der Weg das Ziel und zweitens braucht es dazu natürlich einen Soundtrack, hier mit Beginner, Fraktus, Bilderbuch und, ja, Richard Clayderman. Was eben alles so an Kassetten in geklauten Ladas rumliegt. Dazu gibt es in diesem Kosmos von Heranwachsen unter Windmühlenflügeln Reflexionen über Außerirdische und eine improvisierte Ortsbestimmung: "Du weißt schon, dass man mit einer Armbanduhr die Himmelsrichtung bestimmen kann. - Dann ist da Norden? Seit wann steht die Sonne im Norden? - Ist wegen der Sommerzeit. Im Sommer geht es nicht. Dreh man eine Stunde zurück."
    Am Ende dieses Sommers, den Fatih Akin aufgeladen hat mit wundervollen wie schmerzhaften Gefühlen über das Erwachsenwerden, geht Maik nicht mehr als der Maik, der er vor dem Trip mit Tschick war, wieder in die Schule. Und Tschick bleibt sowieso weiter 'on the road'.
    "Tschick" von Fatih Akin - herausragend