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Einmal quer durch New York

Die Vergnügungsparks auf Coney Island macht Woody Allen zum Schauplatz seines Films "Wonder Wheel". Zwischen Manhattan und Westchester County spielt der Actionkrimi "The Commuter". Mit dem Viertel Lower East Side war der Künstler Tony Conrad eng verbunden, dem der Dokumentarfilm "Tony Conrad – Completely in the Present" gewidmet ist.

Von Jörg Albrecht |
    Ein schwaches Echo an Tennessee Williams und die 50er Jahre in New York: Woody Allens "Wonder Wheel"
    Ein schwaches Echo an Tennessee Williams und die 50er Jahre in New York: Woody Allens "Wonder Wheel" (imago stock&people)
    "Wonder Wheel" von Woody Allen
    So ganz passen will der Song Coney Island Washboard von den Mills Brothers nicht. Denn seine Aufnahme stammt aus der Blütezeit der großen Vergnügungsparks auf der New Yorker Halbinsel in den 1920er-Jahren. Die Geschichte aber, die Woody Allen dort angesiedelt hat, spielt 30 Jahre später.
    "Coney Island in den Fünfzigern. Der Strand. Die Promenade. Ich arbeite hier in Abschnitt 7."
    Der allwissende Erzähler, der in die Kamera spricht, ist der von Justin Timberlake gespielte Rettungsschwimmer Mickey. Für Mickey ist es nur ein Sommerjob, denn er träumt davon, für die große Bühne zu schreiben.

    "Auftritt Carolina."
    - "Entschuldigung, wissen Sie, ob Ginny hier ist?"
    - "Ich bin Ginny."
    - "Ich bin Humptys Tochter. Sind Sie seine Frau?"
    - "Der wird ganz schön überrascht sein."
    Die drei anderen Hauptfiguren in "Wonder Wheel": der Karussellbetreiber Humpty, seine erwachsene Tochter Carolina, die sich bei ihrem Vater verstecken will.
    - "Ich werde gejagt. Die bringen mich um."
    - "Das hat man davon, wenn man einen Gangster heiratet."
    ... und Humptys Ehefrau Ginny. Kate Winslet verkörpert die Ex-Schauspielerin, deren erste Ehe in die Brüche gegangen ist und deren zweite mit Humpty auch nicht besser läuft. Als Ginny mit Mickey eine Affäre beginnt, sieht sie einen Weg, ihr freudloses Dasein auf Coney Island hinter sich zu lassen.
    Doch Allen wäre nicht Allen, würde er seine Figuren geradlinig auf ein Happy End zusteuern lassen.

    "Mir zerspringt der Schädel. Es bricht alles zusammen."
    - "Du siehst ein bisschen irre aus."

    Eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs und - auf formaler Ebene - das Durchbrechen der Vierten Wand: Auch "Wonder Wheel" ist Woody Allen pur. Tragisch nur, dass diese Geschichte, die wie das ferne Echo eines Tennessee-Williams-Stoffs tönt, erstens unglaublich langweilig ist, und zweitens der ewige Stadtneurotiker völlig vergessen hat, in seinem Ideenbüchlein nach Bonmots zu kramen. So wenig Esprit hatte lange kein Allen-Film mehr.
    "Wonder Wheel": enttäuschend
    "The Commuter" von Jaume Collet-Serra
    Ein fahrender Zug als Ort für einen Krimi, einen Thriller oder ein Actionabenteuer hat Filmemacher schon immer fasziniert. Eine Kombination aus allen drei Genres präsentiert Regisseur Jaume Collet-Serra jetzt mit "The Commuter", seinem vierten Film mit Liam Neeson in der Hauptrolle. Ähnlich wie in den drei Vorgängern spielt Neeson einen Normalo, der in eine lebensbedrohliche Situation gerät und über sich hinauswachsen muss.
    "Machen wir ein Experiment! Was wäre, wenn ich Sie darum bitten würde, eine kleine Sache zu erledigen?"
    Im Pendlerzug, der den Versicherungsmakler Michael täglich von Manhattan nach Westchester County bringt, macht ihm eine Fremde ein verlockendes Angebot: 100.000 Dollar warten auf Michael, wenn er einen Mitreisenden aufspürt, der im Besitz einer Tasche ist, in der sich gestohlenes Material befinden soll.
    "Ist nur eine Kleinigkeit. Sollte nicht schwierig sein für einen Ex-Cop."
    - "Sekunde! Woher wissen Sie das?"
    - "Hier muss ich raus."
    - "Sie meinen das ernst, oder?"
    Wie ernst - das wird Michael schneller spüren, als ihm lieb ist. Plötzlich ist nicht nur er in Gefahr, sondern auch alle anderen Fahrgäste sowie seine Familie zu Hause.
    Wer diese weitgehend in Echtzeit spielende Zugfahrt auf Logiklöcher hin untersucht und sich bereits an ihrer hanebüchenen Weichenstellung stört, landet schon nach zehn Minuten auf dem Abstellgleis. Man kann das Ganze aber auch als temporeiche Variation vom eher manierierten "Mord im Orient-Express"-Remake genießen.
    "The Commuter": akzeptabel
    "Tony Conrad - Completely in the Present" von Tyler Hubby
    Der Zug rollt weiter. Ein Zug aus wummernden, minimalistischen Klängen.
    Der Sound komme auf einen zu wie ein Zug. Man stehe auf den Gleisen und auf einmal komme er. Sagt Tony Conrad, Multimediakünstler und Schöpfer dieser Töne. Das filmische Porträt "Completely in the Present" von Tyler Hubby versucht den Tony-Conrad-Kosmos aus Sounds und Bildern gemeinsam mit dem Künstler zu ergründen. Viele der Aufnahmen sind nur wenige Wochen vor Conrads Tod im April 2016 entstanden. Dabei vermischen sich historischer Abriss und analytische Interviews.
    Tony Conrad erzählt, dass er absolut nichts von der Idee gehalten habe, mit Musik Karriere zu machen. Er habe etwas Anderes machen wollen als Philip Glass, Steve Reich oder La Monte Young, die alle das Ziel hatten, große Komponisten zu werden. Ihm dagegen sei wichtig gewesen, die Komposition abzuschaffen und sie aussterben zu lassen.
    Soundtracks für Experimentalstreifen, eigene Filmexperimente und minimalistische Klangteppiche mit Lou Reed und John Cale, die in seinem Apartment in der Lower East Side später The Velvet Underground gründen sollten: Der erfrischende und informative Dokumentarfilm erinnert an einen Avantgardisten und sympathischen Querkopf, der selbst nie berühmt wurde und der doch so viele andere Künstler beeinflusst hat.
    "Tony Conrad - Completely in the Present": empfehlenswert