Einmal sitzt Ibrahim auf einer Bank vor einer weißen Wand, er hat mit einem anderen Flüchtling geredet. Dann geht er weg. Trotzdem zeigt Karim Aïnouz in "Zentralflughafen THF" weiter die Wand. Mit diesem dramaturgischen Trick stellt sich verblüffender Weise sofort ein intensives Gefühl für den Raum des Films ein, den des ehemaligen Flughafens Tempelhof. 1923 erbaut. Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlager während der Nazi-Zeit. Nach dem Krieg Symbol für die Berliner Luftbrücke. Bis in die 90er-Jahre Standort der US Air Force. 2008 als Flughafen geschlossen. Ab Sommer 2015 wurden die Tempelhofer Hangars zur größten Flüchtlingsunterkunft Deutschlands. "Ich weiß noch", erzählt Ibrahim, vor einer der weißen Wohnwaben sitzend:
"Ich weiß noch, wie mir kurz nach meiner Ankunft Leute erzählten, sie dachten, sie werden direkt in die Türkei oder nach Syrien zurückgebracht, als sie zum ersten Mal die Flugzeuge vor den Hangars sahen."
Die Reflexion über Flucht, Heimat und die Leere
Das Faszinierende an Karim Aïnouz' Dokumentation sind die Überlagerungen. Die von aktuellen Räumen mit denen der Vergangenheit, die sich in der Flughafenarchitektur abbilden. Dazu die Geschichten der Flüchtlinge, ihr Warten in diesem Transitraum, das wiederum konterkariert wird von den Berlinern, für die das ehemalige Flughafengelände Freizeitpark ist. Aus all dem entspringt selbstverständlich die Reflexion über Flucht, Heimat und die Leere, die entsteht, wenn Heimat nicht mehr da ist.
"Zentralflughafen THF" von Karim Aïnouz – herausragend.
Schon der Titel von Susanna Whites Film "Die Frau, die vorausgeht" evoziert das Bild eines Raumes. Eine Frau schreitet durch die einsame Weite der endlosen Prärie. Caroline - Jessica Chastain spielt die historische Figur Caroline -, die mit dem Zug in der Prärie von South Dakota ankommt, sie will ein Porträt von Sitting Bull malen, ...
"Ich bin Malerin!"
... der ein tristes Leben im Reservat führt. Der berühmt-berüchtigte Dakota-Häuptling stimmt zu.
"Sie können nicht gut stillhalten, oder? - Erschießen Sie mich, dann halte ich still."
Die weiße Künstlerin als selbstbewusste, sture Frau
Susanna White erzählt von der weißen Künstlerin als selbstbewusster, sturer Frau, die das Ansehen des Indianers gewinnt, weil sie sich dem Rassismus der anderen Weißen widersetzt. Dazu gehört Mut.
"Es ist verdammt schwer, tapfer zu sein."
Sitting Bull - gespielt von Michael Greyeyes - wird in "Die Frau, die vorausgeht" als Mann gezeichnet, der weiß, dass die Nomadenkultur der Native Americans verloren ist, unwiederbringlich. Caroline, Sitting Bull, die Weite der Prärie, schön, magisch, aber auch wie gefüllt von der Erfahrung des Krieges und Genozids. Umso eindrucksvoller wirkt da die Botschaft, dass Verständigung zwischen Kulturen möglich ist. Zwischen Caroline und Sitting Bull entsteht eine tiefe Zuneigung. Trauer begegnet Hoffnung - keine schlechte Mischung für einen Film.
"Die Frau, die vorausgeht" von Susanna White – herausragend.
"Wann habe ich aufgehört, dich anzusehen?"
Fragt der 76-jährige Victor seine ein Jahr jüngere Frau Candelaria im Film "Candelaria - Ein kubanischer Sommer". Victors Frage allerdings zeigt schon, dass die Ehepartner sich neu entdecken. In dem Alter! Das krisengeschüttelte Kuba der ersten Hälfte der 1990er-Jahre. Candelaria hat beim Job im Hotel eine Videokamera gefunden.
"Zwischen den dreckigen Bettlaken. Im Keller. Wir könnten die verkaufen."
Doch dann fangen die beiden an, sich zu filmen. Neues Leben kommt in ihre in Monotonie versunkene Beziehung. Bis die Kamera verschwunden ist und Victor sich auf die abenteuerliche Suche nach ihr in Havanna begeben muss. Regisseur Jhonny Hendrix Hinestroza inszeniert diese Parabel über Vergänglichkeit, Liebe und Lebensfreude an einem Ort, den ein Freund Victors so beschreibt: Havanna, Kuba, vollkommen im Eimer, aber keiner kann es zum Einsturz bringen. In solchen Räumen - Kinoräumen - entstehen Geschichten.
"Candelaria – Ein kubanischer Sommer" von Jhonny Hendrix Hinestroza – empfehlenswert.