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Gerissene Schurken und gebrochene Väter

Die Oscar-Nominierungen stehen an. Chancen dürfen sich die Macher von "The Wolf of Wall Street" - mit einem überragenden Leonardo DiCaprio - ausrechnen. Auch das Road Movie "Nebraska" von Alexander Payne werden die Juroren sich genau angeschaut haben.

Von Jörg Albrecht |
    Der Schauspieler Leonardo DiCaprio als Jordan Belfort in einer undatierten Filmszene des Kinofilms «The Wolf Of Wall Street». Das Biographie-Drama kommt am 16.01.2014 in die deutschen Kinos. Foto: Mary Cybulski/Paramount Pictures/dpa
    Leonardo DiCaprio als Titelheld Jordan Belfort im neuen Kinofilm "The Wolf Of Wall Street" (Mary Cybulski/Paramount Pictures/dpa)
    "The Wolf of Wall Street" von Martin Scorsese
    "Das ist sein erster Tag an der Wall Street. Das wird schon."
    Recht soll er behalten – der Mentor von Jordan Belfort, einem jungen Börsenmakler, der Mitte der 1980er-Jahre an die Wall Street kommt – zu der Zeit also, in der auch Oliver Stones Film mit Michael Douglas spielt. War Stones Hauptfigur Gordon Gekko nur angelehnt an bekannte Finanz-Größen, letztlich aber fiktiv, so ist dieser Jordan Belfort ganz real. Seine Geschichte, die er im Buch "The Wolf of Wall Street" aufgeschrieben hat, ist jetzt von Martin Scorsese in einer wilden Kreuzung aus Biographie, Satire und Krimi aufbereitet worden mit Leonardo DiCaprio in der Titelrolle.
    "Im zarten Alter von 22 begab ich mich an den einzigen Ort, der zu meinen hochgesteckten Zielen passte. – Das Spiel heißt ´Zieh deinen Kunden das Geld aus der Tasche und lass es in deine verschwinden!´ ... Ich liebe drei Dinge: mein Land, Jesus Christus und Leute reich zu machen."
    Vor allem hat Belfort sich selbst reich gemacht. Und das oft am Rande der Legalität. Wegen Geldwäsche und Betrugs saß er knapp zwei Jahre im Gefängnis. Vorher aber hat Belfort ein Jahrzehnt in Saus und Braus gelebt. Ein exzessives Leben, das Scorsese in einem exzessiven Film abbildet. Belforts ekstatische Motivationsreden für seine zeitweise tausendköpfige Mannschaft wechseln sich ab mit ausschweifenden Koks-und-Nutten-Partys. "The Wolf of Wall Street" gerät so zu einer dreistündigen Dauerorgie, an deren Ende die völlige Erschöpfung steht. DiCaprios Parforceritt eines Zügellosen ist meisterlich, Scorseses "GoodFellas"-Variante aus der dekadenten Finanzwelt ist es dagegen nur in einzelnen Szenen, nicht aber als Ganzes. Ein Film wie ein Ungetüm, das vor Kraft kaum laufen kann.
    "The Wolf of Wall Street": zwiespältig.
    "Nebraska" von Alexander Payne
    "Komm, ich bring dich wieder nach Hause. – Ich gehe nach Lincoln. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.“
    Gegensätzlicher kann Kino kaum sein. Verglichen mit „The Wolf of Wall Street“, ist Alexander Paynes "Nebraska" wie in Zeitlupe gedreht. Payne erzählt in seinem Schwarz-Weiß-Film von Woody, einem alten Eigenbrötler, der fest entschlossen ist, sich einen vermeintlichen Millionengewinn aus einem 1.500 Kilometer entfernten Ort abzuholen. So hat es schließlich der Werbeprospekt versprochen. Weder die Ehefrau noch die beiden Söhne können Woody von seinem Plan abbringen.
    "Dad, ich kann dich nicht gehen lassen. – Das geht dich überhaupt nichts an. – Doch tut es. Ich bin dein Sohn. – Dann fahr mich doch hin. – Ich kann nicht alles stehen lassen und dich nach Lincoln, Nebraska fahren. Was hast du denn schon groß vor?"
    Der jüngere der beiden Söhne lässt sich breitschlagen und macht sich mit seinem sturen Vater auf den Weg nach Lincoln. Die Reise, die unter anderem durch Woodys Geburtsort führt, bringt Vater und Sohn einander näher. Wie üblich in seinen Filmen legt Alexander Payne auch in "Nebraska" größten Wert auf eine genaue Figurenzeichnung in einer leisen Geschichte, die zwischen Komik und Tragik balanciert und falsche Sentimentalitäten ausspart. Anders als noch in "About Schmidt" mit Jack Nicholson verzichtet Payne diesmal auf einen großen Hollywood-Star. Die Rolle des Woody hat er dem schon fast in Vergessenheit geratenen Bruce Dern gegeben.
    "Nebraska": empfehlenswert.
    "Über das Meer" von Arend Agthe
    "Und dann haben wir diese Decke genommen. Vorher hatten wir diese zehn Meter Schwimmleine, mit der wir uns verbunden hatten. Jedenfalls sind wir dann langsam losgerobbt."
    Erhard Schelter erinnert sich an die Nacht vom 21. auf den 22. September 1974. Damals ist er zusammen mit einem Freund vom ostdeutschen Boltenhagen 30 Kilometer durch die Ostsee in die Bundesrepublik geschwommen. Der Filmemacher Arend Agthe hat für seine Dokumentation "Über das Meer" Schelters Flucht rekonstruiert. Genauso spannend wie das Protokoll dieser Flucht und ihrer Vorbereitung sind Schelters Erinnerungen an sein Leben in der DDR, das von Repressionen geprägt war. Schelter gelang die Flucht, Hunderte seiner Landsleute aber wurden von Grenzsoldaten erschossen.
    „Über das Meer“: empfehlenswert.
    "Das radikal Böse" von Stefan Ruzowitzky
    Die Frage, warum Männer auf Befehl zu Mördern werden, stellt der Filmemacher Stefan Ruzowitzky. In "Das radikal Böse" versucht er zu ergründen, weshalb deutsche Soldaten unter der Nazi-Diktatur jüdische Zivilisten erschossen haben. Dazu hat Ruzowitzky Tagebücher und Briefe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gesichtet und mit den Stimmen bekannter Schauspieler wie Benno Fürmann und Devid Striesow vertont.
    "Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Ich zitterte so sehr, dass mir das Zielen schwerfiel. Als die anderen Kameraden auf die am Boden liegenden Juden schossen, habe auch ich – etwa zwei Meter hinter meinem Opfer stehend – auf das Genick gezielt und geschossen."
    Es sind erschütternde Aussagen, die hier keineswegs die Täter zu Opfern machen wollen. Ein Jeder hätte den Befehl schließlich verweigern können. Zusammen aber mit den Ausführungen von Wissenschaftlern und den Ergebnissen von sozialpsychologischen Experimenten wie dem Rorschachtest veranschaulichen sie, dass die Massenmorde nicht von Bestien begangen wurden. Stattdessen sei Genozid etwas zutiefst Menschliches. So die bittere und erschreckende Erkenntnis von Stefan Ruzowitzkys Dokumentation.
    "Das radikal Böse": empfehlenswert.