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In der (Un)ruhe liegt die Kraft

Wie die letzten Stunden im Leben des Ötzi ausgesehen haben könnten, zeigt der Spielfilm "Der Mann aus dem Eis". Die Beziehung der Menschen zu den Bergen und zum Lärm ist Thema der Dokumentarfilme "Mountain" und "Zeit für Stille". Und das französische Drama "120 BPM" schildert den Kampf einer Aktivistengruppe gegen AIDS.

Von Jörg Albrecht |
    Schauspieler Jürgen Vogel geht über Steine am 27.09.2016 am Set der Kinoproduktion "Der Mann aus dem Eis" in der Asamklamm bei Eschenlohe (Bayern)
    Jürgen Vogel als Ötzi bei den Dreharbeiten von "Der Mann aus dem Eis" (Felix Hörhager/dpa)
    "Der Mann aus dem Eis" von Felix Randau
    In der rauen Wildnis der Berge macht sich ein Mann auf, die Mörder seiner Familie zu jagen, um sich an ihnen zu rächen. Die Synopsis von "Der Mann aus dem Eis" ähnelt der des Films "The Revenant". Nur dass diese Geschichte nicht vor 200 Jahren spielt, sondern vor rund 5.300 Jahren.
    Jürgen Vogel spielt den als Ötzi bekannten Mann aus dem Eis. In der Geschichte von Regisseur Felix Randau trägt er den Namen Kelab, der Vergeltung für den Mord an seiner Frau und seinem kleinen Sohn üben will.
    So wie die Legenden, die sich um die Lebensgeschichte des Trappers Hugh Glass ranken, das Drehbuch von "The Revenant" geprägt haben, verhält es sich auch mit "Der Mann aus dem Eis". Hier sind es die von den Wissenschaftlern am Körper der Gletschermumie festgestellten Verletzungen, die als Grundlage dienen für die spekulative Handlung über die letzten Tage in Ötzis Leben.
    Felix Randau hat diese archaische Geschichte in opulenten Bildern und fast ohne Worte verfilmt. Allerdings auch ohne eine eigene Handschrift erkennen zu lassen.
    "Der Mann aus dem Eis": akzeptabel
    "Mountain" von Jennifer Peedom und "Zeit für Stille" von Patrick Shen
    Ein Bergpanorama
    Atemberaubende Bilder in der Dokumentation "Mountain" von Jennifer Peedom (DCM)
    Unsere Ehrfurcht nehme seltsame Formen an und unsere Darbietungen, die wir aufführen, während uns die Berge als Bühne dienen, seien kurios. Der Schauspieler Willem Dafoe gibt den Erzähler und Vivaldi sowie noch weitere Komponisten liefern den Soundtrack zum Bilderrausch, den die australische Regisseurin Jennifer Peedom in ihrem Dokumentarfilm "Mountain" serviert. Wir bleiben in der Welt der Berge und ihrer Faszination, die sie auf immer mehr Menschen auszuüben scheint.
    Während Willem Dafoe von denen spricht, die die Berge in ihren Bann gezogen haben, und von jenen, für die diese Faszination an Wahnsinn grenzt, sehen wir einen Kletterer, der ohne Sicherung in einer Steilwand hängt. Sein Gesicht, in dem sich Glückseligkeit und völliger Irrsinn spiegeln, spricht Bände.
    "Mountain" zeigt viele Bilder von solchen Menschen, die sich dann am lebendigsten fühlen, wenn sie dem Tod direkt ins Auge blicken. "Mountain" fängt all das ein in atemberaubenden Bildern, die ein ambivalentes Gefühl hinterlassen über die Beziehung von Mensch und Natur.
    "Über allen Gipfeln ist Ruh" hat Goethe gedichtet. Und der Ruhe widmet sich ein weiterer Dokumentarfilm. In "Zeit für Stille" unternimmt der US-Amerikaner Patrick Shen den Versuch, sich dem abstrakten Begriff von der Stille anzunähern.
    Durch Zen spüre man die Stille körperlich. Berichtet ein japanischer Priester. Man erlebe sie jeden Tag, bis sie zu einem Teil von einem selbst werde. Shen ist ein leiser Film über Entschleunigung in einer lauten, hektischen Zeit geglückt.
    "Zeit für Stille" und "Mountain": beide empfehlenswert
    "120 BPM" von Robin Campillo
    Nahuel Pérez Biscayart als Sean im Film "120 BPM"
    Nahuel Pérez Biscayart als Sean im Film "120 BPM" (Salzgeber & Co. Medien GmbH)
    Ganz und gar nicht still ist der Pariser Ableger der 1987 in New York gegründeten Aktivistengruppe Act Up. Denn Stille heißt Tod. So steht es auf ihren Plakaten geschrieben. Es sind die frühen 1990er-Jahre. Die Mitglieder von Act Up, viele von ihnen -wie Sean - sind HIV-positiv, protestieren gegen die Untätigkeit der französischen Regierung und gegen die Pharmaindustrie, die ihrer Meinung nach die Entwicklung neuer Medikamente verzögert. Act Up ist dabei wörtlich zu nehmen: Die Gruppe macht Ärger. Sie stört Konferenzen, wirft Beutel mit Kunstblut und besetzt die Räume eines Arzneimittelherstellers.
    Ob sie verrückt seien, wird Sean gefragt. Er antwortet:
    "Ja, weil wir krank sind und alle vier Stunden AZT schlucken müssen."
    Auf den Vorschlag von einem Mitarbeiter des Pharmaunternehmens, dass man sich doch zusammensetzen und miteinander reden könne, entgegnet er:
    "Wir haben keine Zeit mehr. Wir verrecken."
    "120 BPM" - der Titel bezieht sich auf die in den 90ern populäre Housemusik - steht auch für den erhöhten Pulsschlag, der als Motor dient in diesem energiegeladenen Film. Das erinnert vor allem dann, wenn die Aktivistengruppe über ihre nächsten Aktionen und ihre strategische Ausrichtung diskutiert, an das kämpferische Politkino des Briten Ken Loach.
    Regisseur Robin Campillo zeigt diese Treffen in aller Ausführlichkeit. Damit die Hauptfiguren wie Sean aber nicht zu austauschbaren Stichwortgebern werden, hat ihnen Campillo auch eine Geschichte gegeben. Die erzählt sehr bewegend von der Liebe und vom Sterben.
    "120 BPM": empfehlenswert