"Körper und Seele" von Ildikó Enyedi
Auf einer verschneiten Waldlichtung äsen ein Hirsch und eine Hirschkuh. Es sind idyllische Bilder, mit denen die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi ihren Film "Körper und Seele" eröffnet.
Dann der harte Schnitt: Kühe stehen eingepfercht in einem Verschlag. Es sind Bilder aus einem Schlachthof, dem neuen Arbeitsplatz von Maria. Die junge Frau zieht die neugierigen Blicke ihrer Kollegen förmlich auf sich, denn sie verhält sich eigenartig. Maria bewegt sich wie ein Roboter, ihre Blicke sind starr, ihre Worte überschaubar. Endre, der Geschäftsführer des Schlachthofs, ist trotzdem oder vielleicht gerade deswegen fasziniert von seiner neuen Mitarbeiterin.
Dass die Liebe ein seltsames Spiel ist und oft die verschlungensten Wege nimmt - davon haben schon unzählige Filme gehandelt. In "Körper und Seele" ist es ein unerklärliches, transzendentales Vorkommnis, das Maria und Endre verbinden wird. Beide haben Nacht für Nacht denselben Traum und die Hirsche vom Anfang bekommen ihren Sinn.
"Also in meinem Traum war ich wieder ein Hirsch. Wie in jeder Nacht seit einiger Zeit. Da war eine Hirschkuh."
"Wo?"
"Na in dem Wald. Was haben Sie denn geträumt?"
"Das."
"Was?!"
"Das gleiche wie Sie."
"Das sagen Sie jetzt nur so."
"Nein."
"Ich glaube Ihnen nicht."
"Das macht nichts."
"Wo?"
"Na in dem Wald. Was haben Sie denn geträumt?"
"Das."
"Was?!"
"Das gleiche wie Sie."
"Das sagen Sie jetzt nur so."
"Nein."
"Ich glaube Ihnen nicht."
"Das macht nichts."
Endre, der mit der Liebe lange schon abgeschlossen hat, und Maria, die sie bislang noch gar nicht kennt - Endre und Maria verabreden sich. Sie wollen sich in den Nächten, wenn sie träumen, auch körperlich nah sein.
"Ich könnte heute Abend bei Ihnen schlafen. Ich habe meinen Pyjama dabei."
In Marias autistischem Verhalten liegt eine zarte Komik, mit der diese ungewöhnliche Liebesgeschichte von zwei verletzten Seelen immer wieder überrascht. Dass in dem reduzierten Spiel der beiden Hauptdarsteller und der Stilisierung eines Schlachthofs als Ort einer dunkel schimmernden Romanze auch viele preziöse Momente zu finden sind, muss aber auch erwähnt werden.
"Körper und Seele": empfehlenswert
"Leanders letzte Reise" von Nick Baker-Monteys
"Du musst sofort zum Bahnhof Lichtenberg. Opa will in die Ukraine fahren."
Von der sich anbahnenden Liebe in "Körper und Seele" zur großen, verloren gegangenen Liebe in "Leanders letzte Reise". Opa - 92 Jahre alt - ist kurz nach der Beerdigung seiner Frau ausgebüxt. Die Enkelin will ihren Großvater wieder zur Vernunft bringen und steigt zu ihm in den Zug nach Kiew.
"Was machst du da, verdammt?"
"Aussteigen. Du kannst nicht in die Ukraine fahren."
Es ist weniger dem Phänomen des "Viele-Filme-Guckens" geschuldet als vielmehr einem 08/15-Drehbuch, dass die folgenden Episoden von "Leanders letzte Reise" auf der Hand liegen. Erstens: Opa will einfach nicht rausrücken mit dem Grund für seine Reise.
"Das geht dich nichts an."
"Sicher?"
"Ja. Weil du es nicht verstehst. Ein Niemand, der nichts auf die Reihe kriegt."
"Und was kriegst du auf die Reihe? Du hasst die Menschen, die du eigentlich lieben solltest."
Womit wir bei zweitens wären: Enkelin und Opa werden sich - je länger ihr Trip dauert - so nah wie noch nie sein. Und drittens soll all das von einer generationsübergreifenden Vergangenheitsbewältigung handeln und von den Wunden, die der Krieg geschlagen hat.
"Ich will wissen, warum wir sind, wie wir sind."
An solch bleiernen Sätzen arbeitet sich selbst die ansonsten wunderbare Petra Schmidt-Schaller in der Rolle der Enkeltochter vergeblich ab. Solide, aber auch nicht mehr, ist das Spiel von Jürgen Prochnow unter einer nicht besonders glaubhaften Altersmaske.
Wenn schon die überraschenden Momente fehlen, so gibt es zum Ende von Nick Baker-Monteys' Film doch wenigstens ein paar berührende Augenblicke.
"Leanders letzte Reise": zwiespältig
"Das System Milch" von Andreas Pichler
"Gibt es wirklich keine Alternativ zu immer größer und immer globaler?"
Es ist die Frage aller Fragen, die in so ziemlich jedem Dokumentarfilm der vergangenen Jahre gestellt worden ist, der sich mit der Nahrungsmittelindustrie befasst. Auch den Südtiroler Filmemacher Andreas Pichler treibt jetzt sie um in "Das System Milch". Pichler bringt es so auf den Punkt:
"Das System setzt die Bauern unter Druck, ruiniert unsere Umwelt und führt die Kuhzucht ad absurdum. Und dennoch wird jedes Jahr mehr Milch produziert."
Die glücklichen Kühe hat Andreas Pichler zwar auch gefunden, aber noch weitaus mehr unglückliche.
"Mir war das nie bewusst, aber wir trinken die Milch von Kühen, die ständig schwanger sind. Denn ohne Kalb keine Milch und ohne Milch keine Existenzberechtigung."
Die Informationen in seinem Aufklärungsfilm über die Milchindustrie dürften zwar weithin bekannt sein, nicht aber vielleicht wie belastend diese Industrie für das Ökosystem Erde ist.
Anschaulich, aber auch etwas brav und konventionell, beschreibt der Film diese Zusammenhänge. Das ist ein wenig schade, denn Pichler, der aus der Ich-Perspektive erzählt, hätte seine Doku mehr im Stil einer Reportage oder eines Essays anlegen können, um ihr eine noch persönlichere Note zu geben.
"Das System Milch": akzeptabel