"The Killing of a Sacred Deer"
"Wie geht es den Kindern?"
"Sehr gut."
Es geht Bob und Kim, den beiden Kindern von Anna und Steven Murphy – sie Augenärztin, er Herzchirurg – also sehr gut. Noch.
"Bob hat mit Klavierstunden angefangen. Der Lehrer sagt, er wäre sehr talentiert."
"Unsere Tochter hat letzte Woche ihre Menstruation bekommen."
Ähnlich wie in der griechischen Mythologie König Agamemnon durch das Töten eines Hirsches Schuld auf sich lädt und diese nur durch die Opferung seiner Tochter Iphigénie gesühnt werden kann, wird es in "The Killing of a Sacred Deer" Steven ergehen. Die Rolle des Sehers aus der antiken Sage fällt dabei dem Teenager Martin zu, der seinen Vater verloren hat und der den Kontakt zu Steven und seiner Familie sucht.
"Wie ist sein Vater gestorben?"
"Autounfall. Er war sofort tot."
Die Wahrheit aber ist eine andere: Martins Vater starb auf Stevens OP-Tisch, und der Halbwaise scheint einen perfiden Plan mit dem Herzchirurgen zu verfolgen. Er verkündet Steven, dass dessen Kinder und Frau erst schwerkrank und dann sterben werden, sollte er nicht eines seiner Familienmitglieder opfern.
Die Prophezeiung trifft ein. Bald sind beide Kinder gelähmt und verweigern die Nahrung.
"Du wolltest, dass die Kinder nach Hause kommen und da sind sie. Was soll ich sonst noch machen?"
"Etwas, das all dem ein Ende setzt. Das will ich. Kannst du dafür sorgen?"
Seine mit Nicole Kidman und Colin Farrell glänzend besetzte Rachegeschichte hat Giorgos Lanthimos als surrealen Psychothriller inszeniert, der sowohl an die Stoffe als auch an die Handschriften von Polanski, Haneke oder auch Lynch erinnert. Der Film beschreibt eine maskenhafte, narkotisierte Gesellschaft, deren Empathie-Fähigkeit vollkommen verkümmert ist. Wird das Menschenopfer wirklich eine reinigende Kraft haben?
"The Killing of a Sacred Deer": herausragend
"Oper. L’Opéra de Paris"
Der Agamemnon-Mythos, aus dem Christoph Willibald Gluck die Oper Iphigénie en Aulide schuf, führt unmittelbar zum Dokumentarfilm "Oper. L´Opéra de Paris" von Jean-Stéphane Bron. Denn das Werk feierte 1774 in der Pariser Oper seine Uraufführung. Das Haus – streng genommen sind es heute zwei: das Palais Garnier und die Opéra Bastille – das Haus und seine Angestellten werden von dem Schweizer Filmemacher im Stil des Direct Cinema vorgestellt – also rein beobachtend, ohne Kommentierungen und ohne Interviews.
Das emsige Treiben in der Pariser Oper – eingefangen in schnellen Bildfolgen – gleicht einem Bienenstock. Da bereiten sich der Opernchef und sein Stab auf die Pressekonferenz zur Saisoneröffnung vor und lassen stolz die Information einfließen, dass sie manchmal 10.000 Tickets an nur einem Wochenende verkaufen.
Chorproben, Ministerempfang, ein drohender Streik: Dem Filmemacher ist ein dynamisches und kurzweiliges, aber auch bewusst distanziertes Porträt gelungen.
"Oper. L’Opéra de Paris": empfehlenswert
Ausblick auf das Kinojahr 2018
"Es gab diese Idee, eine Gruppe außergewöhnlicher Leute zusammenzubringen. Wir wollten damit etwas Großes erschaffen."
Ein Ausschnitt aus dem Trailer zum kommenden Superheldenabenteuer der "Avengers" – Kinostart April 2018. Produziert vom Disney-Konzern. Der hat mit dem Kauf des Konkurrenten 21st Century Fox zweifellos die Schaffung von etwas ganz Großem besiegelt. Entstanden ist ein Megakonzern, der den kreativen Aderlass, der seit Jahren in Hollywood zu beobachten ist, im kommenden Jahr noch forcieren wird. Gerade Disney fährt die Strategie, nur noch auf Blockbusterkino zu setzen. Die Stoffe kommen von den ebenfalls zum Unternehmen zählenden Marken Pixar, Lucasfilm und Marvel. Es ist ein Kino der Fortsetzungen und Remakes.
"Schon bald werdet ihr erfahren, wie es ist zu verlieren."
Noch ist die Macht zwar mit Disney. Der Konzern könnte aber zum Totengräber der gesamten US-amerikanischen Filmindustrie werden, wenn die Franchises eines Tages an der Kinokasse nicht mehr funktionieren.
Die Aussicht darauf, dass mit dem 21st Century Fox-Deal jetzt auch Filmcharaktere, an denen bislang die Fox die Rechte gehalten hat, in ganz neuen Formationen auftauchen werden, ist nicht so abwegig, dass man sie hier nicht durchspielen könnte.
"Wer zur Hölle seid ihr denn?"
"Logan, darf ich vorstellen: Ororo Munroe, auch Storm genannt."
"Oh mein Gott! Da sind sie: Die Simpsons."
Vielleicht sind es noch nicht die Simpsons, aber die Superheldentruppe der X-Men wird wohl demnächst mit den Avengers gemeinsame Sache machen. Beim Blick auf das kommende Kinojahr kann einem bei den ganzen Comicverfilmungen und Fortsetzungen angst und bange werden.
Trotzdem ein positiver Blick zum Schluss: Freuen wir uns auf die neuen Filme der beiden Andersons Wes und Paul Thomas, zwei der wenigen Autorenfilmer in Hollywood. Oder auf den neuen Spielberg "Die Verlegerin", der ein Loblied auf die Pressefreiheit singt. Aber auch auf die Oscar-Favoriten "Lady Bird" und "Call me by your Name", die wunderbare Coming-of-Age-Geschichten erzählen.
Disney hat keinen dieser Filme produziert.