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Pflaster für Trostsuchende

Eine verlorene Liebe, ein verstorbener Sohn und ein verschwundenes Mobiltelefon lassen die Protagonisten in den Kinoneustarts der Woche nicht zur Ruhe kommen. Wie in der israelischen Tragikomödie "Ein Tag wie kein anderer" - in der sich Regisseur Asaph Polonsky mit einer Portion Witz um Trauerverarbeitung kümmert.

Von Jörg Albrecht |
    In seiner Trauer freundet sich Eyal (Shai Avivi, r) mit dem Nachbarsjungen Zooler (Tomer Kapon, l) an. Gemeinsam verbringen sie einen unvergesslichen Tag voller absurder Situationen.
    In seiner Trauer freundet sich Eyal (Shai Avivi, r) mit dem Nachbarsjungen Zooler (Tomer Kapon, l) an. Gemeinsam verbringen sie einen unvergesslichen Tag voller absurder Situationen. (temperclayfilm)
    "Ein Tag wie kein anderer" von Asaph Polonsky
    "Wie geht es dir? Ist das in Ordnung, dass wir da sind?"
    "Wir haben einen Salat."
    "Ihr kommt, wo alles vorüber ist?"
    Die Nachbarn mitsamt ihren Beileidsbekundungen können ihm gestohlen bleiben. Bei Eyal und Ehefrau Vicky ist seit kurzem nichts mehr wie es war. Vor einer Woche ist – nach schwerer Krankheit – ihr einziger Sohn im Alter von 25 Jahren gestorben. Während Vicky nach der Schiv'a, dem jüdischen Ritual der siebentägigen Trauer, wieder zur Arbeit geht, igelt sich Eyal weiter zu Hause ein.
    "Du bist gestern zu Hause geblieben. Aber wir wollten unseren Alltag zurück. Warum bist du nicht zur Arbeit gegangen?"
    "Warum bist du nicht gegangen?"
    "Ich mache eine Pause. Es soll wieder normal werden."
    "Ja, das soll es."
    Ob Nanni Morettis "Das Zimmer meines Sohnes" oder "The Door in the Floor" nach dem Roman von John Irving: Schon einige Filme haben die Ausnahmesituation geschildert, die nach dem Tod eines Kindes herrscht. Das jedoch nie mit Humor. Zu schmerzhaft scheint das Thema der Trauerbewältigung zu sein. Nicht so für den Israeli Asaph Polonsky in seinem Spielfilmdebüt "Ein Tag wie kein anderer".
    Dabei kommt einem Päckchen Cannabis, das Eyal unter den Sachen seines Sohns im Hospiz findet, eine besondere Bedeutung zu. Von einem Joint erhofft sich der Vater, wenigstens für ein paar Stunden seinen Schmerz betäuben zu können. Doch auch Marihuana rauchen will gelernt sein und zum Glück ist ein passionierter Kiffer in Gestalt des Nachbarsohns ganz in der Nähe.
    "Kannst du mir hiermit helfen?"
    "Ich weiß nicht. Hast du noch nie was geraucht? Noch nicht mal als du in meinem Alter warst?"
    "Zeig mir, wie es geht! Sei ein Nachbar!"
    Das Sterben und das Lachen sind schon in der großartigen israelischen Tragikomödie "Am Ende ein Fest" eine wunderbare Symbiose eingegangen. "Ein Tag wie kein anderer" macht da weiter, setzt aber mehr auf einen lakonischen Ton und auf Absurditäten. Eine heiter hingenommene Trauer über die Unlösbarkeiten des Lebens: Das ist jüdischer Humor.
    "Ein Tag wie kein anderer": empfehlenswert
    "Das Ende ist erst der Anfang" von Bouli Lanners
    "Dezember kommt vor Januar. Ich bin Anfang Dezember geboren und du Ende Januar. Ich bin zwei Monate älter als du."
    "1964?"
    "Ja."
    "Gleicher Jahrgang?"
    "Ja."
    "Dann bin ich vor dir geboren."
    "Ich habe immer gedacht, ich wäre älter."
    Ein Dialog zweier Freunde irgendwo zwischen Kaurismäki, Jarmusch und Tarantino. Lakonisch ist auch die Handschrift des Belgiers Bouli Lanners, der sich in seinem vierten Film "Das Ende ist erst der Anfang" treu bleibt und erneut den amerikanischen Western ins Hier und Jetzt und vor allem in die französisch-belgische Grenzregion verfrachtet. Die erinnert mit ihren weiten, kargen Landschaften und ihren stillgelegten Industrieanlagen an Bilder aus einem apokalyptischen Film.
    Dorthin also verschlägt es die beiden Männer Anfang 50, die als Handlanger arbeiten. Der eine wird gespielt von Lanners selbst, der andere von Albert Dupontel. Ihr Auftrag: Sie sollen ein gestohlenes Mobiltelefon auftreiben, auf dem sich heikle Daten befinden. Auf ihrer Reise stoßen sie auf Außenseiter, finden eine mumifizierte Leiche und legen sich mit Männern an, die das Gesetz selbst in die Hand nehmen.
    "Ich habe gehört, du hast meinen Freund überfallen."
    "Und was willst du jetzt tun, Sheriff? Mich lynchen?"
    Vielleicht ist die größte Überraschung des Films, dass selbst in dieser gottverlassenen Gegend Hoffnung und Liebe zumindest auf einige der verlorenen Seelen warten. Es könnte allerdings passieren, dass Bouli Lanners auf dem Weg dorthin seine Zuschauer wegschlummern, denn der gekünstelt skurrilen Geschichte fehlt es an Tempo.
    "Das Ende ist erst der Anfang": zwiespältig
    "Rückkehr nach Montauk" von Volker Schlöndorff
    "Ich möchte wirklich nicht sagen, ich hätte sie mehr geliebt als je eine andere, als ich je lieben würde. Worte sind banal. Sie gehören zu Schlagern und Sentimentalitäten."
    Genauso gehören sie aber auch zum Repertoire zahlloser Filmemacher, die in ihren späten Jahren eine Vorliebe für Stoffe entwickeln, die um das Thema der großen, verflossenen Liebe kreisen. Ob bei Wenders, Bertolucci oder gleich mehrfach in jüngerer Zeit bei Terrence Malick: Die nostalgischen Rückschauen und Bilanzen sind oft seicht und weinerlich. Schon darum gebührt Volker Schlöndorff Anerkennung. Denn die Geschichte von "Rückkehr nach Montauk, die lose auf der Erzählung von Max Frisch basiert, handelt zwar auch von Reue, aber das Thema wird hier eben nicht auf dem Niveau der erwähnten Schlager abgehandelt.
    "Hier wohnst du also."
    "Nein, ich komme nur nachts zum Putzen her."
    "Nein. Im Ernst."
    "Als ich dich kannte, hast du nie etwas ernst gemeint."
    "Tief im Innern bin ich ernst."
    "Gut, dass ich diese Seite nie kennengelernt habe, die tief in dir ist. Gut, dass du die für dich behalten hast."
    Da taucht der von Stellan Skarsgård gespielte Autor Max nach vielen Jahren wieder bei der Anwältin Rebecca – eine großartige Nina Hoss – in New York auf. Obwohl er längst in einer neuen und – wie er betont – glücklichen Beziehung lebt, kann Max Rebecca einfach nicht vergessen. Die Beiden werden ein gemeinsames Wochenende in Montauk auf Long Island verbringen – Sex inklusive. Dabei gelangt Max immer mehr zu der für ihn ernüchternden Erkenntnis: Für Rebecca hat er zu keiner Zeit dieselbe Bedeutung gehabt wie sie für ihn.
    "Rückkehr nach Montauk" ist ein reifer, ein erwachsener Film. Ein bittersüßes, exzellent gespieltes Liebesdrama und Schlöndorffs wohl persönlichster Film.
    "Rückkehr nach Montauk": empfehlenswert