"Die Unsichtbaren - Wir wollen leben" von Claus Räfle
"Wenn irgendjemand auf der Welt einen gefragt hätte. Kannst du dir vorstellen, dass Deutsche millionenfach völlig unschuldige Menschen einfach umbringen? Völlig absurde Idee, völliger Wahnsinn!"
Der heute 91-jährige Eugen Friede erinnert sich: Noch im Juni 1943, als Joseph Goebbels Berlin zur "judenreinen Stadt" erklärte, hätte es seine Vorstellungskraft gesprengt, das NS-Regime könnte die systematische Vernichtung der Juden betreiben. Friede war damals 17 Jahre alt und lebte in Berlin. Als Kind aus einer sogenannten Mischehe zwischen einer Jüdin und einem Christen drohte ihm die Deportation. Um ihr zu entgehen, war er untergetaucht - so wie schätzungsweise 7.000 Juden in Berlin.
Friede ist einer der vier Protagonisten, deren Überlebensgeschichten Claus Räfle in seinem Film "Die Unsichtbaren - Wir wollen leben" erzählt. Dazu hat sich der Regisseur für einen im Kino ungewöhnlichen Zwitter entschieden.
"Man kannte eigentlich diese Typen mit Schlapphut und im Ledermantel. Ich wusste, dass war ein Gestapobeamter gewesen." - "Du hast deinen Stern nicht vorschriftsgemäß angenäht. Pass bloß auf!"- "Ich bin dann zurückgelaufen zu meiner Mutter, die dann unter Tränen den Stern angenäht hat. Da hat mein Vater gesagt …" - "Wir können es nicht riskieren ihn hierzubehalten. Es ist zu gefährlich."
In "Die Unsichtbaren" verbindet sich der Spielfilm mit Interviewausschnitten der vier Zeitzeugen und einigen wenigen Archivaufnahmen. Das erinnert an die Doku-Dramen von Heinrich Breloer und funktioniert auch hier. Wie es Friede und den anderen gelungen ist zu überleben - auch mit Hilfe von vielen namenlosen stillen Helden, ist hochemotionales, dramatisches Geschichtskino. Störend ist nur der penetrant-dräuende Klangteppich.
"Die Unsichtbaren - Wir wollen leben": empfehlenswert
"God's Own Country" von Francis Lee
"Du hättest längst den Koppelzaun ausbessern sollen, als ich dich vor Monaten darum gebeten habe. Und damit aufhören, dich jede Nacht volllaufen zu lassen."
"Außer Arbeit ist das doch das Einzige, was es hier gibt."
"Wie redest du denn mit mir, mein Sohn?"
"Was in mir vorgeht, interessiert kein Schwein."
Seinem Vater, der von einem Schlaganfall schwer gezeichnet ist, kann er nichts recht machen, sein Schwulsein lebt er heimlich mit schnellem Sex aus und seinen Frust ertränkt er Abend für Abend in Alkohol: Johnny ist 24 und schon am Ende. Trostloser als er ist nur noch die Landschaft im Norden Englands, wo seine Familie eine Schaffarm betreibt.
"God's Own Country - so nennen die Einheimischen die raue Gegend - heißt auch das Spielfilmdebüt des Briten Francis Lee, das Erinnerungen an den Film eines anderen Regisseurs mit dem Namen Lee weckt. Genau wie in Ang Lees "Brokeback Mountain" werden sich Johnny und Gheorghe, ein rumänischer Saisonarbeiter, der für einige Wochen auf der Farm angeheuert hat, beim Schafe hüten näherkommen.
"Was hältst du davon hierzubleiben?"
"Und wie würden wir auf dem Hof arbeiten? Ich habe das schon mal erlebt bei mir in Rumänien. Ich stehe das nicht noch mal durch."
Dank Gheorghes Einfühlungsvermögen schafft es Johnny, zum ersten Mal in seinem Leben Nähe zuzulassen. Für eine gemeinsame Zukunft ein Anfang, aber eben auch nicht mehr. Und dabei sind die aufziehenden dunklen Wolken des Brexit nicht einmal ein Thema.
"God´s Own Country" ist ein Film über Abnabelung und das Recht auf Glück. Aber zuallererst ist es ein Liebesfilm. Seine Wirklichkeitsnähe macht aber auch etwas anderes deutlich: "Brokeback Mountain" war von Hollywood entschärfter Edelkitsch.
"God's Own Country": empfehlenswert
"Maudie" von Aisling Walsh
"Gesucht wird ein Hausmädchen. Sie muss ihr eigenes Putzzeug mitbringen. Das ist es."
Für Maud - eine Frau Mitte 30 - ist der Aushang im Krämerladen die Chance, um endlich auf eigenen Beinen zu stehen. Und das nicht nur in übertragenem Sinn. Denn Maude leidet seit ihrer Kindheit an rheumatoider Arthritis. Sie humpelt und auch ihre Hände sind verwachsen. Der rettende Strohhalm soll nun ausgerechnet ein Job im winzigen Zwei-Zimmer-Haus des Fischhändlers Everett sein. Der ist ein mürrischer, unbeherrschter Eigenbrötler, der die herzensgute Maud mangels Alternativen widerwillig engagiert. Natürlich unter seinen Bedingungen.
"Böser Hund! Die müssen erzogen werden."
"Ich erkläre dir mal, wie das hier zugeht: Erst komme ich, dann die Hunde, dann meine Hühner und dann du."
Kaum zu glauben, dass dies der Beginn einer der wohl ungewöhnlichsten Liebesgeschichten der letzten Jahre im Kino ist. Dass sie jetzt überhaupt erzählt wird von der irischen Regisseurin Aisling Walsh, hat mit Maud zu tun. Denn hinter ihr verbirgt sich die kanadische Folk-Art-Künstlerin Maud Lewis, bekannt für ihre leuchtend-bunten Landschaftsbilder, die sie anfangs für zwei Dollar verkauft hat.
Mit ihrem Film "Maudie" ist Aisling Walsh das anrührende Porträt von zwei Außenseitern gelungen, die eine seltsame und doch symbiotische Beziehung eingegangen sind. Das kauzige Paar wird von einem beeindruckenden Ethan Hawke und einer überragenden Sally Hawkins verkörpert.
"Maudie": empfehlenswert