Archiv

Neue Filme
Schöne Berufe, schäbige Arbeit

Die Doku „Carmine Street Guitars“ verbeugt sich vor der Handwerkskunst des Gitarrenbaus. "Late Night" erzählt von einer Talkshow-Gastgeberin in einer Berufs- und Lebenskrise. Und in „Die Agentin“ leidet eine Spionin ebenfalls unter heftigen beruflichen und emotionalen Problemen.

Von Hartwig Tegeler |
Eine Reporterin steht vor einer leeren Straße und spricht ins Mikrofon
Szene aus dem Film "Late Night" mit Emma Thompson als TV-Moderatorin - hier bei einer Straßenumfrage (www.imago-images.de)
Dies ist ein Film über die Liebe zu den Dingen und ihre Unvergänglichkeit. Rick Kelly, der in der Carmine Street im New Yorker Stadtteil Greenwich Village seinen Laden "Carmine Street Guitars" betreibt und Gitarren baut, ist ein Philosoph des Instruments. Dieser Satz, ...
"Yeah, anything that three cords is showing off."
... dass mehr als drei Rekorde Angeberei seien, hat schon die Macht einer buddhistischen Weisheit. Seit 20 Jahren sammelt Rick Altholz, ...
"All the wood I use is from old New York Buildings."
... Abrissholz, das er auf Baustellen bekommt beispielsweise. Die "Knochen des alten New York" nennt Rick das, ...
"The bones of old New York."
... und daraus baut er E-Gitarren.
Modisch und nachhaltig
Der dramaturgische Rahmen von Ron Manns Doku ist eine Woche in diesem Gitarrengeschäft. Es schneien Musiker rein wie Bill Frisell oder Kirk Douglas von The Roots oder Charlie Sexton von der Bob-Dylan-Band. Es passiert nicht viel. Man philosophiert oder spielt auf den Gitarren, die Rick aus den "Knochen von New York" gebaut hat. Der Mode-Begriff Nachhaltigkeit übrigens bekommt hier eine ganz wunderbare Bedeutung, wenn Rick Kelly meint, ...
"I love the idea of making this stuff from a, you know, an old tree, turned into a building, turned into a guitar."
... er liebe die Idee, dass aus einem alten Baum, der lange Zeit Teil eines Hauses war, eine Gitarre wird und der Baum so ein neues Leben bekommt.
"It´s great to make have a new life again."
Ein Film über die reine Liebe zu einem Ding, einem Gegenstand, zu einem Handwerk.
"Carmine Street Guitars" von Ron Mann – herausragend.
Katherine Newbury, in "Late Night" gespielt von Emma Thompson, braucht ein Update. Nach 28 Jahren ist die Engländerin mit ihrer einst erfolgreichen abendlichen Talkshow nicht mehr witzig, sie kann mit ihren Gesprächspartnern nichts mehr anfangen, und ihre Produzentin kündigt an, dass es keine Verlängerung geben wird. Update gefragt also, vor allem, was ihr achtköpfiges, rein männliches Autorenteam betrifft, von dem die schnöselige Engländerin nicht einmal die Namen kennt. Sie nummeriert sie durch. Eins bis acht. Nun also:
"Wir müssen eine Frau anstellen."
Und die ist dann da in Gestalt von Molly, die vorher ihre Stand-up-Comedy-Qualitäten bei den Hausdurchsagen in ihrer Chemiefabrik praktiziert hat. Auftritt: schwarze, kräftige Frau mit indischen Wurzeln und einem rotzfrechem Mundwerk - inklusive eines scharfen Verstandes.
"Wer sind Sie?"
"Ich bin neu im Team."
"Neu und weiblich."
Emma Thompson als erlahmter TV-Star und Mindy Kaling, die auch das Drehbuch zu "Late Night" schrieb, liefern sich einen komischen Kampf um Erfolg und Anerkennung; beispielsweise, wenn die Talkshow-Gastgeberin von ihre neuen Autorin, die wirklich gute Gags über Meno-Pause und ähnliches so schreibt, ein wenig Nachhilfeunterricht in Sachen Eigen-PR bekommen.
"Wie würden Sie Molly beschreiben?"
"Molly? Molly! Molly … ist … äh …"
"Sie hat gesagt, ich wäre der leuchtende Farbklecks auf der grauen Leinwand ihres Autorenteams. Das hat mich sehr berührt."
Dass "Late Night" eine vergnügliche Satire auf das de facto von männlichen Moderatoren beherrschte TV-Feld entwirft, in dem die Frauen zeigen, dass sie den Job genauso gut machen würden, ist schön zu sehen. Dass "Late Night" dann am Ende zu sehr in eine vorhersehbare Versöhnungsnummer à la "Der Teufel trägt Prada" ausartet, ist der Wermutstropfen. Oder was meinen Sie? Wird Katherine Newberrys Vertrag verlängert?
"Late Night" von Nisha Ganatra – empfehlenswert.
"Sie sagte, mein Vater ist gestorben. Und das zum zweiten Mal."
"Und das bedeutet?"
"Die Nachricht war der Code, sie aus dem Iran abzuziehen."
In Yval Adlers Film "Die Agentin" spielt Diane Kruger eine Spionin des Mossad, des israelischen Geheimdienstes, die sich in ihre iranische Zielperson verliebt.
"Und danach ist sie verschwunden."
Der Vorteil von Spioninnen - in der Filmgeschichte - ist ihre Fähigkeit, eine Honigfalle aufzustellen. Das Problem bei Spioninnen ist die Gefahr, in der eigenen steckenzubleiben. Yuval Adler erzählt in einer komplexen Rückblendenmontage, wie Rachel zur israelischen Agentin mit dem Einsatzort Iran - Stichwort: Atomprogramm - wird, und wie sie dann nach längerer Zeit aus der Versenkung wieder auftaucht.
"Trauen die mir jetzt nicht mehr."
"Doch natürlich. Sie mögen nur keine Überraschungen."
Diane Kruger spielt die Spionin zwischen Loyalität und Liebe im Schattenreich der Geheimdienste eindrucksvoll, aber wirklich überzeugen kann der Film "Die Agentin" dann doch nicht. Es ist zwar interessant, wie kritisch Yuval Adler die Rolle des Mossad sieht, aber es wird nicht klar, ob der Filmemacher einen Spionagethriller erzählen wollte oder die Geschichte einer Frau, die verloren und heimatlos wirkt und deswegen mit einem gewissen Fatalismus und daraus resultierenden Desinteresse in der Rolle einer Agentin schlüpft und sich darin verliert.
"Die Agentin" von Yuval Adler – annehmbar.