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Selbstbestimmt, wehrhaft, wahnsinnig

Von einer Schüler-WG in den 1980er-Jahren handelt die Bestsellerverfilmung „Auerhaus“. Sexuelle Belästigung ist das Thema im italienischen Drama „Nome di Donna“. An die Entstehung des bedeutendsten Wörterbuchs der englischen Sprache erinnert „The Professor and the Madman“.

Von Jörg Albrecht |
Zwei alte Männer mit Bart sitzen auf einer Bank vor einem Baum und unterhalten sich.
"The Professor and the Madman" von Farhad Safinia (www.imago-images.de)
"6500 Einwohner. Ein Friedhof. Eine Spielhalle. Ein Italiener: Pizzeria Troja. Das einzige Zeichen dafür, dass die Welt hier doch nicht zu Ende ist."
Dort, wo der 17-jährige Höppner aufwächst, möchte man nicht tot über dem Zaun hängen. Aber der Ich-Erzähler in "Auerhaus" hatte bislang keine Wahl. Wie niemand aus seiner Klasse. Sie alle sind in der Provinz aufgewachsen, wo sie jetzt auf ihr Abitur zusteuern. Es ist das Jahr 1983.
"Am falschen Ort geboren, zur falschen Zeit geboren. Wir sind alle beschädigte Ware."
Doch bei keinem ist diese Beschädigung so groß wie bei Höppners Mitschüler Frieder. Der sitzt gerade in der Psychiatrie, weil er sich das Leben nehmen wollte. Um aus der Einrichtung entlassen zu werden, aber auf gar keinen Fall wieder zu Hause bei seinem Vater einzuziehen, hat Frieder einen Plan.
Lakonisch inszeniert
"Du kennst doch unser altes Haus, oder? Da wohnt ja niemand mehr drin. Ich kann da einziehen. Aber nicht allein."
Schon ist die Idee einer Wohngemeinschaft geboren – bestehend aus Frieder, Höppner, dessen Freundin Vera und der Außenseiterin Cäcilia. Das "Auerhaus" – der Begriff nimmt Bezug auf den Song "Our House" der britischen Gruppe Madness – das "Auerhaus" wird eröffnet und für die WG-Mitglieder zum Ort ganz neuer Erfahrungen. Und das in der unbeständigsten Phase ihrer Persönlichkeitsentwicklung.
"Was ist denn los? Vera oder Frieder?"
"Beide. Vera geht mit einem schwulen Typen ins Bett und Frieder ist die reinste Zeitbombe."
Regisseurin Neele Lena Vollmar trifft mit ihrer lakonischen, fast beiläufig wirkenden Inszenierung den Ton der Romanvorlage. Auch der ist eine Zustandsbeschreibung ohne klassischen Spannungsbogen. Für ein Rückerinnern an die eigene Jugend – oft verklärt als die schönste Zeit des Lebens – reicht es aber allemal. Selbst wenn man sie nicht in der Provinz verbracht hat.
"Auerhaus": empfehlenswert
"Warum sind Sie schon wieder umgezogen? Dabei sehen Sie so gut aus in Ihrer Uniform. Siehst du, was du mit mir gemacht hast? Siehst Du, wozu Du mich bringst?"
"Nicht! Gehen Sie weg!"
"Du willst gehen? Dann geh doch!"
Ein Chef belästigt seine Angestellte sexuell. Er zeigt nicht nur keinerlei Schuldgefühle, er wähnt sich auch vollkommen sicher, für sein kriminelles Verhalten keine Konsequenzen tragen zu müssen. Daran zumindest dürfte die #MeToo-Bewegung schon viel geändert haben. Ein Verweis darauf findet sich im italienischen Film "Nome Di Donna" nicht. Denn der war schon abgedreht, bevor der Skandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein die Bewegung in der ganzen Welt bekannt gemacht hat. Insofern wirkt es unzeitgemäß, wenn die Protagonistin wie eine Einzelkämpferin auftritt und ihre Kolleginnen sie wie eine Aussätzige behandeln. Denn Nina – so heißt die Frau, die in einem luxuriösen Pflegeheim arbeitet – setzt sich gegen die sexuellen Übergriffe ihres Chefs zur Wehr.
Holzschnitzartige Geschichte
"Ich denke nicht, dass du unter diesen Umständen hierbleiben kannst. Erst recht nicht, wenn alle gegen dich sind."
"Ich habe ja wohl das Recht zu arbeiten, ohne begrapscht zu werden. Nicht die sind im Recht. Ich bin es."
Mit dem Wissen um die #MeToo-Bewegung hätte Regisseur Marco Tullio Giordana womöglich eine weniger holzschnittartige Geschichte entworfen. Dass er am Ende, wenn sein Film zum Gerichtsdrama wird, die Hauptfigur fast aus den Augen verliert, wäre allerdings auch dann nicht verhindert worden.
"Nome di Donna": zwiespältig
"Mr. Murray, soweit ich sehe, besitzen Sie keinen akademischen Titel."
"Nein Sir, kein Titel. Ich bin Autodidakt. Selbst angeeignet."
"Ich kenne das Wort. Schulausbildung?"
"Ich bin mit 14 abgegangen, um Geld zu verdienen."
Das soll der Mann sein, der ein umfassendes Wörterbuch der englischen Sprache erstellen wird? Die Herren der Philologischen Gesellschaft in London sind skeptisch, doch sie werden James Murray im Jahr 1879 das Mammutprojekt anvertrauen. An dem Oxford English Dictionary wird er bis zu seinem Tod 1915 arbeiten.
Die Entstehungsgeschichte eines Wörterbuchs
Murray ist der "Professor" im Film "The Professor and the Madman", obwohl er diesen Titel übrigens nie getragen hat. Mit dem "Madman" – also dem "Verrückten" – ist der US-Amerikaner Dr. William Minor gemeint. Murrays vielleicht wichtigster Mitarbeiter an dem Lexikon ist, nachdem er in London im Verfolgungswahn einen Mann erschossen hat, in einer Psychiatrischen Anstalt untergebracht.
"Ein Amerikaner und ein Schotte. Einer Oxford, einer Yale."
"Beide ergraut."
"Einer brillant, einer verrückt."
"Aber welcher ist welcher?"
Mel Gibson und Sean Penn – beide mit Rauschebart – spielen die so unterschiedlichen Männer, die ihr ambitioniertes gemeinsames Ziel vereint. Man mag es kaum für möglich halten, aber die Entstehungsgeschichte eines Wörterbuchs zu verfilmen, ist alles andere als eine staubtrockene Angelegenheit. Als Doppelbiografie entworfen, verzettelt sich der Film zwar hin und wieder, aber das Ergebnis ist ein solides, gut gespieltes Historiendrama.
"The Professor and the Madman": akzeptabel