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Neue Filme über Initimitäten
Begehren, Berührung und der magische Klang der Stimme

Vom Prozess des Erwachsenwerdens im Wien der Nazizeit erzählt die Verfilmung von Robert Seethalers Roman „Der Trafikant“. Um Intimität in all ihren Formen geht es im rumänischen Berlinale-Sieger „Touch Me Not“. Und von magischer Schönheit handelt der Dokumentarfilm „Der Klang der Stimme“.

Von Hartwig Tegeler |
    Szenenausschnitt: "Touch Me Not"
    Szenenausschnitt: Der Berlinale Gewinner "Touch Me Not" ((c) Alamode Film)
    "Mir kommt alles immer fremder vor."
    Ach, das verdammte Erwachsenwerden …
    "Man entfernt sich von Geburt an und mit jedem einzelnen Tag ein bisschen weiter weg von sich. Bis man sich gar nicht mehr auskennt."
    Beispielsweise mit der ersten Liebe.
    "Da, wo ich herkomme, verstehen die Leute vielleicht was von der Holzwirtschaft, aber von der Liebe?"
    "Das ist nichts Außergewöhnliches, denn von der Liebe versteht nämlich niemand irgendetwas."
    Meint Sigmund Freud, der Vater der Psychoanalyse, zum 17-jährigen Franz, Hauptfigur in "Der Trafikant", Franz, der 1937 frisch aus der Provinz in Wien angekommen ist. Ein Jahr später haben die Nazis haben Österreich übernommen, der "Anschluss" hat stattgefunden, aber das interessiert den Lehrling in Ottos "Trafik", dem Zeitschriften- und Zigarrenladen, nicht. Franz hat nur Augen für die schönen Frauen in der Stadt. Sigmund Freud ist Kunde von Franz´ Chef, dem einbeinigen, linken Kriegsinvaliden.
    "Professor Freud?"
    "Ja, der ´Deppendoktor´. Weltberühmt ist er. Der richtet den Leuten den Kopf wieder gerade. Also innerlich. Zumindest denen, die es sich leisten können."
    Wunderbares Zusammenspiel
    Zwischen Simon Morzé und Bruno Ganz, die Franz und Freud spielen, spürt man eine wunderbare Chemie, die diese Coming-Out-of-Age-Geschichte aus dunklen Zeiten sehr schön trägt:
    "Können Sie mir nicht einen Rat geben, Herr Professor."
    "Weißt du, mit den Frauen ist es wie mit den Zigarren. Wenn man zu fest an ihnen zieht, verweigern sie den Genuss."
    Allmählich, je mehr die Nazis im Alltag der Wiener Raum einnehmen, tritt an die Stelle des Liebeskummers und der Lust bei Franz etwas Anderes. "Der Trafikant" erzählt von seinem Aufwachen, dem Verlust seiner naiven Sicht auf die Welt. Otto, sein Freund, wird von der Gestapo verhaftet und ermordet, und Freud, der alte jüdische Professor, muss ins Exil. Und so wird Franz´ Geschichte am Ende eine über Zivilcourage.
    "Der Trafikant" von Nikolaus Leytner – empfehlenswert.
    "Ich glaube, eine Erklärung, woher diese Faszination für Stimme kommt, kann man nicht tatsächlich geben. Wie soll man Liebe zum Menschen erklären?"
    Sagt der Stimmforscher Matthias Echternach in Bernhard Webers Dokumentarfilm "Der Klang der Stimme". Faszination und Wegschmelzen: Das könnten die Gefühle sein, mit denen wir auf diese wie ein Musikstück komponierte Reise gehen durch die Welt der Töne und des Klangs, die die menschliche Stimme fähig ist zu produzieren.
    In Bernard Webers Dokumentarfilm sehen wir außer dem Stimmforscher den Jazz-Sänger Andreas Schaerer und die Stimmtherapeutin Miriam Helle. Sie erklären, beschreiben, singen und geben Töne von sich. Wir sehen die Sopranistin Regula Mühlemann, die nach einem vollendeten Ton und Klang beim Singen sucht. Was harte Arbeit ist.
    Faszinierender Soundtrack der menschlichen Stimme
    Wobei sicher zu dem Faszinierendsten im Film gehört, wenn immer wieder der Sänger, die Stimmtherapeutin und die Sopranistin gemeinsam vor einer Leinwand mit einer stummen Filmsequenz sitzen und allein mit ihrer Stimme beispielsweise den Gang von einer Straße in einen Park zum Klingen bringen, quasi "vertonen": Sie singen, hecheln, zirpen, schnaufen, ächzen, machen Kehllaute und vieles andere, was die Stimme hergibt. Wie der Mensch einen Klang produziert und damit manchmal etwas Magisches erzeugt, untersucht der Stimmforscher Matthias Echternach:
    "Wir müssen uns natürlich fragen: Wollen wir diese Magie tatsächlich entschlüsseln? Wollen wir wissen, warum die Stimme so toll wirkt? Oder wollen wir es vielleicht als Mysterium lassen?"
    Vielleicht ist Bernard Webers letztes Bild der Annäherung an das Urphänomen der menschlichen Stimme die Antwort auf diese Frage von Matthias Echternach. Denn da sehen – und hören wir - ein Neugeborenes in den Armen seiner Mutter.
    "Der Klang der Stimme" von Bernard Weber – herausragend.
    Auch Adina Pintilies Berlinale-Gewinner "Touch Me Not", ein dokumentarischer Experimentalfilm, beginnt mit einem intensiven Klang der menschlichen Stimme: dem des sexuellen Höhepunktes. "Touch Me Not" ist eine Annäherung an Intimität und Sexualität. Da ist Laura, eine Frau in den Fünfzigern, die sich nicht berühren lassen kann. Da ist Tómas in einem Workshop, in dem Nicht-Behinderte und Behinderte lernen, sich einander zu berühren. Da ist der an spinaler Muskelatrophie erkrankte Christian. Und da ist die Regisseurin Adina Pintilie, die irgendwann in diesem Film selbst zur Figur wird, die über Ängste, Begehren und Körperlichkeit nachdenkt.
    Einfühlsame Intimität
    Es ist erstaunlich, wie diese filmische Annäherung an die Intimität und den Sex mit Körpern, die hier nicht ästhetischen Leit-Vorstellungen gehorchen, beim Zuschauen Intimes auslöst, vielleicht mitunter und ein Gefühl von Peinlichkeit. Obwohl wir ja in einer durchsexualisierten Gesellschaft leben, vermittelt uns Adina Pintilie in ihrem Film - irgendwo zwischen Doku, Experiment und Essay - eine Erfahrung davon, was Entblößung bedeuten kann, die über das Äußere hinausgeht. Vielleicht ja auch als ein Akt der Befreiung.
    "Touch Me Not" von Adina Pintilie – empfehlenswert.