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Neue Forschung zu Covid-19
Hoffnung auf eine begrenzte Zahl von Mutationen

Sorgen bereiten den Wissenschaftlern die britische, südafrikanische und die kalifornische Corona-Mutante. Noch ist unklar, ob sie die Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe beeinträchtigen und die menschliche Immunabwehr umgehen können. Doch es gibt auch gute Nachrichten bezüglich der Mutationen.

Von Volkart Wildermuth |
Kunststoffröhrchen mit Corona-Abstrichen nach PCR-Test im Großlabor von Bioscientia
Den Coronavirus-Mutanten auf der Spur: Kunststoffröhrchen mit Corona-Abstrichen nach PCR-Test (dpa)
Die neuen Virusvarianten B.1.1.7 und B.1.351 breiten sich weltweit immer stärker aus, und es kommen immer neue Mutanten hinzu. Das ist eine Herausforderung, nicht nur, weil sie sich gegenüber dem ursprünglichen Virus schneller ausbreiten, sondern auch, weil einige von ihnen wohl bestimmten Antikörpern ausweichen können.
Kann es nach einer Coronainfektion also zu einer weiteren Ansteckung kommen, verlieren die Impfstoffe an Wirkung? Welche Rolle spielen die Varianten gegenüber der Immunantwort von genesenen oder geimpften Menschen? Diskutiert wurde darüber auf einem virtuellen Symposium des Max-Delbrück-Centrums und des Konsortiums Immunologie und Inflammation der Helmholtz-Zentren.

Was weiß man über die Antwort des menschlichen Immunsystems auf SARS-CoV-2?

Michel Nussenzweig von der Rockefeller Universität hat ein Forschungsprojekt gestartet, als das Virus in New York für einen Notstand sorgte, die Kliniken überfüllt waren, viele Menschen starben. Seitdem verfolgt er bei über 2.000 Menschen, wie sich die Immunantwort auf das Virus im Lauf der Zeit verändert. Und da hat er erstmal eine schlechte Nachricht: Einen Monat nach der Infektion gibt es ziemlich viele Antikörper im Blut, aber ein halbes Jahr später ist das deutlich eingebrochen, liegt die Zahl der Antikörper nur noch bei einem Fünftel der Ausgangswerte. Bei Impfungen ist dieser Abfall sogar noch deutlicher.
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Es gab die Befürchtung, dass die Immunabwehr nur für kurze Zeit vor SARS-CoV-2 schützen kann. Hat sich das bestätigt?

Erfreulicherweise nicht. Das zeigen aufwendige Analysen, die eben auch mehr Zeit kosten. Konkret hat sich Michel Nussenzweig die Zellen des Immunsystems angeschaut. Bei einer Infektion entstehen einerseits Zellen, die schnell große Mengen Antikörper produzieren. Diese Zellen reifen in den Lymphknoten sogar noch nach und erkennen das Virus dann immer besser. Nach überstandener Infektion fallen dann die Antikörperspiegel aber ab. In dieser Phase kommt es auf eine andere Gruppe von Zellen an - die Gedächtniszellen. Die warten auf eine erneute Begegnung mit dem Virus und können dann schnell aktiv werden. Die Gedächtniszellen verhindern, dass wir bestimmte Kinderkrankheiten mehrmals kriegen, sie sind auch für Impfungen entscheidend. Und die Zahl dieser Gedächtniszellen, die hat im Verlauf des halben Jahres nach der Infektion sogar noch zugenommen. Das heißt: Auch wenn sich im Blut weniger Antikörper finden, ist das Abwehrsystem dennoch bereit.

Bilden die Gedächtniszellen bei einer erneuten Begegnung mit dem Virus schneller Antikörper?

Genau. Sie vermehren sich und bilden Antikörper. Und das Spannende ist nun, dass das nicht einfach nur die Antikörper der ersten Runde sind. Die sind im Mix auch enthalten, aber die Gedächtniszellen bilden ein vielfältigeres Portfolio. Und das ist dann bei den Varianten relevant. Bei der ersten Infektion produzieren die meisten Menschen recht ähnliche Antikörper. Und genau die hat man auch in den Laborversuchen genutzt und festgestellt, die kommen meist mit der Variante B.1.1.7 klar, aber an den anderen Varianten rutschen sie sozusagen ab, besonders an B.1.351, die erstmals in Südafrika beschrieben wurden. Aber es gibt auch einzelne wenige Antikörper, die eben doch binden und wirksam bleiben. Und die Hoffnung ist nun, dass die Gedächtniszellen die neuen Varianten auch erkennen können, eben weil sie breiter aufgestellt sind als die hocheffektiven, aber eben auch hochspezifischen antikörperbildenden Zellen der ersten Runde. Einen Beleg dafür gibt es noch nicht, denn es gibt noch zu wenig Blutproben von zweimal Infizierten.

Kann SARS-CoV-2 immer neue Varianten bilden, die dem Immunsystem ausweichen können?

Das ist noch nicht wirklich klar. Was aber auffällt: Die unterschiedlichen Varianten haben die immer gleichen Mutationen angesammelt: K417E, N501Y, E484K. Es gibt an ganz verschiedenen Orten auf der Welt offenbar einen recht ähnlichen Selektionsdruck, einfach weil die meisten Menschen ein doch recht ähnliches Set von Antikörpern bilden. Das ist aber noch nicht alles: Dem Virus scheinen gar nicht so viele Reaktionsmöglichkeiten offen zu stehen. Dafür sprechen auch Laborexperimente, bei denen das Virus über viele Generationen in Gegenwart von Antikörpern vermehrt wird, eine Art Evolution im Schnelldurchlauf. Influenzaviren bilden bei solchen Experimenten ganz viele unterschiedliche Mutationen, bei SARS-CoV-2 sind es immer dieselben.
Wie sich Michel Nussenzweig ausdrückte: Es gibt offenbar kein ganzes Universum von Varianten. Und der Grund dürfte darin liegen, dass das Spike-Protein für eine erfolgreiche Infektion sehr fest an die Zellen andocken muss. Wird dort etwas verändert, um den Antikörpern auszuweichen, kann sich das Virus oft nicht so gut vermehren. Es könnte also sein, dass die Forschenden alle relevanten Mutationen bereits gesehen haben, dass da nicht beliebig viel Neues kommen kann. Und dass wären natürlich gute Nachrichten, sowohl für die Gruppenimmunität als auch für die Impfstoffe, die dann nicht ständig neu, sondern vielleicht nur ein- oder zweimal angepasst werden müssten.

Welche Rolle spielen die T-Zellen, der zweite Arm des Immunsystem?

Antikörper fangen ja die freien Viren ab, die T-Killerzellen kümmern sich um infizierte Körperzellen und können so den Nachschub an Viren unterbinden. Jede Zelle zeigt an ihrer Außenseite, was drinnen so vorgeht, und die Killerzellen reagieren, wenn da etwas Ungewöhnliches ist. Erkennt eine Killerzelle also zufällig ein Bruchstück von einem Virus auf einer Zelle, dann vermehrt sie sich. Das heißt erstens, es gibt also bald viele Killerzellen, die genau danach Ausschau halten, und zweitens wird die infizierte Zelle abgetötet. Dabei ist relevant, dass die T-Zellantwort wieder breiter aufgestellt ist als die Antikörperantwort. Und wahrscheinlich fällt es den Virenvarianten schwerer, ihnen auszuweichen. BioNtech-Vorstandschef Ugur Sahin hat gestern von Studien mit dem Impfstoff berichtet, bei denen schon 14 Tage nach der ersten Dosis ein relevanter Schutz erzielt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich noch kein großer Antikörperspiegel aufgebaut - dies waren die Killerzellen, die demnach sehr effektiv sind. Und deshalb gingen eigentlich alle Forscher auf dem Symposium gestern davon aus, dass die neuen Virus-Varianten geimpfte Personen zwar vielleicht infizieren können. Dass es aber unwahrscheinlich ist, dass das bei vielen zu einem schweren Krankheitsverlauf führt. Das sind langfristig gute Nachrichten. Kurzfristig ist aber relevanter, dass sich die neuen Varianten schneller vermehren und so eben zumindest vorübergehend wieder zu mehr Problemen auf den Intensivstationen und auch zu zusätzlichen Todesfällen führen werden.