Claudia Olivier-Mensah hat in Ghana im Rahmen einer Feldstudie 34 so genannte Bildungsmigranten interviewt, das heißt Personen, die zum Zwecke eines Studiums oder einer Ausbildung nach Deutschland gekommen waren. Manche sind nach Studienabschluss direkt nach Ghana zurückkehrt, andere haben noch eine Zeitlang in Deutschland gearbeitet.
"Eine ganz klassische Frage war am Anfang: Erzählen Sie doch einmal ihre Migrationsgeschichte. Da wollte ich erst einmal hören, wie erzählen die Personen, auch über die Zeit in Deutschland, denn ich denke, dass die Erfahrungen, die während der Migration gemacht werden mit der Rückkehr in Verbindung stehen. Und dann habe ich Fragen gestellt: Was sind die Herausforderungen momentan? Wie wurde die Rückkehr geplant? War es von Anfang an die erste anvisierte Version oder war es am Ende eventuell Plan B oder C oder wollte man in einen anderen Kontext weiter migrieren?"
Feldstudie mit 34 Bildungsmigranten
Die Sozialwissenschaftlerin berichtet weiter, von der 34 seien einige direkt nach dem Studienabschluss nach Ghana zurückkehrt, andere hätten noch eine Zeitlang in Deutschland gearbeitet. Sie wollte wissen: Was bedeuten Migration und Rückkehr für sie? Olivier-Mensah wählt für ihre Untersuchung einen neuen Forschungsansatz, der die oft grenzüberschreitenden sozialen Beziehungen der Rückkehrer in den Fokus rückt.
"Der Forschungsansatz ist die soziale Netzwerkanalyse. Ich habe mich für egozentrierte Netzwerkkarten entschieden. Wie es schon der Name sagt, besteht diese Karte aus konzentrischen Kreisen, die dann in unterschiedliche Sektoren unterteilt werden können. Was mich interessiert hat, waren diese transnationalen Beziehungen ins Ausland, und demnach habe ich die Karte in drei Sektoren untergliedert, das heißt in drei Nationalitäten, einerseits in die Deutschen, in die Ghanaer und in andere Nationalitäten - und der dritte Kreis hat das Ausland abgebildet."
Der Befragte hat ein Blatt Papier vor sich mit einem kreisrunden Diagramm. Im Zentrum die eigene Person. Nun trägt er seine Verwandten, Freunde, Bekannte, Studien- und Arbeitskollegen in das Diagramm ein: Punkte, die über Linien mit ihm und untereinander verbunden sind. Schließlich visualisiert sich wie ein Spinnennetz das Geflecht der eigenen sozialen Beziehungen: die persönliche Netzwerkkarte. Und dieses Netzwerk weist auch in die Zukunft. Rückkehr ins Herkunftsland, so Olivier-Mensahs These, ist keine Endstation.
"Es war eines der Kernergebnisse meiner Forschung, dass einerseits Rückkehr und auch Herkunft eine große Rolle spielen; dass andererseits auch diese Bezüge zu einem Ursprung nicht Mobilität für die Zukunft vermindern: Ich kann zurückkehren, ich kann auch gut eingebettet, reintegriert sein in meine Herkunftsgesellschaft, aber ich möchte trotzdem ein mobiles Leben führen, entweder durch flexible Besuche nach Deutschland oder in unterschiedliche Länder, aber auch durch mehrmonatige Aufenthalte."
Leben über Grenzen hinweg nicht abgebildet
Im Zeitalter der Globalisierung leben immer mehr Menschen über Grenzen hinweg. Aber ihre Unterstützung bei Migrationsproblemen ist immer noch nationalstaatlich organisiert, kritisiert Cornelia Schweppe. Sie lehrt Soziale Arbeit an der Universität Mainz.
"Die soziale Arbeit in Deutschland, aber auch in anderen westlichen Industrienationen ist sehr stark national orientiert – über eine sozialstaatliche Perspektive, die teilweise nicht mehr mit der Lebensrealität von Menschen zusammen passt. Weil Menschen zunehmend mobil werden, in unterschiedlichen Ländern verortet sind, Netzwerke aufspannen in den unterschiedlichen Ländern, so dass mit einer rein nationalstaatlichen Perspektive Menschen nicht mehr adäquat unterstützt werden können."
Gesellschaften würden wie geschlossene Container betrachtet, kritisiert Cornelia Schweppe. Ihre Antwort darauf ist ein neues transnationales Forschungskonzept, um Themen wie Migration und Rückkehr angemessen zu erfassen.
"Das Neue an dem Transmigrationskonzept ist, dass vielmehr geschaut wird, wie die Lebensverhältnisse von Migranten über zwei oder drei oder noch mehr Länder aufgespannt sind; in einem Grenzen überschreitenden Raum Lebensprobleme bewältigt werden, Identitäten geschaffen werden, Einbindungen ermöglicht werden."
Ein türkischer Arbeitsmigrant der ersten Generation zum Beispiel will als Rentner in die Türkei zurückkehren und seine Familie mitnehmen. Aber seine Kinder oder Enkel erklären, dass sie lieber in Deutschland bleiben. Soll er allein zurückkehren? Vielleicht wird er pendeln. Oder sogar ganz in Deutschland bleiben, denn hier kennt er Ärzte, Steuerberater, Behörden – kurzum er ist mit den Verhältnissen in Deutschland vertrauter als mit denen in der Türkei.
Auswanderung aufgrund von Armut
Migration hat viele Gesichter: Neben den Bildungs- und Arbeitsmigranten gibt es eine wachsende Gruppe älterer Menschen, die aufgrund von Armut aus Deutschland migrieren.
"Mehrere unserer Projekte fokussieren auf Altersmigration von deutschsprachigen Menschen, vor allem aus Deutschland und aus der Schweiz nach Thailand, die sozusagen vor dem Hintergrund mangelnder Altersperspektiven in Deutschland oder in der Schweiz gesehen werden, wo mangelnde Pflegeoptionen in Deutschland, die fehlende Partnerschaft, Armut auch, eine ganz starke Rolle spielen, um in Thailand über ein niedriges Lebenshaltungskostenniveau Armut im Alter bewältigen zu können."
Bei dieser Migration in Länder des globalen Südens, so Cornelia Schweppe, stoßen die Altersmigranten auf gesetzliche Hindernisse, weil sie zwar ihre Rente beziehen können, nicht aber Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung.
Die größten Probleme türmen sich freilich dort auf, wo es um die hohe Zahl der Flüchtlinge geht. Viele werden in Deutschland kein Asyl erhalten und müssen in ihre Heimatländer zurückkehren, sofern es sichere Herkunftsstaaten sind. Welche Herkunftsländer als sicher eingestuft werden, das ist allerdings umstritten, auch im Bundestag.
Geflüchtete, sei es aus laufenden Asylverfahren oder bereits abgelehnte Bewerber können mit Unterstützung rechnen, wenn sie sich zu einer freiwilligen Rückkehr entschließen. Patrick Schmidtke, Referatsleiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und verantwortlich für die praktische Umsetzung der freiwilligen Rückkehr, sagt dazu:
"In diesem Jahr sind insgesamt bis jetzt, einschließlich September, 25.000 Menschen freiwillig in die Herkunftsländer zurückgegangen. Unsere Hauptherkunftsländer, in die aktuell zurückgekehrt wird, sind vor allem die Staaten des Westbalkan, das ist konstant hoch in den vergangenen Jahren gewesen: Kosovo, Serbien, aber auch Bosnien-Herzegowina. Was, ganz interessant, aktuell zu beobachten ist: dass nach wie vor seit ungefähr anderthalb oder zwei Jahren die Rückkehrzahlen, also der freiwilligen Rückkehr, insbesondere auch in den Irak, dort vor allem in den Nordirak stark angestiegen sind."
Unterstützung bei freiwilliger Rückkehr
Bei einer freiwilligen Rückkehr gebe es verschiedene Instrumente der Unterstützung, so Schmidkte, angefangen vom bezahlten Heimflugticket über eine kleine finanzielle Starthilfe bis hin zu besonderen Reintegrationsmaßnahmen in manchen Ländern.
Claudia Olivier-Mensah, die gerade eine Studie zum Thema Rückkehr in die Lebenswelten von Geflüchteten startet, kritisiert, dass die Unterstützungsmaßnahmen sich in finanziellen Trostpflastern erschöpfen und die eigentlichen Probleme nicht erreichen.
"Unterschiedliche Programme gibt es ja für die freiwillige wie auch für die erzwungene Rückkehr, vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge konzipiert, aber in dem Moment, wo die Personen den Flieger betreten und die Türe zugeht, ist das Problem für den deutschen Nationalstaat sozusagen gelöst. Wenn Personen dann in ihren Herkunftsländern wieder ankommen, ist jedes Unterstützungsnetz, das in Deutschland geherrscht hat, nicht mehr da, und die Infrastruktur in den Ländern ist so, dass keine andere Unterstützungsmaßnahme da ist."
Fatal ist es, wenn das familiäre Unterstützungsnetz durch Bürgerkrieg oder Verfolgung zerstört ist. Dass aber die Unterstützung der Rückkehrer vor Ort weiter gehen muss, diese Erkenntnis teilt auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Praktisch umgesetzt wird sie im Kosovo, wo man schon länger engagiert ist.
"Im Kosovo betreiben wir seit zehn Jahren das Rückkehrzentrum URA, so haben wir es genannt, URA ist albanisch und bedeutet Brücke, weil wir eine Brücke bauen wollen für die Menschen, die sich entschließen, wieder in den Kosovo zurückzukehren."
Notwendig, so Patrick Schmidtke, sei eine engere Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, vor allem der deutschen Entwicklungshilfe, um die Reintegrationsprogramme im Kosovo weiter auszubauen. Bisher gebe es drei Säulen der Rückkehrförderung:
"Das ist zum einen eine psychologische Ersthilfe für Rückkehrer, weil viele auch psychologisch belastet sind: die Rückkehr in das Herkunftsland ist keine einfache, das ist uns völlig bewusst. Das zweite ist eine soziale Hilfe, die wir anbieten, wenn wir versuchen den Menschen beispielsweise bei Behördengängen zu helfen, bei der Anmeldung der Kinder in der Schule, bei der Beantragung vielleicht von Arbeitslosenhilfe. Und die dritte Komponente ist eine Reintegration in den Arbeitsmarkt."
Integration in einen Arbeitsmarkt, der im Kosovo so gut wie gar nicht existiert – wie soll das gehen? Spätestens an diesem sensiblen Punkt wird deutlich, wie schwierig der Neuanfang für Rückkehrer wird. Viele werden ihre Chance in einer neuen Emigration suchen.
"Es wäre töricht zu sagen, dass jeder Fall, den wir behandeln, sozusagen auch nicht wieder kommt: die Not im Kosovo, wenn man sich das Land anguckt, ist schlichtweg groß, und das muss man sich vor Augen führen, gerade wenn man mit diesem Land zusammenarbeitet."
Trumpfkarten für Rückkehrer
Es gibt aber auch Erkenntnisse der Migrationsforschung, die aufzeigen, wo bei einer desolaten Arbeitsmarktsituation Ansatzpunkte und Chancen für Rückkehrer liegen. Tatjana Baraulina, eine Soziologin, die am Forschungszentrum für Migration, Integration und Asyl im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge tätig ist, schildert aus ihrer Studie den Fall eines georgischen Ingenieurs, dessen Asylantrag abgelehnt worden war.
"Danach hat er sich mehrere Jahre mit einem unsicheren Status in Deutschland aufgehalten, mit Gelegenheitsjobs versucht sich über Wasser zu halten. Und nach etwa acht Jahren hat er sich entschlossen, wieder zurück zu gehen nach Georgien. In dieser Zeit des Aufenthalts in Deutschland hat er aber deutsche Sprachkenntnisse erworben. Und nach der Rückkehr hat er angefangen, deutschsprachige Individualtouristen in Georgien zu betreuen. Nach einer gewissen Zeit macht er sich mit einer kleinen Reiseagentur selbstständig, die auf deutschsprachige Klienten ausgerichtet war."
Kompetenzen, die man im Ausland erworben hat, sind also eine mögliche Trumpfkarte für Rückkehrer. Eine andere ist der Wille, sich selbstständig zu machen, was von Remigranten häufiger versucht wird als von Daheimgebliebenen. Aber auch die erneute Migration bildet eine Option. Die Migrationsforschung, so Tatjana Baraulina, habe hier umdenken müssen.
"In der klassischen Migration wurde angenommen, dass Reintegration dann gelingt, wenn eine neue Migration nicht stattfindet. Heutzutage geht man davon aus, dass Migration ein Normalfall ist, auch mehrfach stattfinden kann innerhalb eines Lebenslaufes, einer Biografie. Wichtig ist aber, dass diese Migration auf legalem Wege geschieht."
Ältere sind transnationale Reisende
Wie schauen Migrations- und Rückkehrprozesse auf anderen Kontinenten aus? Zu einem Vergleich lädt die empirische Studie des Mainzer Sozialwissenschaftlers Vincent Horn ein. Er hat für seine gerade abgeschlossene Doktorarbeit Interviews mit peruanischen Migranten geführt, die zumeist in Spanien sind, und ihre Beziehungen zum Heimatland untersucht.
"Da ist klar geworden, dass einerseits die älteren peruanischen Migranten noch sehr stark Unterstützungsleistungen für Familienangehörige, auch für Enkelkinder in Peru leisten, sie tun das auch bis ins höhere Alter. Genauso sind sie sehr aktive Reisende, sie reisen mehr als beispielsweise Migranten im mittleren Lebensalter, wo man denken würde, die haben mehr Geld und ihre Kinder sind im Heimatland – nein, es sind die Älteren, die sehr aktive transnationale Reisende sind, und auf diesem Wege können sie ganz verschiedene Dinge transportieren: Informationen, aber auch Güter. Sie bereiten auch die Migration anderer vor.
Wie Claudia Olivier-Mensah betont auch Vincent Horn, dass die sozialen Netzwerke, insbesondere die Familien für Migrationsprozesse von entscheidender Bedeutung sind. Denn die Daheimgebliebenen leisten ebenfalls einen hohen Einsatz, um die Verbindung zu den Migranten aufrechterhalten, auch im Hinblick auf eine mögliche Rückkehr. Diese persönlichen Netzwerke scheinen wichtiger und effizienter als finanzielle Unterstützungsprogramme von staatlicher Seite.
Remigration von Exilanten
Im weiten Spektrum von Remigration lohnt der Blick auf eine letzte Gruppe: das sind Exilanten, die aus politischen Gründen ihr Heimatland verlassen hatten und nach dem Sturz des Kommunismus zurückkehrten. Die Kulturanthropologin Sarah Scholl-Schneider, sie ist Junior-Professorin an der Universität Mainz, hat den tschechischen Fall genauer untersucht:
"Mit dem Systemumbruch 1989/90 ist zum einen Migration ermöglicht worden, also legale Migration: Menschen konnten raus aus diesen Ländern, sich ganz woanders ansiedeln, dort arbeiten, zunächst nicht immer ganz legal, dann aber auch immer einfacher – und parallel dazu gab es eben auch die Möglichkeit zurückzukehren in die Heimatländer, die ja zum Teil nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen wurden, vor allem aber auch in den sechziger bis achtziger Jahren von vor allem politischen Migranten verlassen wurden."
Die Rückkehrer wähnten sich in einer recht einfachen Situation. Kehrten sie doch in eine vermeintlich bekannte Umgebung zurück: Sprache, Kultur, Geschichte – alles schien ihnen bestens vertraut. Aber sie erlebten ein Land, das sich verändert hatte, und vor allem Landsleute, die ihnen misstrauisch, ja übelnehmend begegneten. Sarah Scholl-Schneider berichtet über das Erleben der Remigranten:
"Da war ein großer Überraschungsmoment, der nochmal dadurch verstärkt wird, dass man nicht so willkommen geheißen wird, sondern dass eher so ein Eindruck vorherrschte: ‘Naja, euch ging es da gut im Westen. Ihr habt euch aus dem Staub gemacht, als es uns allen schlecht ging. Wir sind geblieben und ihr kommt jetzt zurück mit euren dicken Renten und meint jetzt, ihr hättet mehr Wissen im Gepäck, ihr könnt Fremdsprachen und wollt uns jetzt hier zeigen, wie Demokratie funktioniert.‘"
Parallelen zur Nachkriegszeit in Deutschland
Die Forscherin entdeckt Parallelen zur deutschen Nachkriegssituation, wo zurückkehrten Exilanten ebenfalls mit Misstrauen und Ablehnung begegnet wurde.
"In den postkommunistischen Fällen könnten wir das immer so deuten, dass das Ausbrechen aus dem Kollektiv, die Emigration, dass das übel genommen wird, da haben wir mit der Volksgemeinschaft eine wahnsinnige Parallele. Aber auch diese Prozesse von Projektion, dass die Daheimgebliebenen sich im Prinzip damit auseinandersetzen müssen, warum sie selber eigentlich nicht gegangen sind, und in der Person des Rückkehrers sich mit dieser Frage umso mehr konfrontiert sahen und dann ihre eigenen Ängste und Enttäuschungen in diese Person projiziert haben."
Gerade die Forschung zu Rückkehrern aus dem Exil macht abschließend noch einmal besonders deutlich, was auch allgemein gilt: Reintegration ist eben keine einseitige Aufgabe, die allein von den Rückkehrern bewältigt werden muss, sondern ein gemeinsamer Prozess, zu dessen Gelingen auch die Daheimgebliebenen aktiv und selbstkritisch beitragen müssen.