Anja Reinhardt: "Gründe, meinem alten Hausrock nachzutrauern, oder: Eine Warnung an alle, die mehr Geschmack als Geld haben." So stilistisch elegant begann Denis Diderot 1768 einen Essay über seinen neuen Morgenrock, der ihm doch einiges Kopfzerbrechen bereitete. Denn mit dem feinen Hausmantel wurde ihm plötzlich klar, dass seine restliche Kleidung sehr schäbig aussah. Und die Wohnung erst! Alles musste nachgekauft werden, damit es zum Morgenmantel passte.
Diesen So genannten Diderot-Effekt kennen Sie vielleicht auch: Neue Hose gekauft – und nichts passt dazu, weswegen man noch mehr kaufen muss. Konsum ist mindestens so alt wie der Kapitalismus – und sein Ruf ist eher schlecht. Warum eigentlich, fragt eine neue Forschungsstelle an der Universität Hildesheim, die den Konsum als Phänomen untersucht, also ganz ohne Ressentiments und mit Blick auf die Möglichkeiten für den Konsumenten. Der Kulturwissenschaftler Dirk Hohnsträter ist der Leiter dieser neuen Forschungsstelle für Konsumkultur, und er hat mir vor der Sendung erklärt, wie die Forschungsziele aussehen.
Dirk Hohnsträter: Wir untersuchen den Konsum aus kultureller Perspektive. Das heißt nicht das, was man normalerweise vielleicht unter Konsumforschung versteht, Marktforschung oder ökonomische oder juristische Studien, sondern Konsum aus kultureller Sicht. Das heißt die Kulturgeschichte des Konsums oder die Ästhetik des Konsums. Das ist eine besondere, auch neue Perspektive auf den Konsum. Man guckt sich zum Beispiel die Warenästhetik an. Man nimmt ein Produkt und schaut, als wäre es ein Gedicht oder ein Roman, wie wird das gemacht ästhetisch, mit welchen Strategien werden welche Effekte erzielt, was ist das Objekt aus ästhetischer Sicht.
Reinhardt: Das was wir heute unter Konsum verstehen, das ist ja eigentlich eher negativ konnotiert, oder? War das mal anders?
Hohnsträter: Ja, das ist eine interessante Frage, und da muss man auch ein bisschen weiter noch zurückgehen als nur ins 20. Jahrhundert. Seit der moderne Konsum oder die moderne Konsumkultur entsteht, ich würde sagen ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts, wird der Konsum kritisiert. Das ist von Anfang an dabei als begleitendes Phänomen. Seit der Konsum da ist, gibt es Stimmen dagegen, oft sehr vehement und durchaus auch erfolgreich. Und das Interessante, finde ich, ist nun, dass das seit langer Zeit so ist und trotzdem der Konsum so erfolgreich ist. Das finde ich ein interessantes Phänomen und darauf einen Blick zu werfen und zu fragen: Wie kommt das eigentlich, dass etwas, was intellektuell, sage ich mal, oder kulturell so eine Ablehnung erfährt, trotzdem so ein Riesenerfolg ist? Da kann man dann unter anderem feststellen, dass der Konsum oder die Welt des Konsums immer sehr flexibel reagiert hat auf Einwände. Dann wird zum Beispiel kritisiert, dass die Produktionsbedingungen nicht fair sind, und dann entstehen Produkte wie zum Beispiel Fair-Trade-Produkte, die darauf reagieren. Und diese Flexibilität scheint mir ein Grund dafür zu sein, dass die Konsumkultur so erfolgreich ist, obwohl sie eigentlich auf so breiter Front zunächst einmal abgelehnt wird.
Reinhardt: Sie gehen eigentlich davon aus oder Sie sagen, dass Konsum kreativ sein kann. Das heute eigentlich weit verbreitete Credo, würde ich sagen, ist schon eher 'Konsum ist böse'. Es gibt den Trend des Do-it-yourself, auch durchaus des Konsumverzichts auf bestimmte Dinge. Inwiefern, können Sie vielleicht auch erklären, kann Konsum denn kreativ sein?
Konsumenten müssen ein großes Angebot "kuratieren"
Hohnsträter: Ja, da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Konsumenten finden ein sehr großes Angebot vor und dann müssen die erst mal auswählen. Man könnte jetzt vielleicht etwas hochtrabend sagen, kuratieren. Die stellen sich sozusagen ihre eigene Lebenswelt durch Kaufentscheidungen, durch Konsumprodukte zusammen. Bei der Kleidung ist das ganz offensichtlich, bei der Wohnungseinrichtung, sag mir was Du kaufst und ich sag Dir wer Du bist. Konsum ist ein Selbstausdruck und dazu gehört natürlich eine gewisse Einbildungskraft oder Fantasie, um sein eigenes Leben zu entwerfen und die "richtigen" Konsumentscheidungen dafür zu treffen.
Eine andere Möglichkeit, kreativer den Konsum zu betrachten, geschieht darin, dass man schaut, was machen die Konsumenten mit den Produkten, bleiben die eigentlich so, wie sie im Laden waren. Und da stellt man häufig fest: Nein, die werden irgendwie in das eigene Leben integriert, die werden vielleicht umgenutzt, die werden vielleicht angemalt, die werden irgendwie verfremdet, die werden vielleicht auch in kritischer Absicht verfremdet. Da zeigt sich eine kreative Aneignung oder Anverwandlung, sage ich gerne, der Konsumprodukte, die durchaus kreative Elemente hat.
Reinhardt: Aber da würde Ihnen wahrscheinlich ein Kapitalismuskritiker vorhalten, das ist doch auch nur eine Strategie des Kapitalismus, den Konsumenten in seinem Handeln aufzuwerten.
Aneignung durch Verfremdung und "Mikro-Handlungsmöglichkeiten"
Hohnsträter: Ja und nein. Das würde der mir natürlich vorhalten. Zunächst mal beobachte ich ja nur dieses Phänomen. Aber was dann natürlich der berechtigte Punkt an diesem kritischen Einwand meines Erachtens ist, das ist, dass die Produzenten in der Lage sind, diese kreative Aneignung wieder aufzugreifen und wieder zu einem Verkaufsversprechen zu machen. Man sieht das zum Beispiel bei Computern. Da ist dann der Apfel drauf. Dann wird der von meinen Studentinnen und Studenten zum Beispiel mit Aufklebern versehen, um das Markenlogo zu verfremden, und dann sehen Sie von einer Computerfirma ein paar Monate später einen Werbespot, wo die genau diese Verfremdung aufgreift und das als coole Eigenschaft dieser Computer, dass man die so verfremden kann, zeigt. Das ist natürlich so eine ganz interessante Bewegung, wie ein Impuls, der vom Verbraucher oder von den Konsumenten kommt, dann wieder auf Produzentenseite aufgegriffen und absorbiert wird und wieder zu einem Verkaufsversprechen umgemünzt wird.
Reinhardt: Im Grunde ist es ein existenzphilosophischer Gedanke, indem wir unsere Abhängigkeit anerkennen und trotzdem eine gewisse Freiheit daraus schöpfen, indem wir selbstbestimmt handeln.
Hohnsträter: Ja. Ich denke schon, dass es Konsumenten grundsätzlich möglich ist, selbstbestimmt zu handeln. Es ist ja niemand gezwungen, jetzt außer der elementaren Grundversorgung oder ganz elementaren Gebrauchsgegenständen ist ja praktisch niemand gezwungen, etwas zu kaufen. Aber die Leute tun das und tun das sehr gerne, und ich denke, als Kulturwissenschaftler ist es gut, wenn ich erst mal die Bewertung zurückhalte und mal schaue: Was spielt sich da eigentlich ab? Wenn ich nämlich mit der Haltung herangehe und sage 'Das ist ja klar, die sind ja alle verblendet', dann sehe ich gar nicht mehr, was da vor sich geht. Ich denke, es ist wichtig, erst mal zu gucken: Welche Spielräume gibt es da denn vielleicht? Wo liegt denn vielleicht der Kulturkritiker, der von Anfang an dagegen ist, daneben, weil er vielleicht übersieht, was da an, ich sage mal, Mikro-Handlungsmöglichkeiten auf dem Feld des Konsums vielleicht möglich ist? Das würde ich gerne genau beobachten, bevor ich ein Urteil darüber fälle.
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