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Neue Galerie
Russische Avantgardekunst in New York

Wassily Kandinsky und Ernst Ludwig Kirchner hängen in der Neuen Galerie in New York nebeneinander. Das Museum hat russische und deutsche figurative Malerei aus den Jahren zwischen 1907 und 1917 zusammen- und gegenübergestellt. Nicht alle der präsentierten Maler schreien nach Entdeckung. Viele profitieren einfach von der Präsenz ihrer berühmteren deutschen Kollegen.

Von Sacha Verna |
    Zu Beginn des letzten Jahrhunderts schaute die gesamte Kunstwelt nach Frankreich. Dort definierten Maler wie Paul Cézanne, Henri Matisse und Pablo Picasso die Moderne. In die Pariser Ateliers, Galerien und Salons pilgerten auch Künstler aus Russland und Deutschland, um die Zukunft zu sehen. Zugleich wünschten sie sich, sie hätten etwas ähnlich Epochales, aber Eigenständiges zu bieten. Laut Konstantin Akinsha verband die Avantgarden dieser beiden Länder mehr als nur ein Minderwertigkeitskomplex.
    "Sie waren gleichermaßen vom Alltag der Arbeiterklasse fasziniert. Es gibt Motive, die typisch sind für die Deutschen und die Russen, die in der französischen Avantgarde aber fehlen. Zum Beispiel Szenen beim Barbier, wie sie Erich Heckel, Mikhail Larionow und David Burliuk malten. Manche dieser Bilder sehen nebeneinander gehängt aus, als stammten sie vom selben Künstler - wie die von Ringern im Zirkus von Ernst Ludwig Kirchner und Natalia Goncharowa."
    Die Genannten sind nur fünf der über neunzig Werke aus den Jahren zwischen 1907 und 1917, die Konstantin Akinsha in der New Yorker Neuen Galerie versammelt hat. Darunter befinden sich viele Arbeiten deutscher Expressionisten von Franz Marc bis Max Pechstein. Die Ausstellung ist thematisch organisiert, mit Porträts und Landschaften, Stillleben und Stadtleben,
    Die Berührungspunkte zwischen den deutschen und russischen Künstlern waren konkret:
    "Der Pionier dieser Verbindung war Wassily Kandinsky. Als er 1896 nach München zog, wurde er zur Brücke zwischen der deutschen und der Moskauer Kunstszene. Er sorgte dafür, dass Mitglieder der Künstlergruppen „Der Blaue Reiter" und „Die Brücke" in Moskau ausstellen konnten. Er sorgte für Publikationen über russische Modernisten in Deutschland. Auf beiden Seiten war man sich also bewusst, was auf der anderen vor sich ging."
    So hängt Aleksandr Kuprins nackte Dame mit Hut in der Gesellschaft eines behüteten Aktes von Ernst Ludwig Kirchner. Gabriele Münters Bildnis von Wassily Kandinsky vor einem Tisch mit Teeservice ist mit dem eines Gastes im Pariser Café Etoile von Ilya Zdanevich gepaart. Solche Nebeneinanderstellungen muten etwas simpel an. Und wie immer lässt der Platzmangel in den Räumen der Neuen Galerie Bildern und Besuchern kaum Luft zum Atmen. Hinzu kommt die aggressive Buntheit der Wände, die mit der an sich schon überwältigenden Farbenpracht der Exponate konkurriert.
    Und doch: Mit vielen der russischen Avantgardisten in dieser Ausstellung und Künstlergruppen wie "Karo-Bube" dürfte das westliche Publikum wenig vertraut sein. Nicht alle der präsentierten Maler schreien nach Entdeckung. Viele profitieren einfach von der Präsenz ihrer berühmteren deutschen Kollegen. Aber an einer Cocktailparty kann man sich die Mitgeladenen ja auch nicht aussuchen und hält sich an die Interessantesten.