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Neue Gehirn-Rückenmark-Überbrückung
Querschnittsgelähmte Rhesusaffen laufen wieder

Bei einer Querschnittlähmung ist das Rückenmark so geschädigt, dass die Signale aus dem Gehirn die Muskeln in den Beinen nicht mehr erreichen können. Jetzt ist es erstmalig gelungen, die unterbrochene Verbindung bei Rhesusaffen wieder herzustellen. Damit ist die Forschung einen wichtigen Schritt vorangekommen, erklärt DLF-Experte Volkart Wildermuth.

Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth im Gespräch mit Uli Blumenthal |
    Ein Rhesusaffe am 5. April 2009 im Gebirge Taihang Shan in China
    Über den Umweg eines drahtlos mit Gehirn und Beinmuskeln verbundenen Computers können Rhesusaffen mit einem gelähmten Bein wieder laufen (imago stock&people/ZUMA Press)
    Uli Blumenthal: Jedes Jahr erleiden zwischen 1.000 und 1.500 Menschen in Deutschland eine Querschnittlähmung. Seit vielen Jahren versucht die Forschung, die unterbrochene Verbindung zwischen Gehirn und Muskeln wieder herzustellen. Mit Medikamenten, Stammzellen und in letzter Zeit immer wieder mithilfe von elektronischen Implantaten.
    Jetzt können zwei querschnittsgelähmte Rhesusaffen mit Computerhilfe wieder laufen, wie Schweizer Forschern in der Zeitschrift Nature berichten. Mein Kollege Volkart Wildermuth hat sich die Arbeit angesehen. Zunächst einmal: Laufen die Affen wieder ganz normal?
    Volkart Wildermuth: Ja, auf der Webseite von Nature kann man sich einige Videos ansehen. Sie zeigen die beiden Affen auf einem Laufband.
    Durch die künstlich herbeigeführte Schädigung im Rückenmark ist ein Hinterbein jeweils gelähmt, wird hinterher gezogen. Dann schalten die Forscher die technische Überbrückung ein und plötzlich beginnt sich das Bein zu bewegen.
    Vielleicht nicht gleich ganz rund, aber es integriert seine Beugung und Streckung in das Bewegungsmuster der anderen Gliedmaßen und ist in der Lage das Körpergewicht zu tragen. Das ist schon eine beeindruckende Verbesserung.
    Elektroden im Gehirn senden Daten an einen Computer
    Blumenthal: Wie funktioniert das neue Verfahren?
    Wildermuth: Im Grunde haben die Forscher aus Lausanne zwei Systeme geschickt kombiniert. Das erste greift mit 100 winzigen Elektroden Bewegungssignale aus dem Gehirn ab. Mithilfe einer komplexen Analyse lässt sich daraus herauslesen, wann der Affe das Bein bewegen will.
    Solche Elektroden wurden auch schon menschlichen Patienten mit einer Querschnittlähmung implantiert. Sie konnten auf diesem Weg zum Beispiel einen Roboterarm steuern. Das Ziel der neuen Arbeit war aber, die eigenen Muskeln zu aktivieren. Diese Aufgabe übernahm ein zweites Elektrodensystem im Rückenmark unterhalb der geschädigten Stelle.
    Auch solche Implantate wurden schon Menschen eingesetzt, dann aber sozusagen per Knopfdruck, und nicht mit Signalen aus dem Gehirn gesteuert. In der Schweiz wurde jetzt erst mal der Brückenschlag erprobt: die Elektroden im Gehirn senden die Signale drahtlos an einen Computer neben dem Affenkäfig. Der interpretiert sie und sendet dann ebenso drahtlos Befehle an 16 Elektroden im Rückenmark. Über diesen Umweg kann das Gehirn dann tatsächlich wieder die Bewegung des Beines steuern.
    Blumenthal: Zwei bekannte Teile zu verbinden klingt ja gar nicht so schwer. Worin lag die Herausforderung?
    Wildermuth: Die liegt in der Bewegungssteuerung. Entscheidend ist ja, dass die vielen Muskeln im Bein koordiniert werden. Sonst zuckt das Bein nur, kann aber nicht vernünftig arbeiten. Bei dem Beispiel mit dem Roboterarm übernimmt diese Koordinierung die Technik. Die Signale im Gehirn legen sozusagen den Endpunkt der Bewegung fest, die Details der Motorsteuerung sind Aufgabe des Roboters.
    Im Grunde sind die Schweizer Forscher jetzt einen ähnlichen Weg gegangen, nur eben jetzt im Körper. Sie haben natürliche Reflexzentren im Rückenmark ausgenutzt. Denn auch bei normalen Bewegungen gibt das Gehirn vor allem die Richtung vor. Im Rückenmark werden dann festgelegte Bewegungsprogramme abgerufen, die dann noch feinjustiert werden.
    Diese Bewegungsprogramme wollten die Forscher von außen abrufen. Dazu haben sie in einem ersten Schritt erst einmal das Rückenmark von gesunden Affen mit Elektroden belauscht. So konnten sie Hotspots kartieren, die das Heben und Senken des Beines koordinieren.
    In einem zweiten Schritt, wieder bei gesunden Affen, nutzten sie Signale aus dem Gehirn, um diese Hotspots zusätzlich zu aktivieren. Das Ergebnis: die Tiere hoben ihr Bein deutlich höher an. Die Forscher justierten ihr System immer weiter nach, bis sich diese eigentlich übertriebene Bewegung ganz natürlich in den Bewegungsfluss integrierte.
    Damit waren sie bereit für den dritten Schritt. Sie durchtrennten bei zwei Affen die eine Hälfte des Rückenmarks und lähmten so das eine Hinterbein. Aber dank der elektronischen Überbrückung konnten die Affen das Bein wieder ansteuern und in den Bewegungsablauf integrieren.
    Das funktioniert überraschend gut, sie mussten nicht einmal üben. Das gilt allerdings vorerst nur für das Laufen. Komplexere Bewegungsabläufe, wie sie etwa für das Klettern erforderlich sind, erfordern sicherlich deutlich mehr Feinsteuerung, als mit diesem System derzeit möglich ist.
    "Es gibt noch wichtige Hürden"
    Blumenthal: Lässt sich dieser Ansatz denn auch auf den Menschen übertragen?
    Wildermuth: Sicher, die einzelnen Elemente sind ja bereits am Menschen erprobt worden. Außerdem ist der Weg vom Versuch am Affen zu Studien an Menschen nicht so weit, in vielen Fällen sind da nur vier oder fünf Jahre vergangen.
    Aber es gibt noch wichtige Hürden. Erstens war bei den Affen ja nur ein Bein gelähmt, bei einem Querschnittsgelähmten sind es beide. Zweitens stehen Affen als Vierfüßler sowieso stabiler da. Ein Mensch muss auf seinen zwei Beinen viel mehr balancieren. Außerdem reicht es nicht aus, auf einer ebenen Fläche zu laufen. Im Alltag sind Absätze und Treppen große Hindernisse.
    Es ist aber durchaus vorstellbar, auch dafür im Rückenmark passende Bewegungsprogramme auszulösen. Ein weiteres Problem sind die Elektroden. Sie funktionieren nur eine begrenzte Zeit, weil das biologische Gewebe reagiert und sich verändert und die Signale immer schwächer werden.
    Also hier gibt es viel Forschungsbedarf, es wird noch lange dauern, bis sich ein Querschnittsgelähmter mit diesem System frei bewegen kann. Aber die Forschung ist auf diesem Weg jetzt einen wichtigen Schritt vorangekommen.
    Blumenthal: Sind dafür Versuche an Affen unabdingbar?
    Wildermuth: Tatsächlich haben die Forscher ihre Voruntersuchungen an Ratten vorgenommen. Aber sie sagen, dass es da doch zu große Unterschiede vor allem in der Organisation des Gehirns gibt. Die Versuche an Affen waren deshalb wohl notwendig.
    In Europa wächst allerdings der Widerstand von Tierschützern gegen Experimente an Primaten. Obwohl die Versuche den gesetzlichen Regeln in der Schweiz entsprachen, fanden sie deshalb in Laboren in China statt. Dort wurde ein großes Hirnforschungsprojekt gestartet, in dessen Rahmen auch Forschungsstationen für die Arbeit mit Rhesusaffen aufgebaut wurden, das zunehmend auch europäische Forscher nutzen.
    Die große Entfernung hat die Arbeit sicher verzögert. Im Grunde sollte offen darüber diskutiert werden, ob die Gesellschaft solche Hilfssysteme für Querschnittsgelähmte will. Wenn die Antwort ja lautet, dann sollten solche Experimente auch in Europa stattfinden, ohne dass die Forscher Angst vor Anfeindungen haben müssen.