Archiv

Neue genetische Tests für künftige Eltern
Planungssicherheit oder Verunsicherung?

Neue genetische Testverfahren, sogenannte präkonzeptionelle Anlageträger-Screenings, richten sich an Paare mit einem Kinderwunsch – also noch vor der Zeugung. Es geht um die Frage, ob die gesunden Eltern krankmachende Anlagen in sich tragen. Mit den möglichen Konsequenzen solcher Tests befassen sich inzwischen Soziologen, Ethiker und Mediziner.

Von Doris Arp | 22.09.2016
    Eine Broschüre zur pränatalen Diagnostik
    Sicherheit für die Familienplanung durch neue genetische Tests? (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    Wenn Sie zwischen Sicherheit und Unsicherheit wählen könnten, wie würden Sie entscheiden? Vermutlich votieren die meisten von uns für Sicherheit. Ganz besonders, wenn es um die eigenen Kinder geht.
    "Es wird gesagt, ihr wollt doch eure Familie so verantwortlich wie möglich planen. Hier gibt es eine neue Wissensquelle, da könnt ihr noch etwas mehr Wissen haben über mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen und es wäre doch unverantwortlich, wenn ihr das nicht nutzen würdet."
    Unverantwortlich wollen Eltern in der Regel nicht sein. Auch künftige nicht, meint Peter Wehling, Soziologe an der Goethe Universität in Frankfurt. Er leitet ein Forschungsprojekt zum sogenannten Anlageträger-Screening am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften. Anders als die Pränataldiagnostik, die den Embryo im Blick hat, richten sich diese neuen genetischen Testverfahren an Paare mit einem Kinderwunsch – also noch vor der Zeugung.
    Es geht um die genetische Zukunft der möglichen Familie, um die Frage, ob die gesunden Eltern krankmachende Anlagen in sich tragen. Wenn Vater und Mutter beide Träger beispielsweise für die rezessiv vererbte Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose sind, dann hätte ein gemeinsames Kind ein fünfundzwanzigprozentiges Risiko, daran zu erkranken.
    "Rein statistisch gesehen, bei drei von vier Paaren, die in dieser Entscheidungssituation sind, die würden einfach nach den Wahrscheinlichkeitsregeln ein gesundes Kind bekommen."
    Versprochen wird Planungssicherheit für Eltern
    Rein rechnerisch ist das Risiko klein: Wenn wir beim Beispiel der Mukoviszidose bleiben, dann sind nur fünf Prozent der Bevölkerung in Deutschland überhaupt Merkmalsträger. Etwa 200 Kinder kommen mit dieser Krankheit jedes Jahr auf die Welt. Angesicht von etwa 700.000 Kindern, die jedes Jahr hierzulande geboren werden, ist die Krankheit extrem selten. Doch die Anbieter zielen genau auf diesen Rest Unsicherheit, erklärt der Soziologe:
    "Es wird zum Beispiel gesagt, 8o Prozent aller Kinder, die mit einer rezessiven Erkrankung geboren werden, da gab es vorher in der Familiengeschichte keinerlei Hinweise darauf und es wird gesagt, jeder Mensch ist vermutlich Anlageträger für eine rezessive Erkrankung, sodass Paare vermutlich auf diese Weise verunsichert und Ängste erzeugt werden."
    Versprochen wird Planungssicherheit für Eltern, es geht um ihre "reproduktive Autonomie", wie es im Fachjargon der Mediziner heißt. Bis vor Kurzem wurden diese Tests gezielt auf eine oder wenige Erkrankungen bei solchen Paaren vorgenommen, die eine entsprechende familiäre Vorgeschichte haben.
    Inzwischen, und das ist neu, richten sich diese Anlagescreenings an alle Paare mit Kinderwunsch. Diese Ausweitung führt auch zu einer Öffnung dessen, was getestet wird. Auf dem angloamerikanischen Markt werden Testbatterien im Internet angeboten, die zwischen 30 und bis zu 600 Anlageträgerschaften testen können.
    Eine begleitende Beratung gibt es nicht
    "Erfasst werden dabei ja nicht nur schwerwiegende und im Kindesalter tödliche Erkrankungen, die gibt es natürlich auch. Sondern auch leichtere Erkrankungen, milder verlaufende Erkrankungen oder gut therapierbare oder solche, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen. Unter diesen Aspekten hat man es im Prinzip mit einer neuartigen Diagnostik zu tun, die eben auch das Potenzial hat ganz neue soziale und ethische Fragestellungen aufzuwerfen."
    In der Regel wissen Paare, die den Test im Internet entdecken und bestellen, nicht, was sich hinter jeder der 600 Anlagen verbirgt. Eine begleitende Beratung gibt es nicht. Getestet wird beispielsweise auch erbliche Gehörlosigkeit oder Schwerhörigkeit und eine Stoffwechselstörung, die hierzulande bereits in einem Neugeborenen Screening gesucht wird und die dann durch eine Diät symptomfrei behandelt werden kann.
    Warum sollen solche Einschränkungen vor der Geburt, ja sogar vor der Zeugung überhaupt abgeklärt werden? Wie sollen Eltern entscheiden, wenn sie zufällig beide Anlageträger für eine oder sogar zwei oder drei Erkrankungen wären?
    "Wenn ein Paar das erst während der Schwangerschaft macht und dann einen positiven Befund hat, bleibt ja eigentlich nur Schwangerschaftsabbruch oder das Kind mit der möglichen Beeinträchtigung zu bekommen. Vor der Schwangerschaft kann man sich natürlich entscheiden, gar keine Kinder zu bekommen oder ein Kind zu adoptieren oder eine Samenspende von einem getesteten Spender, in anderen Ländern könnte man auch eine Eizellspende nehmen oder eine Präimplantationsdiagnostik."
    Was ist schwer oder gar unerträglich?
    Diese Alternativen sind medizinisch aufwendig und kompliziert. Professor Christiane Woopen, Medizinethikerin an der Universität Köln und ehemalige Leiterin des Deutschen Ethikrates hält Anlagetests nur dann für sinnvoll, wenn es ein bekanntes familiäres Risiko für eine schwere Erkrankung gibt, also zum Beispiel im Fall der Mukoviszidose.
    "Es muss immer noch möglich sein, einfach ohne genetische Untersuchung, ohne Planung mit einem tiefen, umfassenden Ja zu zeugen und einfach anzunehmen ohne vorher die gesundheitlichen Bedingungen zu klären. Etwas anderes ist es bei wirklich schweren und tragischen Erkrankungen, die mit großem Leiden verbunden sind, die vielleicht nur mit einer allenfalls geringen Überlebenszeit verbunden sind, wobei die Grenzziehung dazwischen natürlich nie ganz klar sein wird."
    Was ist schwer oder gar unerträglich? Das lässt sich wohl kaum von außen beurteilen. "Leiden", das weiß man aus zahlreichen Studien, ist ein höchst subjektives Erleben. Und viele Erkrankungen verlaufen in sehr unterschiedlichen Ausprägungen, über die ein genetischer Test keine Auskunft geben kann. Der Soziologe Peter Wehling hat im Rahmen seiner Studie auch Interviews mit Mitgliedern von Patientenorganisationen gemacht:
    "Generell war die Befürchtung, dass die Kinder, die trotzdem diese Erkrankung haben, dass dann diese Betroffenen oder ihre Eltern diskriminiert werden, die Solidarität mit ihnen nachlässt."
    Es geht um Vermeidung der Geburt behinderter Kinder
    Denn im Kern gehe es bei genetischen Tests immer um die Vermeidung der Geburt behinderter oder kranker Kinder, sagt Erika Feyerabend, Sozialwissenschaftlerin und Mitbegründerin von Bioskop, dem Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften in Essen.
    "Auf der einen Seite folgen diese präkonzeptionellen Gentests der Logik der Pränataldiagnostik, also der Versuch der Vermeidung der Geburt, in dem Fall auch der Empfängnis von Menschen mit bestimmten Einschränkungen. Aus dieser Ausweitung, die der Logik der Pränataldiagnostik folgt, kann auch ein qualitativer Sprung entstehen, nämlich eine Ausweitung der Verantwortung für die nächst folgende Generation."
    In den USA und in Israel gibt es schon Programme, die gezielt in bestimmten ethnischen Gruppierungen die Anlageträgerschaft verringern sollen. Ein Beispiel ist die Tai-Sachs-Erkrankung, die bei aschkenasischen Juden häufiger vorkommt. Der Deutsche Ethikrat schrieb dazu in seiner Stellungnahme "Zukunft der genetischen Diagnostik – von der Forschung in die klinische Anwendung" 2013:
    "Bei den bisher in anderen Staaten umgesetzten Empfehlungen zu Reihenuntersuchungen in Bevölkerungsgruppen mit bestimmten erhöhten genetischen Risiken erwies sich als zentrale ethische Herausforderung die Abwägung zwischen der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen für oder gegen solche Tests einerseits und dem gesellschaftlichen Interesse an der Vermeidung von Leid in betroffenen Bevölkerungsgruppen, der Verringerung der Häufigkeit von Anlageträgern und der Senkung von Kosten für die Behandlung von Krankheiten durch Vermeidung der Zeugung betroffener Individuen andererseits."
    Hierzulande ist das Recht auf Nichtwissen gesetzlich verankert. Es kann also niemand zu einem Test gezwungen werden. Aber es gäbe durchaus eine moralische Verpflichtung, meint die Medizinethikerin Christiane Woopen, unter deren Vorsitz die Stellungnahme vor drei Jahren verfasst wurde.
    "Eine ganz neue Ebene von Prävention"
    "Wir haben überlegt und auch entschieden, dass es eine moralische Pflicht oder der Appell ausgesprochen werden kann, eine solche Diagnostik durchzuführen, unter ganz bestimmten Bedingungen: Wenn man tatsächlich etwas gegen den Ausbruch der Krankheit tun kann, wenn es nicht zu Diskriminierungs- und Stigmatisierungseffekten führt und die Vorteile die Nachteile deutlich überwiegen.
    Insofern kann man schon sagen, dass der Einzelne schon eine Pflicht haben kann sich selbst gegenüber den Ausbruch dieser Krankheit zu vermeiden, wobei die Pflicht mit großer Vorsicht und Einschränkung zu sehen ist, denn die Freiheit ist immer noch wichtiger als die Gesundheit und wenn er damit auch dazu beiträgt, die Solidargemeinschaft zu entlasten, die dadurch, dass er den Ausbruch der schweren Krankheit verhindert natürlich einiges an Kosten und Belastungen vermeiden kann."
    "Das wäre eine ganz neue Ebene von Prävention, die sich dann auch weitgehend ablöst von Gesundheit, denn rezessive Anlageträger sind ja in aller Regel selber gesund. Ich glaube, es ist problematisch überhaupt auf diese Ebene der Argumentation sich einzulassen und eine Diagnostik aus gesundheitsökonomischen Gründen voranzutreiben und damit den Gedanken zu etablieren, dass Menschen, die krank sind, vor allem als volkswirtschaftlicher Kostenfaktor wahrgenommen werden."
    Wissenschaft und Pharmaindustrie entwickeln immer einfachere Testverfahren. Inzwischen reicht ein Tropfen Blut der Schwangeren, um mit großer Genauigkeit einige Trisomien, allen voran die Trisomie 21, bekannter unter Down Syndrom, vorherzusagen. Der Test macht die invasive Fruchtwasser- oder Chorionzottenbiopsie überflüssig und verringert so die Gefahr einer durch die Untersuchung ausgelösten Fehlgeburt.
    Der Bluttest ist einfach anzuwenden und sehr genau. Weshalb der Gemeinsame Bundesausschuss des Gesundheitswesens kürzlich beschlossen hat, den Test in die Methodenbewertung hineinzunehmen. Ziel ist eine mögliche Krankenkassenzulassung des Verfahrens. Medizinethikerin Christiane Woopen sieht darin nur Vorteile:
    "Der Gemeinsame Bundesausschuss hat diese Methode auf die Risikopersonen zugeschnitten, das sind diejenigen Schwangeren, die ohnehin jetzt auch schon Zugang zu Amniozenthese und Chorionzottenbiopsie haben auf Kassenkosten."
    Gesellschaftliche Diskussion über diese Tests notwendig
    "Eine Begrenzung auf Risikoschwangere - das ist schon eine große Gruppe. Heutzutage sind mehr als 70 Prozent der Frauen kategorisiert als Risikoschwangere, da kann man diesen neuen Bluttest zur Anwendung bringen", meint Erika Feyerabend von Bioskop. "Und weil er nicht invasiv ist – es ist auch einfacher für Frauen, neigt er dazu, ein Screening, also auch eine Reihenuntersuchung, zu werden."
    Auch der Bluttest selbst hat eine diagnostische Ausweitung erfahren. In der Entwicklung ging es anfangs nur um das Down Syndrom, dann kamen die Trisomien 18 und 13 und das Turner Syndrom hinzu. Inzwischen testen einige Hersteller auch sogenannte Mikrodeletionen, von denen teilweise noch gar nicht klar ist, was das klinisch für das Kind überhaupt bedeutet. Hier wünscht sich die Medizinethikerin Woopen eine gesellschaftliche und politische Diskussion über die Reichweite solcher Tests.
    "Wir brauchen eine Diskussion darüber, welche Eigenschaften sollen denn überhaupt untersucht werden dürfen. Da haben wir genau das gleiche Problem, wie bei den Anlageträgerschaften, dass alles zusammengepfercht ist, also die ganz schweren Erkrankungen mit solchen, die leicht und behandelbar sind."
    Die Sozialwissenschaftlerin Erika Feyerabend hält allerdings die Wissenschaft selbst für einen Treiber immer neuer Entwicklungen. Medizinische Grundlagenforschung würde immer schneller in Angebote für den Markt umgesetzt. Politik und Gesellschaft könnten darauf immer nur im Nachhinein reagieren.
    Das Angebot trifft auf zunehmend verunsicherte Paare
    "Der Motor ist das Angebot, die Nachfrage wird erst geschaffen. Dieses Angebot ist für meine Begriffe stark ökonomisch bestimmt. Nicht nur von Firmen, die solche diagnostischen Verfahren anbieten, sondern auch von einer Wissenschaft, die immer mehr dazu drängt, anwendungsorientiert zu sein. Die immer mehr darauf zuläuft, sich nicht mit der Behandlung von Krankheiten real existierender Menschen zu beschäftigen, sondern sich immer mehr um Risiken, immer mehr um Selbstoptimierungsinstrumente, Gestaltungen des eigenen Lebens beschäftigt und ihre ursprüngliche Aufgabe zunehmend verlässt."
    Das Angebot trifft auf zunehmend verunsicherte Paare und Schwangere. Eine natürliche Zuversicht, dass alles gut wird, gehe mit dem steigenden Angebot an Diagnostik immer mehr verloren.
    "Schwangere fühlen sich nicht so sehr in guter Hoffnung, sondern von Risiken umgeben. Der Versuch diese Risiken irgendwie zu minimieren, sein Leben im Griff zu behalten und Zufälligkeiten zu vermeiden, das kann ich alles gut verstehen. Die Frage ist, sollte das politisch gefördert werden, sollte das von einem Gesundheitswesen gefördert werden? Und da bin ich der Meinung sollten wir doch mal auf die Bremse treten und Verlangsamung versuchen. Und auch überlegen, nicht nur, was an Wissenszugewinn mit diesen Techniken, ob jetzt präkonzeptionell oder pränatal, gewonnen wird, sondern auch, was wir verlieren."