Ohne Gefühl ist selbst das Wunderwerk Hand nur halb so viel wert. Das Zusammenspiel von 33 Muskeln will genau gesteuert sein. Um stets exakt zuzugreifen, braucht der Mensch eine Rückmeldung: Habe ich den Schraubenzieher fest im Griff? Zerquetsche ich gerade die Banane? Träger einer Handprothese können von so viel Feinmotorik bisher nur träumen. Ohne Verbindung zum Nervensystem bleibt ihre Prothese stumm. Anders dagegen die neue Hand von Dennis Sørensen:
"Der Patient konnte mit der Prothese unterschiedliche Härte oder Weichheit von Gegenständen fühlen, konnte also einen Plastikbecher, eine Mandarine und einen Stapel Papiertaschentücher unterscheiden. Und er konnte auch die Form unterscheiden, ob etwas rund ist, ob etwas eckig ist,"
berichtet Thomas Stieglitz vom Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg. Zusammen mit internationalen Kollegen hat er den Dänen zum ersten Menschen gemacht, der mit seiner künstlichen Hand auch fühlen kann - wie die Forscher in der Fachzeitung Science Translational Medicine schreiben. Das Besondere an der Prothese des Patienten:
"Wir haben in der Prothese Kraftsensoren, so wie wir in unseren Fingern Kraftsensoren haben, nur dass die Übertragung jetzt technisch ist, über Kabel in einen Computer. Dieser Computer berechnet Strompulse, die dann über Kabel aus dem Computer in eine Elektrode im Nerv übermittelt werden. Und von da an geht es über die Nervenbahnen direkt ins Gehirn, und man fühlt, was man gegriffen hat."
Der Prothese blind vertrauen
Über die verbliebenen Muskeln im Armstumpf kann der Patient wiederum seine künstliche Hand steuern. Die Muskelaktivität wird gemessen und von einem Computer in Kommandos für die Prothese umgerechnet. Und all das, ohne dass der Patient die Verzögerung merkt oder lange trainieren muss.
"Schon nach wenigen Minuten konnte er greifen und den Griff auch fühlen - bei vielen anderen bisher eingesetzten Systemen waren Lernzeiten zwischen einigen Wochen und Monaten notwendig."
Vor zehn Jahren hatte ein Feuerwerkskörper Dennis Sørensen die Hand abgerissen. Mit der sogenannten "Live Hand 2" konnte der 36-Jährige seiner Prothese nun erstmals auch blind vertrauen.
"Der Patient konnte mit der Prothese unterschiedliche Gegenstände greifen, und zwar ohne darauf zu schauen. Normalerweise brauchen sie den Blickkontakt, um Gegenstände zu greifen und nicht fallen zu lassen."
Ein ähnliches Projekt war 2009 noch gescheitert. Die Elektroden in den beiden Oberarm-Nerven hatten den immensen Belastungen nicht lange standgehalten. Kein Wunder:
"Das Komplizierte an den Elektroden sind die unterschiedlichen Anforderungen. Sie müssen so klein sein, dass sie leicht und störungsfrei in den Nerv herein gehen, aber so stabil, dass sie im täglichen Leben und bei der Operation nicht zerstört werden. Sie müssen stabil sein gegen Körperflüssigkeiten wie das Salzwasser, sie dürfen vom Immunsystem nicht angegriffen werden und der elektrische Strom, mit dem wir den Nerv stimulieren, darf nicht die Elektroden zum Korrodieren, also zum Rosten bringen."
Zulassung erst in zehn Jahren
Diesmal überstand das System den 30-tägigen Versuch dank neuer Materialien ohne Probleme. Trotzdem bleibe noch einiges zu tun, so Stieglitz:
"Eine Herausforderung ist sicherlich, aus der Prothese ein marktfähiges Produkt zu machen, bei dem der Computer so klein wird, dass er in die Prothese passt. Auf der anderen Seite müssen die Elektroden auch noch mit einem vollimplantierbaren Implantat verbunden werden, sodass keine Kabel mehr vorhanden sind und alles unter der Haut implantiert werden kann, auch da brauchen wir noch weitere Entwicklungen."
Als nächster Schritt steht nun eine längere Studie mit mehr Patienten an. Für andere Amputierte bleibt die fühlende Prothese noch ein ferner Traum. Mit einer Zulassung soll erst in zehn Jahren zu rechnen sein.