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Neue Heimat Triest (1/5)
Grenzgänger zwischen Italien und Slowenien

Seitdem die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien die Regierungsgeschäfte übernommen haben, ist es schwieriger für Ausländer geworden. Das erleben auch diejenigen, die schon viele Jahre in Triest leben. Sie flohen einst vor den Balkankriegen und registrieren, wie sich Italien verändert.

Von Kirstin Hausen |
    Die Uferstraße im Zentrum von Triest im letzten Tageslicht mit vorübergehend aufgestellten Verkaufszelten, aufgenommen am 06.09.2012.
    Die Debatte um Flüchtlinge ist längst auch in der Hafenstadt Triest angekommen (dpa / Thomas Muncke)
    Die Küche des Antico Caffè San Marco ist klein und zweckmäßig. Keine Showküche, wie es in vielen Restaurants inzwischen Mode ist. Auf dem Gasherd köchelt ein Eintopf.
    "Das wird ein Ragout mit Möhren und Entenfleisch. Zwei bis drei Stunden muss es einkochen, damit das Fleisch schön zart wird."
    Es ist 9 Uhr morgens. Chefkoch Matija Antolovich, 1,90 Meter groß, langer, gepflegter Bart, tüftelt noch an der Karte für den Mittagstisch. Drei bis fünf Vorspeisen und vier bis sechs Hauptgerichte bietet er täglich an.
    "Ich hab so meine Probleme mit einer fixen Speisekarte. Ich will nicht gezwungen sein, Zucchini zu kaufen, die mir nicht gefallen, nur weil sie auf der Karte stehen. Deshalb sage ich Mauro, der die Speisen serviert immer, welche täglichen Änderungen ich am Menü vornehme. Das Variieren erlaubt mir, ausschließlich frisches Gemüse, das richtig gut schmeckt, auf den Tisch zu bringen."
    Ohne Stop über die italienisch-slowenische Grenze
    Bei Matija kommt nichts aus der Dose, das meiste Gemüse stammt sogar aus seinem eigenen Garten. Der 34-Jährige lebt auf dem Land, in einem kleinen Dorf in Slowenien. Nach Triest fährt er morgens und abends jeweils eine halbe Stunde mit dem Auto. Die italienisch-slowenische Grenze passiert er dabei, ohne anzuhalten. Slowenien ist seit 2007 Mitglied des Schengener Abkommens. Innerhalb des Schengenraumes sind keine Personenkontrollen mehr vorgesehen. Für Matija eine echte Zeitersparnis.
    Ein Mann mit Vollbart steht mit einer Pfanne in der Hand an einer Küchenanrichte. Im Hintergrund ist ein Küchenhelfer zu sehen.
    Chefkoch Matija Antolovich (Deutschlandradio / Kirstin Hausen)
    "Diese halbstündige Autofahrt kommt mir nicht lang vor. Ich fahre gern Auto. Slowenien ist klein, in anderthalb Stunden bist du vom Meer in den Bergen, an der Grenze zu Ungarn und Österreich."
    Bessere Jobs dank einer besseren Ausbildung
    Circa 10.000 Slowenen und Kroaten überqueren laut der Regionalgruppe Friaul Julisch Venetien der Gewerkschaft UIL täglich die Grenze, weil sie in Italien arbeiten. In der Vergangenheit übernahmen die Männer vor allem niedrig qualifizierte Jobs auf dem Bau und in der Landwirtschaft und die Frauen halfen in privaten Haushalten sowie in der Kinder- und Altenbetreuung. Inzwischen ist das Ausbildungsniveau gestiegen und Grenzgänger besetzen auch höhere Positionen. Matija ist ein gutes Beispiel für diese aktuelle Entwicklung.
    "Ich habe Italienisch in der Schule gelernt, und als ich zur Universität ging, habe ich mir Lehrbücher auf Italienisch gekauft und meine Examen dann auf Slowenisch abgelegt. Die Kultur hier ist sehr gemischt, sprachlich, aber auch in der Küche."
    Besonders in dieser Küche.
    "Ich bin Slowene, der zweite Koch ist Triestiner, das Gebäck macht eine Sizilianerin, unser Tellerwäscher ist von den Philippinen.
    Der zweite Koch ist im Urlaub. Matija hat heute ausnahmsweise Francesco, der sonst als Barkeeper im Kaffeehaus arbeitet, als Helfer. Gemeinsam füllen sie Pastete in eine Gefrierform.
    Mauro, der Oberkellner, kommt herein und lässt sich erklären, was am Mittagsmenü heute geändert wird. Statt Meeräsche gibt es Miesmuscheln und statt frischem Blattspinat Rote Beete.
    Alexandros, der Besitzer des Antico Caffè San Marco, hat sich an die täglichen Änderungen gewöhnt. Und er schätzt es, dass sein Küchenchef so viel Wert auf Frische und Qualität der Produkte legt. Inzwischen lässt er ihm völlig freie Hand.
    "In den ersten zwei Monaten hier habe ich genau das Gleiche gekocht wie mein Vorgänger. Erst mit der Zeit habe ich langsam begonnen, eigene Vorschläge einzubringen. So kamen die Bleki, typisch slowenische Teigwaren, auf die Karte. Geschrieben auch mit dem slowenischen K, das es im Italienischen nicht gibt. Unsere Gäste lieben sie. Hätte ich das aber an meinem ersten Arbeitstag gewagt, wäre es sicher nicht so gut angekommen. Dann hätte es geheißen: da kommt einer von auswärts und will uns jetzt vorschreiben, was wir für Nudeln essen sollen."
    Flüchtlingsdebatte auch in Triest angekommen
    Defensiv und diplomatisch sei er anfangs aufgetreten, sagt der slowenische Küchenchef und das empfiehlt er auch allen Ausländern, die heute nach Triest kommen. Die Flüchtlingsdebatte ist auch in Triest angekommen.
    Bei den Regionalwahlen am 29. April 2018 erhielt die Lega im Stimmbezirk Triest mit ihrem Anti-Immigrations-Kurs 30 Prozent der Wählerstimmen. Und neuer Präsident der Region wurde Massimiliano Fedriga, ein junger, aufstrebender Lega-Politiker, der bei jedem Fernsehauftritt wiederholt, welche Gefahr die Immigranten für Europa darstellen.
    "Wir haben bereits Beispiele, was passieren wird. Schauen wir uns doch nur die Banlieues von Paris an. Und wer hat die Anschläge in London verübt. Immigranten der dritten Generation! Ab einer bestimmten Anzahl ist Integration nicht mehr möglich und erst recht nicht im jetzigen Moment. Der europäische Kontinent durchlebt gerade eine schwere wirtschaftliche Krise."
    Matija Antolovich bleibt gelassen. Und widmet sich den eingehenden Bestellungen als der Politik. Miesmuscheln, Zwei Mal Tagliatelle mit Entenragout und ein Wiener Schnitzel.
    "Ich verfolge die Politik nicht mehr so sehr. Weder in Slowenien, wo ich lebe, noch hier in Italien. Aber mir scheinen die aktuellen Maßnahmen übertrieben. Das italienische Volk wird dieser politischen Richtung nicht erlauben, das Land gänzlich zu verändern."