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Neue Heimat Triest (4/5)
Begegnungen am Rande der Stadt

Lange galt in Triest: Steigende Flüchtlingszahlen kann die Stadt verkraften. Weil auf dezentrale Betreuung statt auf riesige Aufnahmelager gesetzt wurde. Doch der Wind hat sich gedreht.

Von Kirstin Hausen |
    Drei Männer stehen in Triest in einem Park
    Gianfranco Schiavone, Bahtiar Saphi, Mefehnja Tatcheu (von rechts nach rechts) beim Jahresfest des Flüchtlingshilfswerks ICS in Triest (Deutschlandradio / Kirstin Hausen)
    Blüte, Stengel, zwei Blätter – fertig ist das Blumentatoo aus Henna, das sich die vierjährgie Teresa wünschte. Ihre Mutter hat sich von einer Gruppe algerischer und sudanesischer Frauen kurzerhand zeigen lassen, wie es geht. Denn die Wartezeit am Stand für Hennabemalungen ist zu lang für die Geduld von Teresa. Der Stand, an dem die Flüchtlingsfrauen kunstvolle Muster auf die Handrücken der großen und kleinen Besucherinnen malen, ist eines der Highlights des Sommerfestes, das das Flüchtlingshilfswerk ICS wie jedes Jahr ausrichtet. An einem anderen Stand basteln junge Männer, auch sie stammen größtenteils aus Afrika, für die Kinder Drachen aus Holz und buntem Papier. Der Afghane Bahtiar Sapi ist mit Feuereifer bei der Sache.
    "Nicht alle, aber doch einige Leute, denken, Flüchtlinge seien alle böse und nur gekommen, um Schaden anzurichten. Bevor sie so urteilen, sollten sie mal mit einem von uns sprechen. Hier ist die Gelegenheit dazu, mir tut es gut, so ein Fest wie dieses."
    Ein Fest der Freude und Begegnung
    Natürlich gibt es auch kulinarische Kostproben aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Auf einer kleinen Bühne werden später am Abend traditionelle Tänze aufgeführt. Was es dagegen nicht gibt: Ansprachen, Reden, politische Diskussionen. Dieses Fest soll einfach nur Freude machen und Begegnungen ermöglichen. Viele Besucher sind darüber froh.
    "Auf diese Art wird dir keine andere politische Meinung aufgedrängt, sondern du machst eine Erfahrung."
    "So ein fröhliches Miteinander würde ich mir überall wünschen. Die Kinder haben großen Spaß. Jetzt muss ich mich aber mit meiner Tochter in die Schlange stellen, sie will unbedingt ein Handtattoo mit Henna."
    Mehr Flüchtlinge als im Krisenjahr
    Auch Sofia, die Tochter von Alexandros Delithanassis, zieht ihren Vater in Richtung Tattoostand. Doch der Kaffeehausbesitzer bleibt alle paar Meter stehen, um Bekannte zu begrüßen. Freundschaftlich schlägt er Gianfranco Schiavone auf die Schuler und lobt das Fest. Der Präsident des Flüchtlingshilfswerk ICS wirkt heute gelöst, entspannt. Er ist stolz auf seine knapp 200 Mitarbeitenden, die sich derzeit um 1.200 Flüchtlinge kümmern. So viele wie in diesem Jahr hat Triest noch nie aufgenommen, selbst im Krisenjahr 2015 nicht, als mehr als eine Million Flüchtlinge Italien allein über das Mittelmeer erreichten und der italienische Staat in aller Eile ein Notprogramm zur Erstversorgung auflegen musste.
    "In dieser Phase wurde die Flüchtlingshilfe zu einem lukrativen Geschäft, weil in kurzer Zeit viele Menschen untergebracht werden mussten und die Behörden alles akzeptierten und bezahlten, was ihnen angeboten wurde von privater Seite. Da haben sich Private beteiligt, die nicht immer für diese Arbeit ausgebildet waren und hinter denen im schlimmsten Fall die Organisierte Kriminalität steckte."
    Statt die Verantwortung für die mangelnde Planung und Organisation der Flüchtlingshilfe zu übernehmen, hätten die Politiker den Schwarzen Peter den Flüchtlingen zugeschoben, von einer "Invasion" gesprochen, so Gianfranco Schiavone. Dieser Begriff habe sich in den Köpfen vieler Bürgerinnen und Bürger festgesetzt und eine negative Sicht auf das Flüchtlingsphänomen begünstigt. Fernsehbilder von Kasernen, in denen Hunderte, manchmal Tausende Flüchtlinge resigniert an die Decke starrten, taten ihr Übriges.
    "Wir konnten in Triest verhindern, dass die Situation aus dem Ruder läuft, weil wir nicht auf riesige Aufnahmelager gesetzt haben, sondern unserem Ansatz einer integrativen Betreuung treu geblieben sind. Unsere Kapazität konnten wir von 200 Plätzen auf 1200 steigern, aber wir legen Wert darauf, dass wir die Flüchtlinge in normalen Wohnungen unterbringen, die über die gesamte Stadt verteilt sind. Derzeit haben wir 140 Wohnungen in allen Vierteln der Stadt."
    Hauptkritikpunkt am integrativen Ansatz sind die Kosten.
    Lega und Fünf-Sterne Bewegung: Kein Interesse an Integration
    "Wir erhalten 35 Euro pro Tag pro Flüchtling, egal welche spezielle Geschichte er hat, das ist also ein Pauschalbetrag, aber wir glauben, dass er ausreicht, um eine gute Betreuung zu garantieren. Wir bezahlen davon nicht nur die materielle Versorgung, sondern auch Sprachkurse, Weiterbildungsmaßnahmen und Projekte zur sozialen Integration."
    Italiens Regierung aus Lega und Fünf-Sterne Bewegung will von Integration nichts wissen, sondern eine möglichst schnelle Prüfung der Asylanträge und ein konsequentes Abschieben abgelehnter Asylbewerber. Doch was passiert mit denjenigen, deren Asylantrag angenommen wird?
    Flüchtlinge schauen auf einem Schiff durch die Stangen der Reeling
    Italiens Regierung will ein konsequentes Abschieben abgelehnter Asylbewerber (Alessandro FUCARINI / fucarini / AFP)
    "Wer auf den Ausgang seines Asylverfahrens wartet, hat das Recht auf Betreuung. Ist das Verfahren aber abgeschlossen und der Asylantrag angenommen worden, hat er kein Anrecht mehr auf Betreuung und steht am nächsten Tag auf der Straße. Theoretisch wäre dann das Sozialamt der Gemeinde, in der der anerkannte Asylbewerber lebt, zuständig. Weil die Gemeinden die Ausgaben, die auf sie zukämen, fürchten, weigern sie sich, Asylbewerber überhaupt anzumelden. Das mag verständlich sein, aber es schafft Illegalität."
    Ein schlacksiger, junger Mann kommt auf Gianfranco Schiavone zu. Tai Phee, italienisch-chinesischer Staatsbürger und Mitarbeiter des ICS.
    "Ich hätte es vorgezogen, das Fest mitten in der Stadt zu veranstalten, um unser Engagement sichtbar zu machen und auch mit Leuten in Kontakt zu kommen, die unsere Ideale nicht teilen. Hier sind wir am Stadtrand und sozusagen unter uns. Ein bisschen wie in einem Ghetto. Hier raus fahren nur diejenigen, die unsere politischen Ideen sowieso teilen. Das wäre im Stadtzentrum anders gewesen. Aber wir haben keine Genehmigung dafür bekommen."
    Sind Flüchtlinge im Stadtbild nicht mehr erwünscht? Auch in Triest dreht sich der Wind.