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Neue italienische Regierung
"Ein ziemlich langweiliger Koalitionsvertrag"

Der Koalitionsvertrag sei eine Fortschreibung der italienischen Politik, sagte Italienexperte Roman Maruhn im Dlf. "Bis darauf, dass man eben scheinbar ganz gehörig in Europa neue Konditionen aushandeln will." Er glaube aber nicht, dass die großen Versprechungen eingehalten würden, so Maruhn.

Roman Maruhn im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    Der neue italienische Regierungschef Conte bei seiner Vereidigung durch Präsident Mattarella
    Der neue italienische Regierungschef Conte bei seiner Vereidigung durch Präsident Mattarella (AFP/Alberto Pizzoli)
    Heinrich: Herr Maruhn, was überwiegt bei Ihnen, die Erleichterung, dass es nun endlich eine Regierung gibt oder der Schrecken, was da unter Umständen auf Europa, auf Italien zukommt?
    !Maruhn:!! Na ja, wir kennen das ja auch aus deutschen Erfahrungen, man hätte sicherlich noch ein paar Wochen oder ein paar Monate länger gut auskommen können mit einer geschäftsführenden Regierung. Es war ja nicht so, dass Italien führerlos durch die Gegend getrieben ist. Allerdings habe sich doch wirklich einfach ein bisschen die Zeichen dann genähert, dass es zu einer politischen Regierung kommen muss. Also insofern sollte man momentan etwas beruhigt sein. Das geben auch die Wirtschaftsdaten, die Börsendaten wieder. Wir schauen ja hier in Italien immer ganz stark auf den Spread, auf den Zinsunterschied zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen, und da sieht es schon so ganz gut aus, dass man insgesamt doch beruhigt, dass es jetzt eine Regierung gibt, auch angesichts des Wahlergebnisses der letzten Wahlen.
    Noch keine große Vertrauensgrundlage untereinander
    Heinrich: Wenn wir uns die mal anschauen, die beiden Parteien, die da jetzt dran sind, oder die Bewegungen: große Versprechen, teure Versprechung, einfache Versprechen, in der Rentenpolitik unter anderem. Was erwarten Sie denn von dieser neuen Regierung?
    !Maruhn:!! Ich habe mir heute auch noch mal den Koalitionsvertrag angeschaut. Das ist ganz unüblich, dass es in Italien einen Koalitionsvertrag gibt, und man hat das wohl machen wollen, weil es eben doch zwei recht distanzierte Parteien sind, Parteien, die auch noch keine große Vertrauensgrundlage untereinander haben, die man beide, vielleicht MoVimento Cinque Stelle noch stärker, als Antisystempartei wahrnehmen kann, und dieser Koalitionsvertrag, der liest sich ziemlich langweilig. Der ist eigentlich eine ziemlich Fortschreibung der Politik, die es gibt, bis darauf, dass man eben ganz gehörig scheinbar in Europa neue Konditionen aushandeln will. Das lässt natürlich ein bisschen Sorge aufkommen. Ein zweiter Punkt, der dann ein bisschen einen Aufhören lassen tut, ist letztendlich die Frage mit Russland. Russland wird im Koalitionsvertrag als interessanter Partner und definitiv nicht militärische Bedrohung wahrgenommen, dessen Nähe man suchen sollte, mit denen man die Handelsbeziehungen ausbauen sollte und wo eben auch die Sanktionen abgebaut werden sollen. Das ist schon eine recht seltsame Sichtweise. Also das sind so zwei Punkte, wo man wirklich irgendwie ein bisschen Sorgen bekommt.
    Heinrich: Ja, Sie sagen es: Sorgen bekommen. Die EU als böse Macht, vor allem Deutschland verantwortlich für die Missstände im eigenen Land. Das konnte man in den letzten Tagen immer wieder lesen, Italien wieder Führungsrolle in Europa bekommen, das sagt der italienische Innenminister. Was müssen wir da erwarten? Eiswinde aus dem Süden gegen Brüssel?
    !Maruhn:!! Na ja, also es gab das schon oft auch in der Geschichte, dass man gesagt hat, wir hauen jetzt auf den Tisch und stellen die italienischen Interessen voran, und wir artikulieren uns jetzt in der europäischen und in der internationalen Politik ganz anders, und am Ende sind leider selbst die Initiativen ausgeblieben. Also Europa ist ja, gewöhnlich gesehen, immer ein Mahlwerk, das sehr langsam arbeitet. Wir haben dort viele Mitgliedsstaaten, viele grundlegende Entscheidungen müssen einstimmig gefasst werden. Bis erst mal politische Fragen dort überhaupt auf der Tagesordnung landen, vergeht sehr viel Zeit. Deshalb denke ich, da reicht auch eine Legislaturperiode wahrscheinlich nicht aus, um irgendwie zu großartigen Neuverhandlungen zu kommen. Also am Thema Europa haben sich schon viele eigentlich eher wehgetan oder die Lust verloren, als dass sie dort große Fortschritte gemacht haben. Ich denke, dass da die Sorge, gerade nachdem es ja die Mitgliedsstaaten alle zusammen sind, die beschließen, was mit Europa passiert, ob etwas mit Europa passiert, dass da eine Regierung, auch vielleicht ein sehr großes Mitgliedsland der Europäischen Union, und sei es auch wirklich da sehr hinter dieser Frage, dass es trotzdem recht wenig ausrichten kann.
    Ressentiments, ein Grundstimmung
    Heinrich: Also Italien als drittgrößte Volkswirtschaft, aber Herr Maruhn, halten Sie diese Furcht oder diese Ressentiments, die mit dieser populistischen Regierung jetzt einhergehen, halten Sie die Aufregung dafür übertrieben?
    !Maruhn:!! Also diese Ressentiments, diese Furcht, das ist eine Grundstimmung, die wir seit ungefähr zehn Jahren in Europa haben, die sich halt in der einen oder anderen Form immer wieder mal artikuliert, und je nachdem, wer eben an der Regierung ist, artikuliert sich das stärker, und man muss ja auch sehen, dass beide Parteien, die jetzt in Regierungsverantwortung kommen, ganz sicherlich nicht das umsetzen können, was sie ihren jeweiligen Wählerschaften versprochen haben, natürlich trotzdem auf der rhetorischen Ebene Position beziehen müssen. Da ist eine antideutsche Position vielleicht populär, aber wie gesagt, das, was auf europäischer Ebene gemacht wird, wohin Europa geht, wie Europa die nationalen Haushalte kontrolliert, wie Europa mit Wirtschaftskrisen, mit Haushaltkrisen in seinen Mitgliedsstaaten umgeht, das ist ja keine Einzelmeinung und alleinige Entscheidung aus Berlin, sondern das sind im Großen und Ganzen eigentlich komplette Konsensentscheidungen aller Mitgliedsstaaten, die in der Vergangenheit natürlich auch Italien mitgetragen hat.
    Heinrich: Glauben Sie denn, dass diese großen Versprechungen eingehalten werden können?
    !Maruhn:!! Definitiv nicht. Also wir haben hier zwei Parteien, die in der Konstellation noch nie Regierungsverantwortung übernommen haben, deren administrative Erfahrung größtenteils sich auf regionaler, auf lokaler Ebene beschränkt. Man muss auch sehen, Lega Nord, wenn die in nationaler Regierungsverantwortung waren, waren sie immer kleiner schmutziger Juniorpartner von Berlusconis Forza Italia. Die müssen jetzt erst mal auch wirklich den Regierungsapparat kennenlernen und haben jetzt erst einmal damit zu tun, zum Beispiel eine Mehrwertsteuererhöhung zu verhindern, eine Mehrwertsteuererhöhung, mit der jede italienische Regierung einmal im Jahr zu kämpfen hat, weil man sonst eben den europäischen Stabilitätskriterien nicht gerecht wird.
    Heinrich: Herr Maruhn, drei Monate hat es gedauert. Wir haben kurz die Regierungsbildung schon angeschnitten, bis die Regierung stand. Das ist die sage und schreibe 65. Nachkriegsregierung. Dieses Hin und Her, sorgt das in Italien noch für Erstaunen oder ist das Normalität im politischen Alltag?
    !Maruhn:!! Wir müssen sehen, viele Leute haben auch einfach, glaube ich, sehr stark abgeschaltet trotz MoVimento Cinque Stelle, in das wiederum Hoffnung gesetzt wurde, aber dass für die Leute das eigentlich nicht interessant ist, dass es eher ein Störfaktor ist, wenn man darüber spricht, aber ich glaube sicher nicht, dass es eine Riesenüberraschung war, dass diese kurze Idee einer Technikerregierung aufgeflammt war als Druckmittel des Staatspräsidenten, im Zweifelsfall anhand der Person von Savona, komplett eine Regierung aus Lega und MoVimento Cinque Stelle zu blockieren. Dass es dann doch wieder so schnell ging, dass dann die neuen Koalitionspartner beigekurvt haben und doch ihre Personalia, die sie ja von Anfang an nicht ersetzen wollten, dann verschoben haben mit einer Rochade.
    Heinrich: Der Italienexperte und Politologe Roman Maruhn, vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.