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Neue Kommunikationswege
Politik in Zeiten von Youtube

Bei Youtube können Politiker ein Millionenpublikum bekommen - ob sie wollen oder nicht. Im Netz sind es nicht immer die brillanten Reden, die gut ankommen, sondern auch peinliche Fehltritte oder Versprecher. Dass junge Menschen manche Politiker nur aus dem Netz kennen, kann Angst machen - oder eine Chance sein.

Von Moritz Küpper |
    Der FDP-Bundesvorsitzende, Christian Lindner, sitzt am 06.08.2014 in Erfurt (Thüringen) bei einer Wahlkampfveranstaltung vor einem Wahlplakat der Thüringer FDP auf dem steht: "Wir sind dann mal weg. Genauso wie der Mittelstand"
    Seine Ansage im Landtag kam in den Sozialen Netzwerken gut an: Christian Lindner (FDP), hier im Wahlkampf 2014. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Christian Lindner ist in diesen Tagen ein gefragter Mann. Er sitzt in seinem Büro der NRW-Landtagsfraktion in Düsseldorf – umgeben von schwarzen Möbeln. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, hellblaues Hemd – das klassische Setting. Noch wenige Tage sind es bis zur Wahl und Lindner berichtet davon, wie viel er als FDP-Bundesvorsitzender aktuell in Hamburg ist. Privat passe das gut, da seine Frau ja bei der "Zeit" arbeite, und auch beruflich spricht nichts dagegen, denn in Nordrhein-Westfalen ist in dieser Woche sitzungsfrei. Lindner kämpft für die Hamburger FDP und doch, glaubt man zumindest der medialen Aufregungskurve, hat er seinen besten Auftritt für diesen Wahlkampf schon hinter sich - und zwar nicht an der Alster, sondern am Rhein - als Chef der liberalen Landtagsfraktion: "Ach gucken Sie mal da, das ist interessant. Haben Sie nicht gehört, was die Ministerpräsidentin gesagt hat."
    Der Landtag in Düsseldorf Ende Januar. Es geht um Existenz-Gründung: Lindners Wut-Rede auf den Spott eines SPD-Abgeordneten über sein Scheitern als Unternehmer hat mittlerweile Kult-Status. Über zwei Millionen Menschen haben den Clip im Netz bereits aufgerufen, aber auch im richtigen Leben wird Lindner immer wieder darauf angesprochen: "Ich bin enorm überrascht, welche Wirkung diese kurze Szene aus dem Landtag NRW hatte. Mir zeigt das, das ist ein Thema, das vielen auf den Nägeln brennt, das offensichtlich einen Nerv getroffen hat. Ich bin – so muss ich sagen - offensichtlich nicht der Einzige, der Häme und Spott und Neid satthat."
    Doch geht es dabei wirklich um Missgunst in unserer Gesellschaft, um den Inhalt? Das Thema "Gründergeist und zweite Chance" hat der 36-Jährige schon mehrfach thematisiert, zuletzt ausführlich auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen. Zumal der knapp drei Minuten lange Auftritt im Landtag anfangs auch unterging. Erst über das Wochenende schwappte er durch die sozialen Netzwerke, wurde zum viralen Hit.
    "Wenn Sie mit jungen Leuten reden heutzutage, dann nehmen die Politik in der großen Mehrheit über YouTube wahr."
    Professor Hubert Kleinert sitzt im Hörsaal 1 des Hauptgebäudes der Universität Bonn: "Die kennen den Oettinger, aber nicht, weil er als baden-württembergischer Ministerpräsident irgendwas geleistet hätte, sondern wegen seiner Englisch-Kenntnisse."
    Junge Leute kennen Politiker nur noch von YouTube? Das Publikum im Saal, eher älter, raunt.
    Lachnummern statt Leistungen
    Hier, im altehrwürdigen Rahmen von holzvertäfelten Wänden, einem Raum mit Empore und dem Geist, einst Hauptstadt der jungen Demokratie gewesen zu sein, findet ein Symposium über politische Kultur und die Zukunft der Demokratie statt. Kleinert, der zu den Gründungsvätern der Grünen zählt und selbst im Bundestag saß, kann seiner empirischen YouTube-Beobachtung aber keine handfesten Gründe zuordnen. Was ist Ursache, was Wirkung? Wer hat Schuld: Parteien, Politiker, Journalisten, Wähler? Kleinert zuckt mit den Schultern:
    "Was das dann letztendlich anrichtet, ist, glaube ich, noch nicht ganz klar. Also, was dann für ein Bild von der Rolle von Politik entsteht... Das weiß keiner so genau. Es ist zunächst mal für mich dann doch ein ein wenig besorgniserregender Zustand, wenn ich feststelle, die politischen Leistungen oder Fehltritte, sind weniger bekannt als sozusagen die Lachnummern bei Youtube."
    Vereinfacht lässt sich die Situation – nicht nur theoretisch wie hier, sondern auch praktisch und in ganz Deutschland – so interpretieren: Die Zufriedenen gucken YouTube-Videos und die Frustrierten gehen bei Pegida mit. Politikwissenschaftler Hans-Joachim Veen nickt. Er lehrt an der Universität Trier und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Parteiendemokratie. Lachen bei YouTube, Frust auf der Straße; dazu neue Parteien wie die Piraten oder die Alternative für Deutschland – und wo bleiben die Etablierten?
    "Die Parteien bemühen sich auch zu wenig. Vielleicht haben sie es schon aufgegeben, aber sie dürfen es nicht aufgeben. Das gehört im Grunde zu ihren Kernaufgaben, als Transmissionsriemen zu funktionieren. Dafür sind Sie ins Leben gerufen worden. Und dann können sie nicht sagen: Aber die Menschen machen nicht mit."
    Neues Wahlrecht oder Medienschelte?
    Veen erinnert an den Grundgedanken der Parteiendemokratie, wie er im Grundgesetz steht. Artikel 21, Zitat: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit." Mit anderen Worten: Sie sind die Verbindung zwischen Wahlvolk und Institutionen, stellen – inhaltlich aber auch personell – das Angebot bei der Wahl bereit. Soweit die Idee – und die Praxis, über 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik?
    "Wir haben einen Prozess der Entpolitisierung des All-inclusive-Pragmatismus von Frau Merkel. Da bleibt im Grunde kein Raum für Kontroverse, für Disput, für Streit."
    Für Veen liegt der Fehler im System: Schuld habe die Große Koalition, die in Deutschland mittlerweile Standard ist. Wurde die erste Auflage von 1966 bis 1969 einst nur mit dem Versprechen akzeptiert, ein relatives Mehrheitswahlrecht einzuführen, um die GroKo künftig zu verhindern, erscheinen solche Gedanken mittlerweile abwegig: "Die Chance, ein mehrheitsbildendes Wahlrecht zu bilden, hatten wir als wir ein Drei-Parteien-Parlament hatten, mit CDU/CSU, SPD und FDP. Wir haben heute ein Fünf-Parteien-Parlament. Es ist zu spät."
    Ganz so schwarz will der ehemalige Grüne Kleinert, der auch die Medien in die Pflicht nimmt, nicht sehen: "Ich würde den Parteien raten, auch was die Medien anbelangt, nicht jeden Unterhaltungsfurz mitzumachen."
    Ein Ratschlag, den eben auch Christian Lindner beherzigen will. Seinen Hamburger Spitzenkandidatinnen hätte er vom Fotoshooting für die Gala abgeraten. Sagt der Parteivorsitzende zumindest. Er bevorzuge Reden und Interviews: "Das sind klassische Instrumente, aber am Ende zählt der Inhalt, und das empfehle ich auch allen."
    Die Parteikolleginnen in Hamburg aber waren anderer Meinung. Und Lindners Partei steht eben für Wahlfreiheit – nicht nur inhaltlich, sondern auch bei den Instrumenten.