Ute Meyer: Ist die neue Berliner Landesregierung auch ein Signal in Richtung Bund, wie es der Berliner Linken-Chef Klaus Lederer formuliert? Darüber möchte ich sprechen mit Georg Löwisch. Er ist Chefredakteur der Berliner Tageszeitung "die taz". Herr Löwisch, gebe ich die Frage doch mal gleich weiter an Sie. Ist Rot-Rot-Grün ein Signal für den Bund?
Georg Löwisch: Das würde ich schon sagen. Rot-Rot-Grün in Berlin zeigt, es geht und es geht sogar nach einem lahmen Wahlkampf mit eigentlich ziemlich uninspirierten Wahlkämpfern, plötzlich Aufbruch zu signalisieren mit spannendem frischem Personal, mit klaren lebensweltlich geprägten Projekten, und das ist doch ein Signal für den Bund. Das Beste sind immer Beispiele.
"Eine mutige Idee und ein guter Schritt"
Meyer: Kommen wir vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt noch mal zur Bundespolitik und bleiben wir jetzt erst noch mal bei der Landespolitik. Was werden denn die großen Aufgaben der neuen Regierung im Land sein?
Löwisch: Das große Wahlkampfthema war ja das Problem mit den Mieten, mit den steigenden Mieten. Die Stadt wächst, sie hat einen wahnsinnigen Mangel an Wohnraum und das wollen die Koalitionspartner angehen. Sehr, sehr interessant ist, dass heute eine Personalie in der zweiten Reihe bekannt wurde, nämlich der Staatssekretär für Wohnen. Das wird André Holm. Das ist sozusagen Mr. Gentrifizierungskritik und der war sozusagen der Mietrebell von Berlin. Er war sogar mal vor sieben Jahren wegen Terrorverdacht - das war eigentlich ein aberwitziger Verdacht - kurze Zeit in Haft und jetzt ist dieser Mann, der dieses Thema in- und auswendig kennt, wirklich eine Koryphäe. Der ist jetzt in der Regierung dafür verantwortlich, diese Verdrängungsprobleme gerade auch in der Mitte der Stadt, in den begehrten Vierteln zu lösen, und das ist schon eine mutige Idee und ein guter Schritt.
Meyer: Liegt es denn dann vielleicht an den Senatoren, am Personal vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller, dass Sie, so höre ich raus, der neuen Regierung doch einiges zutrauen?
Löwisch: Auf jeden Fall ist das Personal frisch. Es sind ja auch teilweise ganz neue Gesichter. Die grüne Senatorin Regine Günther, bisher WWF-Expertin für Klimaschutz, ist so eine. Aber es sind auch die ganz konkreten Projekte. Die Grünen wollen ja wirklich was tun in der Verkehrspolitik. Da sind die Radwege, die versprochen wurden, endlich. Da ist das Prestigeprojekt Flaniermeile Unter den Linden. Und die haben jetzt den Mund wirklich voll genommen, die Grünen. Ich wohne im grün regierten Bezirk Kreuzberg. Da passiert überhaupt nichts mit der Verkehrspolitik. Aber jetzt können die Grünen nicht hinter diesen Versprechen zurück und das ist ein interessantes Projekt. Dann natürlich das Soziale und die Schulen, da wollen sie jetzt auch was tun. Ist zwar noch die alte Senatorin, aber immerhin im nächsten Haushalt 100 Millionen. Das ist bitter nötig und das ist auch inhaltlich etwas, nicht nur personell.
Meyer: Es heißt, dass dem neuen Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen eine Schlüsselfunktion zukommt. Er soll der maroden Hauptstadt ein neues Investitionsprogramm verpassen nach jahrelangem Sparkurs. Ist das eine sinnvolle und auch eine realistische Maßnahme aus Ihrer Sicht?
Löwisch: Der Haushalt wird natürlich ein Knackpunkt. Wenn man so viel versprochen hat, dann ist immer die Frage, wie das finanzierbar ist. Aber sie wollen das hinkriegen ohne starke Neuverschuldung. Sie wollen einfach die Schulden nicht so schnell abbauen, wie bisher geplant.
"Vielleicht ist es auch ganz gut, nicht den Hauptartisten sozusagen da in der Mitte zu haben"
Meyer: Was ist denn eigentlich mit dem Kopf der Regierung, der alte und neue Regierende Bürgermeister Michael Müller? Dem wird ja oft zugeschrieben, dass er keine Ausstrahlung hat, und auch unsere Landeskorrespondentin des Deutschlandfunks kritisiert ihn in ihrem Kommentar heute als "visionslos". Wie kann das unter einem Michael Müller vorangehen?
Löwisch: Es kann ja auch seine Rolle sein, interessante Köpfe gut zu moderieren, spannende Projekte unter einen Hut zu bringen.
Meyer: Kann er das?
Löwisch: Er hat das immerhin in den Koalitionsverhandlungen verstanden. Das fand ich schon beeindruckend. Die hatten ja immer so einen Dreieckstisch als Symbol, und zwar ein gleichseitiges Dreieck. "Gönnen können." Man gönnt auch dem Koalitionspartner einen Erfolg. Das ist schon eine Voraussetzung für so eine Koalition, dass man sich nicht immer unbedingt profilieren muss und vor allem nicht auf Kosten des Partners oder der Partner. Er ist der Vorsitzende davon sozusagen, der Kopf, der Bürgermeister, und das ist immerhin jetzt sehr vielversprechend für ihn. Und vielleicht ist es auch ganz gut, nicht den Hauptartisten sozusagen da in der Mitte zu haben, sondern einen Moderator.
"Die Frage ist, ob Sarah Wagenknecht Kompromisse eingehen kann"
Meyer: Kommen wir vielleicht noch mal zu den Parteien, die da zusammenarbeiten. Sie haben gesagt, das könnte durchaus ein Signal für den Bund sein. Nun sind allerdings die Landesverbände ja auch durchaus unterschiedlich zu den Bundesparteien. Die Linke in Berlin gilt als pragmatisch, die Grünen in Berlin gelten eigentlich traditionell als links. Kann man da überhaupt Land mit Bund vergleichen?
Löwisch: Sie können es natürlich deswegen erst mal nicht, weil sie die Außenpolitik im Bund haben, und die Außenpolitik ist schon schwierig. Es scheint mir, dass die Linken schon einen ganz anderen Blick auf Autokraten wie Putin haben als die Grünen. Wir hatten da vor einer Woche ein Streitgespräch. Da hatten wir Spitzen von Rot-Rot-Grün versammelt zum Gespräch und da kam schon sehr deutlich raus, wie die da noch über Kreuz liegen. Dann ist auch die Frage, sind das Leute, die Kompromisse eingehen können? Kann Sahra Wagenknecht Kompromisse eingehen, oder ist sie viel eher ein Profilprofi, der jetzt viele Stimmen sammeln kann, aber wo es dann in so einer Koalition knallen würde und wo das mit dem gönnen können nicht so weit her ist.
"Die anständigen Parteien müssen weg von diesem ständigen Framing auf die AfD"
Meyer: Der Chef der Berliner Linken Klaus Lederer sagt, wenn wir jetzt hier in Berlin scheitern, werden wir zum Konjunkturprogramm für die AfD. Hat er recht?
Löwisch: So schnell wird das doch, glaube ich, nicht scheitern. Aber natürlich: Die müssen jetzt beweisen, dass sie etwas können. Sehr, sehr interessant finde ich diesen Effekt, dass da jetzt einfach andere, sehr interessante, für Menschen wichtige Themen aufgemacht werden, wo die AfD überhaupt nichts beizutragen hat oder zu melden hat, und daran sehen Sie, dass dieses ständige Framing auf die AfD-Themen, dass die anderen Parteien, die anständigen Parteien davon weg müssen. Das ist so etwas wie Sozialpolitik, wie Mieten, wie Verkehrspolitik und da kann es durchaus auch spannend werden und das ist auch ein Fingerzeig fürs nächste Jahr, fürs Bundestagswahljahr.
Meyer: Danke schön! - Georg Löwisch war das, Chefredakteur der Tageszeitung "die taz".
Löwisch: Danke schön.
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