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Neue Landlust?
Wie abgehängte Regionen wieder attraktiv werden können

Viele ländliche Regionen bluten aus. Dabei könnte ein Dorf mit Breitband-Anschluss, Mehrgenerationen-Zentrum und viel Natur drumherum für manche Familie eine echte Alternative zur Stadt sein. Wie kann es gelingen, abgehängte Landstriche Deutschlands wieder zu bevölkern?

Von Alexandra Gerlach |
    Eröffnung des Generationenbahnhofs im sächsischen Erlau am 31. Juli 2017
    So belebt ist es im sächsischen Dorf Erlau nicht jeden Tag. Doch Projekte aus der Mitte der Bevölkerung wie der im Sommer eröffnete Generationenbahnhof können die Attraktivität abgehängter Orte signifikant steigern (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Das kleine sächsische Wein-Dorf Seusslitz nahe Meißen vor wenigen Tagen. Es ist Schützenfest und wie in jedem Jahr wird der amtierende Schützenkönig mit einer Kutsche an seinem Haus abgeholt, um begleitet von Kapelle und den weiß-grüne Schärpen tragenden, mehrheitlich silberhaarigen Schützen aus dem Dorf und der Umgebung zum Festplatz an der Elbe gebracht zu werden.
    In dem kleinen Hof an seinem Haus sind Bierbänke aufgebaut, es ist Mittagszeit und es duftet nach Gegrilltem. Das eine oder andere Bier hat den Durst in den Kehlen der Männer bereits gelöscht, die Blasmusik-Kapelle tut ein Übriges, um die Stimmung anzuheizen. Gleich geht es zum so genannten "Vogelschießen". Mit einer Armbrust auf einen hochaufgehängten stilisierten Holzvogel zu schießen, das hat eine lange Tradition in dieser Region, erzählt der 81-jährige Schützenkönig Martin Will:
    "Wissen Sie, dann war früher bei die Dörfer, da waren die Erntefeste, und dann zu DDR-Zeiten auch hier die Brigaden, die sozialistischen Brigaden, die mussten etwas machen: Vogelschießen. Und in Meißen war dann der Bäckergesangverein, Fleischergesangverein, wo überall Vogelschießen war."
    1991 bis 2012 verlor Ostdeutschland netto elf Prozent
    Diese Zeiten sind lange vorbei. Seit Jahren leiden die Dörfer in strukturschwachen Gebieten unter der Landflucht der jüngeren Generation. Das Statistische Bundesamt erwartet bis zum Jahr 2050 einen gesamtdeutschen Einwohnerrückgang von zwölf Millionen Menschen – davon betroffen vor allem die ländlichen Regionen.
    In den ostdeutschen Bundesländern fällt der Bevölkerungsschwund besonders auf, da seit der Deutschen Einheit vor 27 Jahren die junge Generation aus Mangel an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen ihren Heimatdörfern und ländlichen Regionen den Rücken kehrte und die Zukunft woanders suchte. So haben zwischen 1991 und 2012 rund vier Millionen Ostdeutsche ihre Heimat verlassen. Dem gegenüber stehen rund 2,9 Millionen Zuzüge aus dem Westen in den Osten der Republik.
    Innerhalb von zwei Jahrzehnten ist die Bevölkerung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR also um 11 Prozent geschrumpft. Diese Entwicklung sei einzigartig im europäischen und internationalen Vergleich, heißt es in einem Bericht der Bundesbeauftragten für die neuen Länder. Die Folgen sind sichtbar: Dörfer überaltern und wo junge Familien fehlen, werden auch weniger Kinder geboren.
    "Die Leute ziehen weg oder werden gar nicht erst geboren"
    Die "Landflucht" galt vielen als "Naturgesetz", sagt der Berliner Zukunftsforscher Daniel Dettling, der sich die Lage in Sachsen detailliert angesehen hat.
    "Auf Sachsen bezogen sind das schon die Städte um die 20-, 25-, 30.000 Einwohner, die zu den Schrumpfungsregionen in Sachsen gehören. Es sind fast 400 Gemeinden und hier leben zwei Millionen Sachsen. Das ist die Hälfte der Bevölkerung in Sachsen, die davon betroffen ist. Schrumpfungsregionen sind die Regionen, die Nettoverluste haben an Humankapital, wie es volkswirtschaftlich heißt. Entweder ziehen die Leute weg oder sie werden erst gar nicht geboren. Also die können aus sich heraus nicht mehr den nötigen Wohlstand und die nötigen Perspektiven demographisch schaffen."
    "Schöner Schrumpfen" sei über Jahre die Antwort von Wissenschaft und Politik auf die Misere gewesen, ärgert sich Dettling. Wegzugprämien sollten auch die zurückgebliebene Bevölkerung animieren, die Heimat aufzugeben und in die Städte zu ziehen. Die Rede war sogar davon, dass man manche Regionen den wieder eingewanderten Wölfen überlassen sollte. Der Zukunftsforscher kritisiert Vorschläge dieser Art:
    "Das ist ein Irrweg, weil dadurch verliert man nicht nur an Immobilienwert, sprich Leerstand ist der eine Faktor, dass man Häuser aufgibt, ganze Dörfer aufgibt. Aber man verliert dann natürlich auch an Attraktivität, es gibt keine Zuwanderung mehr und irgendjemand muss ja diese Felder trotzdem kultivieren, pflegen. Man kann ja nicht aus den ganzen Regionen Naturschutzparks machen."
    Experte sieht ein Comeback ländlicher Räume
    Inzwischen deutet sich zumindest eine Trendwende an: Erstmals seit 20 Jahren scheint sich die Entwicklung in die Städte zu ziehen abzuschwächen. Das Land gewinnt wieder an Attraktivität. Daniel Dettling verweist darauf, dass in sieben Städten die Zahl der Zuzüge kleiner ausfalle als die der Wegzüge. Der Zukunftsforscher sieht bereits ein Comeback ländlicher Räume - als Gegenbewegung zur Globalisierung sozusagen:
    "Orte, Plätze werden wichtiger, ja, das ist so ein Nebeneffekt der Globalisierung, dass wir uns sehr stark über Plätze, über Orte definieren. Das sind Orte der Heimat, der Zugehörigkeit, der Entschleunigung, wo wir Kraft tanken, wo wir eine gewisse Auszeit nehmen aus einer beschleunigten Gesellschaft. Das können Caféhäuser sein, das können Gärten sein, das können Kirchen sein, ehemalige Kirchen, Denkmäler, Bahnhöfe."
    So wie im mittelsächsischen Erlau nahe Mittweida. Ein kleines Dorf, verteilt auf neun Ortsteile, mit rund 3.300 Einwohnern – Tendenz abnehmend. Durchschnittsalter 46 Jahre – Tendenz steigend. Mittendrin ein historisches Bahnhofsgebäude, über lange Zeit im Dorf ein zentraler Ort, Treffpunkt und Kneipe. Doch seit im Jahr 1999 die letzten Mieter ausgezogen waren, verfiel der 120 Jahre alte Bahnhof Erlau. Ende Juli steht die Architektin Jana Ahnert, Jahrgang 1975, im Festzelt unterhalb des Bahnhofes und strahlt, das Saalmikrophon hält sie fest in der Hand.
    "Nun stehen wir hier, lange haben wir diesen Tag herbeigesehnt. Der Bahnhof ist fertig. Ich stehe hier und spreche stellvertretend für alle Erlauer und Freunde, die den Traum vom Generationenbahnhof in Erlau träumten und träumen."
    Königlich-sächsischer Bahnhof ist jetzt Generationen-Zentrum
    Jahrelang wohnte Jana Ahnert im Haus gegenüber und konnte den Verfall des ehemals schmucken königlich-sächsischen Bahnhofs nur schwer ertragen. Sie wurde aktiv und hat mit ihren Studenten der Sozial- und Gesundheitsbauten an der TU Dresden Konzepte für eine neue Nutzung des Gebäudes entwickelt. Schon bei der ersten Informationsveranstaltung vor 13 Jahren zeigten mehr als 100 Bürger des Dorfes Interesse an den Plänen.
    Vor allem die Idee, den alten Bahnhof in ein "Zentrum der Generationen" zu verwandeln, kam gut an. In dem Gebäude sollen die Senioren des Dorfs von Profis und Ehrenamtlichen in einer Tagespflege versorgt werden, zudem ziehen ein Pflegedienst und ein Zahnarzt ein. Daneben entsteht ein Bereich, der für Feste angemietet werden kann.
    "Unser Traum vom Generationenbahnhof ist wahr geworden, Ende gut – alles gut? Nee, ich fürchte nicht, denn jetzt geht es ja erst richtig los, jetzt kann der Generationenbahnhof in Besitz genommen und mit Leben erfüllt werden."
    Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) bei der Eröffnung des Generationenbahnhofs im sächsischen Erlau am 31. Juli 2017
    "Sie sind nicht auf dem Abstellgleis, sondern auf dem richtigen Weg" - zur Eröffnung des Generationenbahnhofs in Erlau kam Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) zu Besuch und gratulierte den Initiatoren (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Mit einem großen Fest wird der neue Generationenbahnhof in Erlau eröffnet. Als Gäste sind Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt und der sächsische Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt gekommen. Der Bund hat dieses Bauprojekt mit 100.000 Euro unterstützt, die sächsische Landesregierung hat mehr als 700.000 Euro aus dem so genannten Leader-Programm gegeben. Gelder, die dem Freistaat Sachsen und auch allen anderen Bundesländern aus Mitteln des "Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums" bereitgestellt werden.
    "Nicht auf dem Abstellgleis, sondern auf dem richtigen Weg"
    Das mit Sommerblumen liebevoll geschmückte Festzelt am Fuße des Bahnhofsvorplatzes ist bis auf den letzten Platz gefüllt, Senioren sind in der Überzahl, die Volkssolidarität hat Kuchen gebacken, es duftet verführerisch und der Bundesminister der CSU ist voll des Lobes:
    "Hier hat sich etwas getan, hier tut sich etwas, Sie sind nicht auf dem Abstellgleis, sondern auf dem richtigen Weg. Viel Freude bei Ihrer Arbeit am neuen angeschlossenen Generationenbahnhof."
    Auch der sächsische Minister Schmidt von der CDU hebt in seiner kurzen Ansprache die Bedeutung des Engagements in Erlau für die Wiederbelebung der Dorfmitte unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse der älteren Generation hervor. Für ihn ist das ein Paradebeispiel für die Umsetzung der Strategie Sachsens und anderer ostdeutscher Bundesländer zur Förderung ihrer ländlichen Räume.
    Denn der Freistaat gibt den Regionen die Freiheit selbst zu entscheiden, für welche Projekte sie wie viel Geld zur Verfügung stellen wollen, um auf dem Land attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen:
    "Wir haben hier 30 sogenannte Leader-Regionen. Wir haben von den 1,1 Milliarden Euro, die wir in den ländlichen Raum stecken 40 Prozent für die ländliche Entwicklung. Es gibt kein anderes Bundesland, das so viel Geld in den ländlichen Raum steckt. Und wir haben die Regionen vor Ort gefragt, was wollt Ihr denn machen, was ist bei Euch das Richtige für die Entwicklung?"
    Intiativen fördern, die vor Ort Sinn ergeben
    Sachsen stärke damit die Eigenverantwortung der regionalen Strukturen, sagt Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt:
    "Mit unserer Leader-Förderung wollen wir genau die Initiativen, die vor Ort Sinn machen, wo Menschen dahinter stehen, was angenommen wird, unterstützen."
    "Hier sind also die Bilder, wie der Bahnhof mal ausgesehen hat und wie er sich im Laufe der Zeit verändert hat. Das ist ja noch gar nicht lange her..."
    Stolz führt Erlaus ehemaliger Bürgermeister Wolfgang Ahnert die Minister und Ehrengäste durch den frisch sanierten Bahnhof. Der ehemalige Wartesaal ist zum Gleis hin verglast, er ist das neue "Wohnzimmer" der Räumlichkeiten für die Tagespflege.
    "Familienfreundlich" heiße nicht nur Kinderkrippe
    Tür an Tür mit den mietbaren Gesellschaftsräumen und einer modernen, teils mobilen Küche, präsentiert sich das neue Herzstück des Gebäudes hell und freundlich:
    "Was haben wir denn bisher immer gesagt, wenn wir über familienfreundliche Dörfer gesprochen haben? Da haben wir meistens gemeint, wir brauchen eine Kinderkrippe, wir brauchen eine Kindergarten und eine Schule, aber was mit unseren älteren Einwohnern passiert? Da hat man ja bisher wenig sich damit beschäftigt. Wenn es zuhause gar nicht mehr ging, dann mussten sie in ein Altersheim. Aber viele, die in einem Altersheim sind, die müssten das gar nicht hin, wenn jemand da wäre, der tagsüber die alten Leute versorgt, dass auch die Angehörigen in Ruhe auf Arbeit gehen können, oder sich auch mal eine Auszeit nehmen können. Und ich denke mal das funktioniert im ländlichen Raum besser wie im städtischen Raum, da die Leute hier besser auf sich aufpassen."
    Und es scheint, dass auch die Politik die Bedeutung des ländlichen Raumes für die Stabilität der Gesellschaft wiederentdeckt hat. Schon in der Analyse der Brexit-Entscheidung in Großbritannien und der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA sei deutlich geworden, welch explosive politische Sprengkraft in der Unzufriedenheit abgehängter ländlicher Regionen liege, sagt der Berliner Zukunftsforscher Daniel Dettling.
    Mit dem Einzug der rechtspopulistischen AfD in den Bundestag habe dieses Thema endgültig auch Deutschland erreicht. In Sachsen konnte die AfD vor allem in den ländlichen Gebieten punkten und ist landesweit stärker als die CDU. Ein Alarmsignal für die schwarz-rote Regierung in Sachsen - zwei Jahre vor der nächsten Landtagswahl.
    Zukunftsforscher vermisst Handlungskonzept für ländliche Räume
    Der Zukunftsforscher vermisst schon lange ein Handlungskonzept der Bundes- und Landesregierungen für die Revitalisierung ländlicher Räume. Die Chancen zur Neubesinnung müssten genutzt werden, sagt Dettling.
    "Es gibt da den schönen Spruch der Kollegen aus der Politikwissenschaft 'All politics is local', also alle Politik, auch alle Wirtschaft ist lokal und wirkt sich lokal aus. Und Politik findet am Stammtisch, in den Dorfvereinen, in den regionalen Strukturen statt. Und von daher kann natürlich so eine Art neue Landlust oder ein neues Heimatgefühl in den Regionen auch die politische Kultur befördern, weil sie sich konkret vor Ort auszahlt, weil die Folgen auch konkret zu spüren sind."
    Für den Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt liegt in der Entwicklung der ländlichen Räume gar der Schlüssel für die künftige Sicherung von Wachstum und Wohlstand:
    "Die Attraktivität der ländlichen Räume wird eine der Grundfragen sein, ob sie sich populationsmäßig, demographisch nach vorne entwickeln, also es wieder mehr Kinder gibt, um es deutsch zu sagen, oder ob es eher die Frage nach Altenbetreuungseinrichtungen ist. Beides brauchen wir und wir stellen erfreulicherweise fest, dort wo Unterricht, Betreuung, Gesundheitsbetreuung vor allem, und auch der Weg zu Arbeitsplätzen und das Internet verfügbar ist digital, dort ist auch Wachstum bei der Bevölkerung."
    Ohne Breitbandausbau werde das Land abgehängt bleiben
    Doch gerade der Ausbau des Breitbandnetzes auf dem Land kommt nur langsam voran. Für den Berliner Zukunftsforscher Daniel Dettling ist aber gerade die Digitalisierung eine Voraussetzung für die Renaissance strukturschwacher Gebiete. Dort wo Breitband und ein stabiles digitales Netz vorhanden sind, verschwimmen die Grenzen zwischen Urbanität und Dörflichkeit, sagt Dettling.
    Hier könne sich der ländliche Raum zu einem lokalen Innovations- und Kreativitätsraum entfalten, der die Vorteile des Landlebens mit den Anforderungen der vernetzten Berufstätigkeit verbindet. Familien fänden bezahlbaren Wohnraum. Und Kinder ein natürliches, gesundes Umfeld. Diese schöne neue Welt der Landlust, die Zukunftsforscher wie Dettling skizzieren, könnte dann innovative Köpfe aus den Städten anziehen, die mit unkonventionellen Ideen ungenutzten ländlichen Immobilien neue Funktionen geben.
    Ganz so rosig sieht Professor Bernhard Müller vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden die Zukunft des ländlichen Raumes nicht. Es fehle derzeit an Zuzügen in die kleineren Städte auf dem Land, die eine wichtige Funktion als Unter- und Mittelzentren für die Dörfer ringsherum haben, weil sie Standorte wichtiger Einrichtungen für den Alltagsbedarf der Bürger sind. Zugleich verweist Müller darauf, dass in Deutschland die Bedingungen für eine Renaissance der Ländlichen Räume vor allem auch für die ältere Generation gar nicht so schlecht seien, denn:
    "88 Prozent der Bevölkerung erreichen ein Krankenhaus in weniger als 15 Minuten. 88 Prozent der gesamten Bevölkerung. Und – das ist das Interessante dann daran auch noch – nur vier Prozent der deutschen Bevölkerung insgesamt mehr als 20 Minuten."
    Ziehen Kreative und Innovatoren wirklich aufs Land?
    Auch die Vision, das die kleinen Städte und Dörfer künftig wie ein Magnet kreative und innovative Köpfe anziehen könnten, beurteilt der Direktor des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung eher skeptisch. Dabei beruft er sich auf eine empirische Untersuchung in Brandenburg, die eine Doktorandin seines Instituts erarbeitet hat, um herauszufinden, wie innovativ ländliche Regionen sein können. Das Ergebnis sei ernüchternd:
    "Solche Zugezogene, Zugewanderte mit neuen Ideen werden häufig von einer vielleicht eher innovationsfeindlichen Bevölkerung auch als Störenfriede betrachtet. Und dann erlahmt die Initiative. Man frustriert sie und sie wandern wieder ab."
    Positiv dagegen sei, dass Sachsen bereits in den 90er-Jahren eine Gebiets- und Verwaltungsreform konsequent durchgeführt habe, lobt der Dresdner Wissenschaftler. Damit sei es gelungen, größere Gemeinden zu schaffen und trotzdem die lokale Identität zu erhalten. Nur wenn das lokale Zusammenleben funktioniere, seien Projekte wie der Generationenbahnhof in Erlau möglich und erfolgreich, konstatiert Professor Müller.
    Der demographische Wandel biete also auch große Chancen, aus der Not eine Tugend und den ländlichen Raum zum Vorbild zu machen, ergänzt der Berliner Zukunftsforscher Dettling:
    "Das Dorf wird zur Stadt und die Stadt wird zum Dorf, etwas salopp formuliert. Man erfährt über das Fernsehen und das Internet sehr viel, was sich tut in der Welt, viele internationale Themen, Stichwort Flüchtlingskrise, Migration werden lokale Themen, werden lokal erfahren. Also wird der Mikrokosmos Dorf zunehmend urbaner. Und umgekehrt: die Städte werden etwas überschaubarer, Nachbarschaften werden wichtiger, Kieze, Bezirke werden wichtiger. Man kauft lokal, regional ein, man besinnt sich auch wieder seiner Ursprünge, seiner Wurzeln."
    Vorbildliche Förderprogramme gebe es etwa in Italien
    Damit diese Vision Wirklichkeit werden kann, sei jedoch eine politische Gesamtstrategie erforderlich, an der alle Ressorts mitarbeiten müssten, sagt Daniel Dettling. Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Mobilität, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie neues Arbeiten und der Tourismus müssten dabei in den Blick genommen werden, um bislang abgehängte ländliche Räume zu revitalisieren und attraktiv zu machen für junge Leute, so der Berliner Zukunftsforscher.
    Vorbilder dafür gebe es in Europa: In Italien beispielsweise sei die Regierung inzwischen dabei, den Umbau von alten und historischen Gebäuden zu fördern, die lokale Initiativen und Start-ups sowie Unternehmensgründer für neue Aufgaben nutzen.
    Im sächsischen Erlau muss sich noch zeigen, ob das Konzept des Generationenbahnhofes greift und die Mischung aus professioneller und ehrenamtlicher Bewirtschaftung der dörflichen Immobilie sich auch finanziell trägt. Für die Bürger jedenfalls ist die Wiederbelebung ihrer Dorfmitte ein Gewinn:
    "Das ist sehr gelungen, ich denke, da kann man sich wohlfühlen. Es bringt vor allem etwas für die Menschen, dass sie hier vor Ort bleiben, dass sie versorgt sind. Und sozusagen die Familien entlastet."
    "Was hier entstanden ist, so ein Ort! Eine unheimliche Weiterentwicklung für die ganze Region, und das wird kaum irgendwo noch mal zu finden sein. Traumhaft! Das ist jetzt mal eine Überlegung wert, doch hierher zu ziehen!"