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Neue Lecks, verseuchtes Wasser

Zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe in Fukushima sind in den vergangenen Wochen neue Lecks entdeckt worden. Gleichzeit dringt Grundwasser ins zerstörte Reaktorgebäude ein und vermischt sich mit dem radioaktiv belasteten Kühlwasser. Die wichtigsten Fragen im Überblick

Von Dagmar Röhrlich |
    Was ist los im AKW Fukushima?
    Jetzt hat die neue japanische Atomregulierungsbehörde NRA die Alarmstufe nach Konsultationen mit der IAEA in Wien auf die Stufe drei erhöht - das entspricht einem "ernsten Zwischenfall". Es geht um eine am 19. August entdeckte Leckage in mindestens einem der rund 1060 Stahltank, die 500 Meter vom Ozean entfernt aufgestellt worden sind. Obwohl diese Tanks eigentlich fünf Jahre halten sollten, treten schon wenige Monate, nachdem sie in Betrieb genommen worden sind, Probleme auf. Sie heißen anscheinend nicht nur provisorisch, sie sind es auch: Die Gummidichtungen sind nicht auf ihr Verhalten gegenüber radioaktiver Strahlung überprüft worden, und es fehlen Messgeräte für den Flüssigkeitsstand. So wurde zufälligerweise festgestellt, dass bei einem dieser Tanks 300.000 Liter hoch kontaminiertes Wasser fehlen.

    Falls Leckagen auftreten, sollte dieses Wasser eigentlich in den Betonwannen gefangen werden, in denen diese Tanks stehen. Aber an einer dieser Wannen stand vielleicht seit vier Wochen unbemerkt ein Ventil offen. Und so gelangten die fehlenden 300.000 Liter zum Teil durch ein Abwassersystem ins Meer, zum Teil versickerten sie im Boden und landen damit im Grundwasser und landen dann im Meer. Besonders beunruhigend ist angesichts der ungeheuren Mengen an hoch radioaktivem Abwasser, dass niemand weiß, in welchem Zustand die Tanks los sind, welche Leckagen es wo gibt etc.

    Woher stammt dieses kontaminierte Wasser?
    Das ist Wasser, das immer noch zur Kühlung der geschmolzenen Brennstäbe eingesetzt wird. Von einem geschlossenen Kreislauf ist man da noch sehr weit entfernt: Die Anlagen zur Wasseraufbereitung, die Radionuklide, Öl und Dreck aus dem Kühlwasser herausholen sollen, sind erstens störanfällig und kommen zweitens nicht nach - schließlich fallen am Tag bis zu 800.000 Liter pro Tag Kühlwasser an. Also wird nur etwa die Hälfte recycelt, der Rest landet in den Stahltanks. Zum Jahresende verspricht Tepco eine effizientere Reinigungsanlage.

    Welches sind die Hauptprobleme?
    Die Lage ist instabil. Bleiben wir beim Wasser, denn anscheinend gibt es überall Leckagen: bei den Leitungen, den Dekontaminationsanlagen, den provisorischen Stahltanks. Die waren angeschafft worden, um die Probleme mit den unterirdischen Gruben zu lösen, die im vergangenen Jahr angelegt worden waren, um das hoch kontaminierte Kühlwasser aufzunehmen. Diese Gruben waren leck, weil sie mit viel zu dünnem Material abgedichtet worden waren. Und so reiht sich ein Versagen ans andere.

    Aber es geht nicht nur um die Tanks beziehungsweise Gruben. Ebenfalls rund 300.000 Liter Grundwasser fließen Tag für Tag durch die maroden Kellerräume der Anlage in Richtung Meer und werden dabei kontaminiert. Dazu kommen ähnliche Mengen an Grundwasser, das unter den Reaktoren durchfließt und kontaminiert wird, weil Kühlwasser aus den Havaristen versickert.

    Eine Bemerkung am Rande: Die IAEA hat die japanische Aufsichtsbehörde gefragt, warum diese Vorfälle nicht auch auf der INES-Skala eingestuft worden sind und mahnt einen konsistenteren Umgang mit den Informationen für die Öffentlichkeit an.

    Gibt es "nur" Wasserprobleme?
    Nein, die Aufzählung sprengt die Sendezeit. Nur ein anderes Beispiel: Mitte Juli war aus Block 3 erneut radioaktiver Dampf ausgetreten - niemand weiß, warum. Eine neuerliche Kettenreaktion soll es laut Tepco aber nicht sein. Man mutmaßt, dass Regenwasser in den zerstörten Block 3 gedrungen, auf den heißen Sicherheitsbehälter gelangt und dann verdampft.

    Was macht man nun, um den Strom des kontaminierten Wassers ins Meer zu stoppen?
    Die Arbeiter versuchen, metertiefe Barrieren in den Erdboden zu bauen. Versuche, mit aushärtenden Chemikalien eine Art unterirdischen Damm zu errichten, sind gescheitert. Man möchte deshalb weitere Bohrlöcher abteufen, in denen das Grundwasser dann gesammelt und abgepumpt werden soll.
    Außerdem werden Pläne verfolgt, rund um die Anlage den Boden zu gefrieren, damit erst gar kein Grundwasser mehr in die Anlage gerät: Drei bis vier Meter tief sollen Rohre eingezogen werden, durch die dann Kühlmittel gepumpt wird, um das Erdreich einzufrieren. Dieses sehr energieintensive Verfahren wird beim Bau von U-Bahnen oder Bergwerksschächten eingesetzt. Dieser Eiswall soll allerdings 1,4 km lang sein - und nicht nur für Wochen oder Monate bestehen, sondern viele Jahre.
    Überhaupt sind derzeit Eispfropfen bei Tepco modern. Sie sollen künftig auch verhindern, dass aus den Havaristen kontaminiertem Kühlwasser über die Kabelkanäle herausdringen kann, und Eispfropfen sollen mögliche Leckagestelle verschließen.

    Gibt es überhaupt schon Erfolge beim Bewältigen der Unglücksfolgen?

    Block 1 hat seit Längerem eine provisorische Kunststoffhülle, die verhindert, das Wasser eindringt und Kontaminationen es nach außen schaffen. Sie soll ab September abgenommen werden, damit weitere Trümmer herausgeholt werden können.
    Block 4 hat inzwischen auch eine Hülle, und zwar im oberen Bereich ein verkleidetes Stahlgerüst: In diesem Bereich liegen die Brennelemente des Reaktors allesamt im Lagerbecken, weil der Block zum Zeitpunkt des Unfalls in Revision war. Derzeit wird ein Kran installiert, um die Brennelemente herauszuholen.

    Block 3 konnte immer noch nicht eingehaust werden, weil erst einmal die hoch radioaktiv strahlenden Trümmer vom Dach geholt werden müssten - ferngesteuert, und das wurde bislang noch nicht angegangen.

    Was ist über die Belastung der landnahen Pazifikregionen bekannt? Der Unglücksreaktor steht ja unmittelbar an der Küste.

    Die Aufsichtsbehörde geht davon aus, dass das stark kontaminierte Wasser in den Pazifik gelangt. Innerhalb der Absperrungen im Hafenbecken der Firma soll die Belastung hoch sein - sich dann jedoch schnell verdünnen. In drei Kilometer Entfernung sollen die bislang veröffentlichten Werte unterhalb der Nachweisgrenze liegen, so erklärt Tepco.
    Andere Experten sind jedoch der Ansicht, dass - zumindest wenn dieses ganze hoch kontaminierte Grund- und Kühlwasser ins Meer gerät - das Ausmaß der Kontamination durchaus die Werte während der ersten Tage der Havarie überschreiten könnte.

    Und so wehren sich nicht nur die Fischer gegen die Pläne Tepcos, diese Flut an hoch kontaminiertem Wasser mit einer neuen Anlage zu "reinigen", wie es so schön heißt, und dann kontrolliert ins Meer abzugeben.

    Klären konnten Meeresbiologen anscheinend die Frage, warum die Kontamination der Fische so langsam sinkt. Die sollte eigentlich - zwei Jahre nach der Havarie - viel geringer sein als tatsächlich gemessen. Es sieht nun so aus, als ob die Quelle dieser permanenten Belastung im Sediment zu suchen ist, das in den ersten Tagen nach dem Unfall im weiten Umkreis stark belastet wurde. Die Radionuklide - allen voran Raduicäsium - gelangen nun über Würmer und andere im und auf dem Boden lebende und fressende Tiere immer noch in die Nahrungskette. Da Fische mobil sind, gehen sie dann auch außerhalb der Fischerei-Sperrzone in die Netze. Und angesichts der Halbwertzeit des Radiocäsiums von rund 30 Jahren wird dieser Effekt noch lange erhalten bleiben.