Bei Gezi-Radyo läuft Musik. Seit drei Stunden schon. "Da kann man nichts machen", entschuldigt sich Redakteur Gencay. Einer seiner Kollegen ist noch bei der Arbeit – er kommt wie viele Demonstranten erst abends nach Dienstschluss in den Gezi-Park. Tauscht dann Anzug und Krawatte gegen Che-Guevara-T-Shirt und Shorts. Ein anderer Gezi-Radyo-Reporter rennt gerade mit dem Mikrofon im besetzten Park herum, interviewt die freiwilligen Ärzte, die unter den Bäumen ein Erste-Hilfe-Zentrum eingerichtet haben. Und der dritte, Gencay selbst, bereitet die aktuelle Sendung vor.
Ein aufgeklappter Laptop auf einer umgedrehten Kiste, ein Paar Kopfhörer und ein Mikrofon. Darüber ein Partyzelt. Das ist das Studio von Gezi-Radyo. Ein paar Meter weiter, bei Gezi-TV, sieht es nicht viel anders aus. Nur, dass hier zwischen Zelten und Bäumen noch eine Kamera steht. Cansu, 23, sitzt auf einem Campingstuhl daneben und drückt immer dann auf den Record-Knopf, wenn jemand etwas zu sagen hat.
"Wir bieten den Leuten bei Gezi-TV einen Stuhl, ein Mikrofon und eine Kamera. Jeder, der möchte, kann bei uns loswerden, was er sagen möchte – und wir strahlen es dann später aus. Einige wollen, dass die Regierung zurücktritt, einige sagen, die Regierung ist ok, aber sie sollen die Finger vom Gezi-Park lassen und so weiter."
Wie viele Hundert Statements sie bei Gezi-TV schon ausgestrahlt haben, weiß Cansu selbst nicht mehr. Die Schlange, die sich regelmäßig vor ihrem Mikrofon bildet, zeigt ihr jedenfalls, dass es sich gelohnt hat, die Abschlussprüfungen an der Uni sausen zu lassen und stattdessen mit zwei Freunden Gezi-TV zu gründen.
"Von außen bekam man am Anfang überhaupt keine Nachrichten aus dem Park. Denn als die Polizei hier nach den Ausschreitungen am Anfang abgezogen ist, sind auch die türkischen Journalisten gegangen. Unsere Idee war also, die Gedanken von hier drinnen nach draußen zu senden."
Denn auch wenn einige türkische Medien inzwischen ausführlich berichten, beschränken sie sich meist auf die Einsätze der Polizei. Die größtenteils friedlichen Gezi-Park-Besetzer passen nicht in das Bild von "steinewerfenden Provokateuren", das die Regierung Erdogan mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten sucht.
"Das Ganze hat sichtbar gemacht, wie schlecht die Qualität unserer Medien ist",
bewertet die Medienwissenschaftlerin Ceren Sözeri von der Istanbuler Galatasaray-Universität die Berichterstattung der letzten Wochen.
"Fast alle Medienbosse der Türkei sind gleichzeitig Investoren im Energie-, Auto- oder im Tourismussektor. Und deswegen achten diese Medienbosse bei allem, was sie tun, darauf, eine gute Beziehung zur Regierung zu pflegen."
Umso wichtiger für die Demonstranten war deswegen von Anfang an ein Trend, der sich am Bosporus so schnell verbreitet wie kaum anderswo: soziale Medien. Längst sind die Türken Europameister bei der Facebooknutzung, kaum ein Türke unter 30, der nicht twittert. Schon im Januar gründeten 140 Jungjournalisten eine eigene Twitter-Nachrichtenagentur. Per Crowdfunding sammeln sie Gelder, um im ganzen Land Tablet-Computer an ihre Leser zu verteilen. So wollen sie den konventionellen Medien auch in weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten den Kampf ansagen
Und doch wurden auch die Nachteile der Sozialen Medien in den letzten Tagen deutlich, weiß Emre, Mitgründer der seit fünf Tagen im Park erscheinenden Gezi-Post.
"Das größte Problem in diesen Tagen ist die Desinformation. Vor allem zu Beginn der Demonstrationen, tauchten ständig Falschmeldungen im Internet auf. Von wegen: die Polizei greift jetzt hier an, dort passiert jetzt das und das… Das ganze Netz war verunreinigt."'"
Emre und gut zehn andere Freiwillige gründeten daraufhin die Gezi-Post. Auch von ihnen gehen die meisten tagsüber zur Arbeit, nachts sitzen sie mit ihren Laptops im Park und schreiben Artikel. Die 5.000 Exemplare der ersten Ausgaben zahlten sie aus eigener Tasche. Wer wissen will, was im Gezi-Park los ist oder wer einfach nur zeigen will, dass er die Proteste unterstützt, der läuft dieser Tage mit einer Gezi-Post durch das Viertel rund um den Park. Emre und seine Kollegen haben die Auflage inzwischen auf 20.000 erhöht.
""Wir haben einfach überlegt, was können wir tun als nur rumzusitzen und die Barrikaden zu bewachen oder zu demonstrieren. Wir dachten, so tun wir wenigstens etwas Sinnvolles."
Weitere Informationen auf dradio.de:
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Ein aufgeklappter Laptop auf einer umgedrehten Kiste, ein Paar Kopfhörer und ein Mikrofon. Darüber ein Partyzelt. Das ist das Studio von Gezi-Radyo. Ein paar Meter weiter, bei Gezi-TV, sieht es nicht viel anders aus. Nur, dass hier zwischen Zelten und Bäumen noch eine Kamera steht. Cansu, 23, sitzt auf einem Campingstuhl daneben und drückt immer dann auf den Record-Knopf, wenn jemand etwas zu sagen hat.
"Wir bieten den Leuten bei Gezi-TV einen Stuhl, ein Mikrofon und eine Kamera. Jeder, der möchte, kann bei uns loswerden, was er sagen möchte – und wir strahlen es dann später aus. Einige wollen, dass die Regierung zurücktritt, einige sagen, die Regierung ist ok, aber sie sollen die Finger vom Gezi-Park lassen und so weiter."
Wie viele Hundert Statements sie bei Gezi-TV schon ausgestrahlt haben, weiß Cansu selbst nicht mehr. Die Schlange, die sich regelmäßig vor ihrem Mikrofon bildet, zeigt ihr jedenfalls, dass es sich gelohnt hat, die Abschlussprüfungen an der Uni sausen zu lassen und stattdessen mit zwei Freunden Gezi-TV zu gründen.
"Von außen bekam man am Anfang überhaupt keine Nachrichten aus dem Park. Denn als die Polizei hier nach den Ausschreitungen am Anfang abgezogen ist, sind auch die türkischen Journalisten gegangen. Unsere Idee war also, die Gedanken von hier drinnen nach draußen zu senden."
Denn auch wenn einige türkische Medien inzwischen ausführlich berichten, beschränken sie sich meist auf die Einsätze der Polizei. Die größtenteils friedlichen Gezi-Park-Besetzer passen nicht in das Bild von "steinewerfenden Provokateuren", das die Regierung Erdogan mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten sucht.
"Das Ganze hat sichtbar gemacht, wie schlecht die Qualität unserer Medien ist",
bewertet die Medienwissenschaftlerin Ceren Sözeri von der Istanbuler Galatasaray-Universität die Berichterstattung der letzten Wochen.
"Fast alle Medienbosse der Türkei sind gleichzeitig Investoren im Energie-, Auto- oder im Tourismussektor. Und deswegen achten diese Medienbosse bei allem, was sie tun, darauf, eine gute Beziehung zur Regierung zu pflegen."
Umso wichtiger für die Demonstranten war deswegen von Anfang an ein Trend, der sich am Bosporus so schnell verbreitet wie kaum anderswo: soziale Medien. Längst sind die Türken Europameister bei der Facebooknutzung, kaum ein Türke unter 30, der nicht twittert. Schon im Januar gründeten 140 Jungjournalisten eine eigene Twitter-Nachrichtenagentur. Per Crowdfunding sammeln sie Gelder, um im ganzen Land Tablet-Computer an ihre Leser zu verteilen. So wollen sie den konventionellen Medien auch in weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten den Kampf ansagen
Und doch wurden auch die Nachteile der Sozialen Medien in den letzten Tagen deutlich, weiß Emre, Mitgründer der seit fünf Tagen im Park erscheinenden Gezi-Post.
"Das größte Problem in diesen Tagen ist die Desinformation. Vor allem zu Beginn der Demonstrationen, tauchten ständig Falschmeldungen im Internet auf. Von wegen: die Polizei greift jetzt hier an, dort passiert jetzt das und das… Das ganze Netz war verunreinigt."'"
Emre und gut zehn andere Freiwillige gründeten daraufhin die Gezi-Post. Auch von ihnen gehen die meisten tagsüber zur Arbeit, nachts sitzen sie mit ihren Laptops im Park und schreiben Artikel. Die 5.000 Exemplare der ersten Ausgaben zahlten sie aus eigener Tasche. Wer wissen will, was im Gezi-Park los ist oder wer einfach nur zeigen will, dass er die Proteste unterstützt, der läuft dieser Tage mit einer Gezi-Post durch das Viertel rund um den Park. Emre und seine Kollegen haben die Auflage inzwischen auf 20.000 erhöht.
""Wir haben einfach überlegt, was können wir tun als nur rumzusitzen und die Barrikaden zu bewachen oder zu demonstrieren. Wir dachten, so tun wir wenigstens etwas Sinnvolles."
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