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Neue Mehrheiten im Bundesrat und die Agrarpolitik

Durch den Machtwechsel in Niedersachsen verändern sich auch die Mehrheiten im Bundesrat. Daran knüpfen Umwelt- und Verbraucherschützer hohe Erwartungen. Sie hoffen auf eine Umschichtung der Agrarsubventionen hin zu einer gezielten Förderung von Ökobetrieben.

Von Theo Geers |
    Die Erwartungen an eine jetzt wahrscheinliche rot-grüne Mehrheit im Bundesrat und – fast noch wichtiger – auch im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat sind hoch. Denn Umwelt- und Verbraucherschutzverbände haben immer beklagt, dass Schwarz-Gelb etwa in der Agrarpolitik oder beim Tierschutz zu sehr den Einflüsterungen etwa des Bauernverbandes folgt.

    "Das muss sich ändern. In den tierintensiven Regionen halten unsere Gewässer diesen intensiven Besatz nicht mehr aus und unter Tierschutzgesichtspunkten ist es schon lange überfällig, weil wir dulden Maßnahmen, die eigentlich nach Tierschutzrecht nicht mehr geduldet werden dürften. Und deshalb muss es jetzt zu Veränderungen kommen."

    Verspricht jetzt beispielsweise der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel. "NRW wird neue Machtkonstellation im Bundesrat zur Kurskorrektur nutzen" - das hatte Remmel noch am Wahlabend in Niedersachsen an seine Fan-Gemeinde getwittert. Beispiel EU-Agrarpolitik. Im Frühjahr beginnen die Verhandlungen über eine Reform, die Erwartungen dabei sind klar: Agrarsubventionen sollen umgeschichtet werden. Weg von der klassischen Förderung per Gießkanne hin zu einer gezielten Förderung von Landwirten und ländlichen Räumen, die viel stärker als bisher ökologischen Kriterien folgt, fordert nicht nur Jan Plagge, Geschäftsführer beim Anbauverband Bioland:

    "Dazu gehört die Investition in artgerechte Stallbauten bis hin zur Förderung des ökologischen Landbaus. Und den Rahmen setzen Bund und Länder zusammen, auch der Mitteleinsatz wird gemeinsam gesetzt, und all das kann jetzt mit Hilfe der rot-grünen Länder umgesetzt werden."

    Die Agrarreform wird also der zentrale Ansatzpunkt sein, bei dem das rot-grüne Lager Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner jetzt an die kurze Leine nehmen will. Das kann die Verhandlungen verzögern, Johannes Remmel schreckt das nicht – im Gegenteil:

    "Davor haben wir keine Angst, diese wichtige Frage über die Zukunft der Agrarpolitik auch im Bundestagswahlkampf zu diskutieren, um dann nach dem September mit anderen Akzenten hier zu agieren."

    Schließlich haben die Grünen auch in Niedersachsen mit ihrer Kampagne etwa gegen die Massentierhaltung gepunktet. Hier, beim Bau der großen Mastställe auf freiem Feld, der immer mehr Bürger auf die Barrikaden treibt, will Rot-Grün über den Bundesrat ebenfalls ansetzen. Nach der Novelle des Baugesetzes, die Bundesbauminister Peter Ramsauer im Juli vorstellte, wären Ställe mit 60 000 Legehennen oder 3000 Schweinen weiterhin problemlos zu bauen. Viel zu viel – sagt Johannes Remmel.

    "Wenn da schon großer Beatz ist, dann muss man auch sagen, das reicht dann, weil der Boden, die Umwelt oder das Wasser das einfach nicht mehr aushält."
    Und viel zu viel, das gilt für den nordrhein-westfälischen Umwelt- und Landwirtschaftsminister auch beim Einsatz von Antibiotika in der Tiermast. Dieser soll mit einer Reform des Arzneimittelgesetzes eigentlich gesenkt werden, doch der Gesetzentwurf von Agrarministerin Aigner würde am Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung fast alles beim alten belassen – auch hier soll die neue Mehrheit im Bundesrat Schlimmes oder Falsches verhindern:

    "Hier sehe ich einen ernsthaften Konflikt Wenn nicht klar erkennbar ist das wir wirklich von dem hohen Einsatz bei Antibiotika runter kommen, dann wird das so nicht gehen."
    Das klingt selbstbewusst, doch Jürgen Trittin, einstmals selbst Umweltminister sowohl in Niedersachsen wie im Bund, weiß auch:

    "Als alter Fahrensmann des Föderalismus und ehemaliger Bundesratsminister weiß ich allerdings, dass man sich dabei mit den Ländern durchaus Mühe geben muss, weil die durchaus ihre ganz eigenen Interessen verfolgen."
    Dennoch: Für Schwarz-Gelb wird das Regieren gegen Rot-Grün im Bundesrat faktisch unmöglich. Und diese Mehrheit bleibt auf absehbare Zeit erhalten, da Union und FDP in absehbarer Zeit keine Chance haben, die rot-grüne Mehrheit im Bundesrat wieder zu durchbrechen. Dafür müsste Schwarz-Gelb rot-grüne Landesregierungen ablösen. In Ländern, die dafür in Frage kommen, wird aber frühestens im Herbst 2014 gewählt – und dann müssten Union und FDP auch noch Länder wie Brandenburg, Hamburg oder Bremen erobern.