Instrumente stimmen - an sich ist das nicht weiter schwer.
Einfach eine Stimmgabel anschlagen, und der Musikus stimmt den Ton etwa seiner Geige darauf ab. Für gewisse Instrumente aber ist das nicht ganz so leicht.
"Wenn Sie sich ein preiswertes Stimmgerät im Musikalienhandel kaufen und damit ein Klavier stimmen würden, hört sich das am Ende so an, als wäre es verstimmt."
Das Klavier verhält sich deshalb so bockig, weil es ein besonderes Klangspektrum besitzt. Der Klang wird bestimmt durch die Obertöne, also durch höhere, den Grundton begleitende Frequenzen.
"Normalerweise sind diese Obertöne ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz", sagt Haje Hinrichsen, Professor für theoretische Physik an der Universität Würzburg.
"Beim Klavier ist das nicht so. Da gibt es kleine Korrekturen, die liegen ein bisschen daneben. Und Klavierstimmer sind in der Lage, diese Teilton-Verstimmung auszugleichen."
Neuer, ungewöhnlicher Ansatz
Nur: Dieses Ausgleichen der Oberton-Verstimmung darf nicht etwa mathematisch präzise erfolgen. Ein bisschen Verstimmung muss bleiben, nur dann nämlich klingt ein Steinway-Flügel auch wie ein Steinway. Nun gibt es zwar durchaus schon Software und spezielle Stimmgeräte, die einen Klavierstimmer bei seiner Arbeit unterstützen können. Doch Hinrichsen ist auf einen neuen, ziemlich ungewöhnlichen Ansatz gestoßen. Der Ausgangpunkt: das für seine Kinder angeschaffte Klavier.
"Ich hatte die bei Physikern übliche Neugier und habe die Frequenzen ausgemessen. Ich habe damit rumgespielt - und plötzlich kam mir die Idee, dass Entropie hier eine Rolle spielen könnte. Entropie ist ein Ordnungsmaß in der Physik - oder ein Unordnungsmaß, wenn Sie so wollen. Eine hohe Entropie steht für ein großes Durcheinander."
Bei einem verstimmten Klavier ist die Entropie messbar höher als bei einem gestimmten. Diese simple Formel hat sich Hinrichsen zunutze gemacht. Herausgekommen ist eine Software namens Entropy Piano Tuner, man kann sie kostenlos im Internet herunterladen. Zum Stimmen muss zunächst jeder Ton des Klaviers digital aufgenommen werden, etwa per Smartphone.
"Der Algorithmus funktioniert so, dass eine Taste zufällig ausgewählt wird. Dann wird der Ton - natürlich nur im Rechner - erhöht oder erniedrigt. Und wir schauen, ob die Entropie dabei ansteigt oder abnimmt. Wenn sie abnimmt, wird diese Änderung akzeptiert. Sonst wird sie verworfen."
Hat der Algorithmus eine Lösung gefunden, schlägt er dem Nutzer vor, wie er die Klaviersaite spannen sollte - etwas mehr oder etwas weniger.
"Wir haben einen Test an der Musikhochschule durchgeführt. Dort wurden zwei baugleiche Flügel aufgestellt. Einer wurde nach Gehör gestimmt, einer nach dem Verfahren. Dann mussten die Musikstudenten antreten und auf beiden Instrumenten probespielen. Das Ergebnis war, dass die Studierenden das kaum unterscheiden konnten. Allerdings konnten die erfahrenen Professoren und Berufsmusiker das schon unterscheiden und bevorzugten den nach Gehör bestimmten Flügel."
Software soll weiter verfeinert werden
Die Entropiesoftware wird also keinen Klavierstimmer arbeitslos machen, da ist sich Haje Hinrichsen sicher, denn:
"Bei Klavierstimmern ist es so, dass die auf die Bedürfnisse des Kunden eingehen und verschiedene Stimmungen produzieren können. Das kann das Gerät so ohne Weiteres natürlich nicht. Aber natürlich ist das als unterstützende Hilfe beim Stimmen nicht schlecht, und es setzt sich auch immer mehr durch. Das ist meine Beobachtung."
In der Pianisten-Szene stoße die Stimmhilfe aus Würzburg durchaus auf Wohlwollen, sagt Hinrichsen - und hat vor, seine Software künftig weiter zu verfeinern.