Eine kleine Hefezelle schwimmt in einem durchsichtigen Flüssigkeitstropfen. Von oben nähert sich eine Art Kette bestehend aus vier Würfelchen. Dann passiert etwas Verblüffendes: Als die Kette die Hefezelle erreicht, schnappt sie zu wie eine Falle: Die vier Würfel bilden so etwas wie einen Ring, die Zelle in der Mitte. Ein paar Sekunden lang steuert das Gebilde nach unten, dann schnappt die Falle wieder auf und gibt die Zelle frei. Die Macher dieses mikroskopischen Filmchens sitzen in den USA, an der North Carolina State University. Das Prinzip hinter ihrer Erfindung sei überraschend simpel, sagt Projektleiter Orlin Velev:
"Wir haben winzige Würfel aus Kunststoff hergestellt, etwa zehn Mikrometer groß. Jeweils eine der sechs Seitenflächen haben wir mit Kobalt beschichtet – ein Metall, das sich magnetisieren lässt. Wir haben also Würfel, bei denen eine Seite magnetisch wird, wenn man sie einem Magnetfeld ausgesetzt."
Ketten und komplexere Gebilde
Im Prinzip benehmen sich die Mikrowürfel wie die Elemente eines Magnetbaukastens: Man kann Ketten aus ihnen formen, aber auch komplexere Gebilde wie den kleinen Greifer für Hefezellen. Doch anders als beim Spielzeugbaukasten lässt sich der Magnetismus der Würfel gezielt verändern, und zwar durch ein äußeres Magnetfeld: Solange dieses Feld ausgeschaltet bleibt, ist die kobalthaltige Würfelseite nur schwach magnetisch. Doch schaltet man das Feld an, wird das Kobalt zusätzlich magnetisiert und damit stärker magnetisch. Die Folge:
"Indem wir das Magnetfeld ein- und ausschalten, ändern die Würfel ihre Positionen und bilden neue Muster. Gleichzeitig können wir sie mithilfe des Magnetfelds gezielt bewegen, wie etwa bei unserem kleinen Greifer. Er lässt sich auf Knopfdruck öffnen und schließen, aber auch hin- und herfahren."
Ein elektromagnetischer Flohzirkus im Miniformat. Oder wie Orlin Velev es nennt: ein Mikro-Origami.
"Dabei gehen wir von längeren Ketten aus Mikrowürfeln aus. Und abhängig davon, wie die einzelnen Mikrowürfel in dieser Kette angeordnet sind, faltet sich die Kette, wenn wir das Magnetfeld einschalten, auf eine bestimmte Weise auf. Dadurch können wir die Formen, die wir schaffen wollen, regelrecht programmieren."
Werkzeug für die Materialforschung
So wird aus einer lang gestreckten Kette aus 21 Würfelchen wie von Geisterhand eine Zickzack-Struktur. Velev und seine Kollegen nutzen ihre Würfel bereits als Werkzeug für die Materialforschung: Sie bringen sie in Gele und Flüssigkristalle ein, um deren Inneres zu biegen und zu dehnen und dadurch bestimmte Materialeigenschaften zu testen, etwa die Viskosität. Gummiartige Stoffe verändern auf Magnetbefehl sogar ihre Form, schrumpeln oder falten sich zusammen – interessant womöglich für das junge Feld der Soft Robotics. Und Orlin Velev hat noch weitere Ideen, wohin seine winzigen Magnetobots eines Tages führen könnten.
"Wir glauben, dass die nächste Stufe dieser Entwicklung Systeme sind, die autonom agieren können – also mikroskopisch kleine Roboter. Denkbar wären Mikroroboter für die Chirurgie. Oder ein Greifmechanismus, der aus vielen Zellen eine ganz bestimmte herauspicken kann."
Um solche Ziele zu erreichen, wollen die Forscher ihr Repertoire nun ergänzen – und zwar um Bausteine, die komplexer geformt sind als ein Würfel. Das nämlich würde die Möglichkeiten des winzigen Magnetbaukastens deutlich erweitern.