Musik: "asphalt" - Sonar Quartett
"Wenn die ersten Töne beginnen, packt mich die Physis der Musik. Docken direkt an die Nervenenden an. Sägezahn, Knirschen, Rattern, Glasharfe. Wischen, Kratzen, Luftlinien, und alles fügt sich, in mir ein Jubiläum. Desto mehr, je mehr ich dran bin an den Musikern, kleine Konzerte, Kammermusik ... was mich einnimmt, ist dieses Tönen, die Schwingungen selbst im Zusammenspiel, durchdringend und elementar" - so die einleitenden Worte im begleitenden Booklet von Daniel Weingarten, dem Klangregisseur dieser ungewöhnlichen Einspielung mit dem programmatischen Titel "Sonar".
Der Hörer wird mit elf weitgehend knappen Stücken konfrontiert, die mit teilweise phantasieartigen Titeln zu einer Entdeckungsreise ungewöhnlicher Streicherklänge einladen. Werktitel wie "holighar", "haarpun", "krasumov", "mystice" oder "urniel" lassen Freiraum, das Gehörte zu assoziieren oder auch nicht. Zu erleben sind teilweise unter die Haut kriechende differenzierte Klangkonstellationen, die unberechenbare Entwicklungen nehmen und das Ohr kompromisslos fordern. Diese Improvisationen wollen und können nicht nebenbei gehört werden, sondern verlangen ein bewusstes Sicheinlassen auf kleinste musikalische Prozesse, die sich aus dem unmittelbaren aufeinander Reagieren der vier Musiker ergeben, aber nicht zu erwarten sind. Schon nach wenigen Minuten fühlt man sich in einem Klangkosmos gezogen, der einen gefangen nimmt.
Musik: "asphalt" - Sonar Quartett
Neue Präsentationsform
Die 2016 entstandenen improvisationsartigen Stücke wurden in mehreren Zyklen in der Andreas-Kirche Berlin-Wannsee aufgenommen und sind das Resultat einer mehrjährigen Zusammenarbeit des Klangregisseurs Daniel Weingarten mit dem Sonar-Quartett. Aneinander gefügt sind lange Passagen. Im Gegensatz zu einer traditionellen Aufnahme fehlen hier eventuelle Schnitte und elektronische Verfremdungen. Klangschichtungen entstehen durch Variationen der Lautstärkenverhältnisse und Abstand der Musiker zu den Mikrophonen.
Erschienen ist diese bemerkenswerte Produktion beim Kölner Label "Are", einem knapp 30 Jahre alten Notenverlag, der sich anfangs auf zeitgenössische Orgelmusik spezialisiert hat. Trotz der großen Marktsättigung mit CD-Produktionen setzt der neue Verlagsinhaber Dominik Susteck neben Buch- u. Notenpublikationen jetzt auf sogenannte Interpreten-CDs, womit sich die Musiker auch im Rahmen ihrer Konzerte präsentieren können. Die vorliegende Aufnahme mit dem Sonar-Quartett ist das erste Produkt, mit dem "Are" als Label den üblichen CD-Markt erweitern will. Weitere folgen. Gezielt wird auf eine neue künstlerische Präsentationsform: Statt digitaler Studio-Distanz will man Live-Eindrücke vermitteln.
Musik: "tiefsee" - Sonar Quartett
Grenzgänger
Beim Sonar Quartett basiert die Form des Improvisierens vor allem auf der langjährigen Erfahrung beim Interpretieren zeitgenössischer Werke. Vor der Kulisse einer breit gefächerten Gattungstradition hat sich das Sonar-Quartett längst eigenes Terrain erobert. Mit gut 100 Uraufführungen können die vier Musiker als Spezialisten im Umgang mit gegenwärtigen Kompositionssprachen für ihre Formation gelten.
Im Mittelpunkt steht die Suche nach dem unerhört Neuen, vorzugsweise an neuen Spielstätten und gerne an ein neues Publikum gerichtet. Unter diesen Vorzeichen gestaltet sich der überwiegende Aktionsradius der vier Musiker. Die aktuelle Musikszene wollen sie mit Kompositionsaufträgen beleben und unentdecktes Kreativpotential aufspüren, das auch Wagnisse riskiert. Oft verlassen sie dabei bewusst die Wohlfühlzone herkömmlicher Konzertformen und arbeiten mit Künstlern der U-Musik zusammen, bevorzugt an der Grenze zwischen Konzert und Performance. Clubs, Fabrikgebäude, Galerien oder Schwimmbäder werden zu Aufführungsorten.
Musik: "haarpun" - Sonar Quartett
Das Sonar Quartett, 2006 in Berlin gegründet, musiziert nach einigen Wechseln in der aktuellen Besetzung mit Susanne Zapf und Wojciech Garbowski, Violine, Nikolaus Schlierf, Viola und Cosima Gerhardt, Violoncello.
Das Interesse der vier Musiker gilt vor allem der Musik des 21. Jahrhunderts und vergessenen Werken der frühen Moderne. Ein weiteres Augenmerk liegt im Ausprobieren neuer Aufführungskontexte. Dabei soll noch nicht Gehörtes jenseits von Kommerzialisierbarkeit in den Fokus rücken - ein Ziel, das Sonar insbesondere mit der eigenen Konzertreihe "Berlin im Quadrat" verfolgt.
Um an der Repertoirebildung der Zukunft mitzuwirken, wollen die Musiker das Publikum das auf Instrumenten maximal Mögliche erleben lassen. So finden zahlreiche aktuelle Kompositionen den Weg in eine interessierte Öffentlichkeit. Im Mittelpunkt des eigenen künstlerischen Handelns steht das Dialogische – mit Komponisten, Hörern, mit der Vergangenheit und dem Heute.
"Sonar" steht für die spanische Bezeichnung von "klingen". Zugleich steht "Sonar" aber auch für ein Verfahren zur Vermessung von Distanzen unter Wasser. Schallimpulse werden dabei in den unbekannten Raum geschickt. Ihr Echo gibt Aufschluss über Nähen und Entfernungen. So vereinen sich beide Wortbedeutungen im Profil des gleichnamigen Quartetts. Die sinnliche Ebene verbindet sich mit einer des Suchens und Forschens im noch unerschlossenen Raum, konkret in der aktuellen zeitgenössischen Musikszene. Die Kombination von subtiler Emotion und feinnerviger Experimentierlust vermittelt auch das Improvisationsstück "ulcu":
Musik: "ulcu" - Sonar Quartett
Töne pflücken
"Du darfst nichts verpassen, du wirst ganz Membran: abwarten, auf etwas warten, Ganz Erwartung sein. Erwartung, die sich auf das bezieht." Mit diesen bildhaften Wortfragmenten begleitet ein spartanisch gehaltenes Booklet, das nichts zu den Stücken vermittelt, wohl aber zur Atmosphäre ihrer Entstehung.
Das innere Gefühl beim Improvisieren beschreiben die Quartett-Mitglieder als Achse mit vier Richtungen, über die sich ein Dialog zwischen dem Denken und Empfinden des Einzelnen mit der Wahrnehmung des Spiels der Anderen spanne.
Musik: "mystice" - Sonar Quartett
Die musikalische Arbeit des Sonar Quartetts will mit der vorliegenden CD Grenzen ausloten, die sie als Klangforschung begreifen – hinein in Bereiche des Nicht-Hörbaren, Nicht–Spielbaren, des Unerträglichen, ja des emotional scheinbar nicht mehr Erfassbaren. Ihr Improvisieren vollzieht sich im Wechselspiel von Erwarten und Reagieren, von einem Hineinhören und Fühlen in das, was schon da ist und kommen wird.
In diesem Geist des vorsichtigen Ertastens haben die Musiker auch ihr Booklet zu den improvisierten Stücken gestaltet. Auf erläuternde Informationen wird verzichtet zu Gunsten einer Vermittlung von Wahrnehmungen während des Improvisierens; festgehalten in eher stimmungsvollen und atmosphärischen Satzfragmenten. Man müsse die Töne im Kopf haben, ehe sie dann beginnen, sich miteinander zu verknüpfen. "Wir versammeln uns um eine Mitte und sind gespannt, horchend, aufnahmebereit zur Wiedergabe. Wenn Du zu spät einsetzt, zerreißt es mich, wenn ich deinen Takt spüre, setzt es in mir ein, vor allem du dirigierst mich und ich dich" - so die Musiker über ihrer Suche nach dem Weg zu einem gemeinsam improvisierten Stück.
Musik: "scelsis bells" - Sonar Quartett
"SONAR"
Improvisationen
Sonar Quartett
CD ARE 7023
Improvisationen
Sonar Quartett
CD ARE 7023