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Neue Musik
Transkriptionen von Bruno Maderna und Luciano Berio

Moderne korrespondiert stets auch mit Traditionen. Dieses Verständnis haben die italienischen Avantgardisten Bruno Maderna und Luciano Berio zum Ausdruck gebracht, z.B. in Transkriptionen von Renaissancemusik. Diese Mischung zwischen Interpretation und Neu Geschaffenem präsentiert eine neue CD.

Am Mikrofon: Yvonne Petitpierre |
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    Bruno Maderna "Now, and then" (Frank Kämpfer)
    Bruno Maderna und Luciano Berio haben gemeinsam 1955 in Mailand das "Studio Fonologica Musicale" für elektronische Musik gegründet. In keinem Moment ihres Schaffens haben sie Dogmatismen und Kompositionsmustern der vielschichtig definierten Moderne gehorcht. Ihre kompositorische Kreativität galt oft bereits bestehenden Klangwelten, denen sie neue Gestalt gaben und damit neue Dimensionen der akustischen Wahrnehmung frei legten. Unter dem Titel "Now, And Then" erschien kürzlich beim Label ECM eine brillante und klanglich beeindruckende Einspielung mit Transkriptionen beider Komponisten.
    Der Blick fällt zunächst auf Bruno Maderna, der sich als Komponist vielfach zwischen Innovation und Tradition bewegt, dabei dem Gedanken seines Lehrers Gian Francesco Malipiero folgend, "dass nichts erfunden, aber vieles entdeckt werde".
    Im Dialog mit der Vergangenheit
    Maderna selbst formuliert 1973: "Ich war stets der Auffassung, dass die Musik schon vorhanden ist, dass sie immer schon da war. Auch die Musik, die ich schreibe. Man braucht nur Vertrauen, um sie um sich herum und in seinem eigenen Inneren zu hören und ihr dann in einer Partitur Gestalt zu verleihen." Seine eigenen Klangvorstellungen erwachsen aus der tiefen Kenntnis von Werken der Vergangenheit und dem jeweiligen Entstehungszusammenhang. Für Maderna bedeutet die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit keine Auflösung von Dur und Moll, vielmehr geht es um einen musikalischen Dialog. Bearbeitungen zeichnen einen großen Teil der künstlerischen Arbeit von Bruno Maderna, die immer in einem kompositorisch-interpretatorischem Prozess mündet.
    Die "Tre Pezzi" für Kammerorchester aus dem Jahr 1952 greifen zurück auf Stücke aus den "Ricercari et Canzoni franzese" von Girolamo Frescobaldi. Auf der CD dirigiert Dennis Russell Davies das Orchestra della Svizzera Italiana.
    Musik: Bruno Maderna / Girolamo Frescobaldi - "Christe und "Kyrie" aus: "Tre Pezzi"
    Originales neu ausgehört
    Die Transkriptionen von Bruno Maderna faszinieren, weil sie die motivisch-kontrapunktische Arbeit der Originalpartitur auf besondere Weise transparent werden lassen. Vervielfältigt werden einzelne Melodielinien, in neuen Kontexten erscheinen Klangfarben und dynamische Abstufungen. Hinzu kommt eine Klanglichkeit, die die räumlichen Aspekte der kompositorischen Vorlage ausleuchtet. Maderna jongliert mit dem Wechselspiel instrumentaler Halbchören oder ganzer Instrumentenfamilien, die im Orchester einander gegenübergestellt werden. So entstehen faszinierende Spannungsbögen von großer Musikalität.
    Ein charakteristisches Beispiel für Madernas interpretatorische Gestaltungskraft liefert auch die Bearbeitung für Orchester der Sonate op. 8 "La Basadonna" von Giovanni Legrenzi, gleichfalls einem Komponisten des 17. Jahrhunderts. Entstanden ist diese variierte Kammerbesetzung mit doppelten Holzbläsern, Blechbläsern und klassischem Streicherensemble im Rahmen einer Produktion des Radio Italiana 1951.
    Musik: Bruno Maderna / Giovanni Legrenzi - "La Basadonna"
    Analyse als Ausgangspunkt
    Das Zusammenführen von Vergangenheit und Gegenwart begleitet auch zahlreiche Arbeiten von Luciano Berio. Der eigentliche Vorgang des Komponierens fällt für Berio mit einer Form der "analytischen Umschrift" zusammen, denn: "Meine Transkriptionen sind stets von analytischen Erwägungen diktiert". Die Analyse ist für Berio immer Ausgangspunkt schöpferischer Erkundungen innerhalb einer Komposition. So wie jede Sprache über sich selbst reflektieren könne, kann das auch die Musik, glaubt Berio, gleichwohl es schwierig sein mag, sie in sprachlichen Begriffen zu erfassen. Zwischen 1965 und 1998 schreibt er die Serie "Chemins". Diese Stücke für Soloinstrumente und Orchesterbesetzungen entspringen in ihrer musikalischen Anlage der Serie der "Sequenza" für Soloinstrumente. Berio begreift sie als eine Vorlage, die in den "Chemins" ihre Analyse erfahren und erläutert dazu, dass diese dazu dienen können, die zeitliche Ausdehnung des Stückes zu verändern, weil das Ensemble oder Orchester den solistischen Part zuvor oder danach kommentiert. Zudem lassen sich für ihn somit Elemente aus solistischen Passagen weiterentwickeln, was mit einem einzelnen Instrument so nicht möglich sei.
    Die "Sequenza XI" für Gitarre solo erfährt ihre Analyse in den "Chemins V" für Gitarre und ein 42-köpfiges Instrumentalensemble. Den vollständigen Notentext des Solostücks übernimmt Berio hier ohne wesentliche Veränderungen. Die transkriptorische Analyse, die er an seiner eigenen Komposition vornimmt, wird aber zur Quelle für die Ableitung des musikalischen Materials, das den Orchesterpart bestimmt und prägt. So erfahren einzelne musikalische Prozesse im Dialog mit der Gitarre neue klangliche Dimensionen.
    In dieser Weltersteinspielung mit dem Gitarristen Pablo Márquez und dem Orchestra della Svizzera Italiana unter Dennis Russel Davies werden die stillen wie ekstatischen Klangphantasien Berios einfühlsam ausgeleuchtet und sorgen beim Hören für magische Momente.
    Musik: Luciano Berio - "Chemins V (su Sequenza XI)"
    Pablo Márquez war der Solist in diesem Ausschnitt aus "Chemins V" von Luciano Berio, einer eigenen kompositorischen Bearbeitung seiner "Sequenza XI" für Gitarre solo.
    Unterschiedliche Ansätze
    Bruno Maderna fokussiert für seine Bearbeitungen nicht wie Berio eigene Werke, sondern vorzugsweise Kompositionen der Barock- und Renaissancezeit und schafft dabei eine Mischung zwischen Interpretation und eigenem schöpferischen Handeln. Alte musikalische Welten gewinnen somit neue Dimensionen. Eine Form, die auch aus seinem Verständnis als Dirigent resultieren mag. Maderna zielt nicht auf Ausgrabungen oder Wiederentdeckungen, sondern möchte nach eigenen Aussagen die "musikalischen Ausgrabungen unserer Vorfahren, soweit möglich nicht unter philologischen Gesichtspunkten wiederbeleben, sondern in ihrer spirituellen Qualität, und zwar um zu zeigen, dass sie so alt gar nicht sein, denn alt sei an ihnen allenfalls eine Wahrheit".
    Die "Canzone à tre chori" aus den "Canzoni" von Giovanni Gabrieli entstehen 1972. Bezug genommen wird hier von Maderna auf den ursprünglichen musikalischen Raum Kirche und deren akustischen Bedingungen. Die einzelnen Klangräume werden ausgedeutet, indem er Klänge im groß besetzten Orchester auffächert.
    Musik: Bruno Maderna / Giovanni Gabrieli - "Canzone a tre cori"
    Besonders wertvoll ist diese CD-Neuerscheinung auch wegen ihres sehr informativen Booklets, das durch die eingespielten Transkriptionen begleitet und mit dem ästhetischen Verständnis der beiden Komponisten Berio und Maderna vertraut macht.
    Eine weitere sogenannte deutende Umschrift eines Werkes aus der Vergangenheit liefert Bruno Maderna 1952 mit seinem "Palestrina-Konzert" für Kammerorchester. Hier hat er die Transkription zu einer Vorlage vorgenommen, deren Herkunft lange Zeit unklar war. Der kanonartig ausgestaltete Satz erinnert in seiner Ausarbeitung an Palestrinas Meisterschaft und wurde lange Zeit Giovanni Battista Pergolesi zugeschrieben. Erst 1980 konnte das Werk dem Niederländer Unico Wilhelm van Wassenaer, der zwischen 1692 und 1744 lebte, zugeordnet werden. Es handelt sich dabei um die Transkription seines "Concerto armonico" in A-Dur.
    Musik: Bruno Maderna / Unico Wilhelm van Wassenaer - "Palestrinakonzert"
    NOW, AND THEN
    Bruno Maderna: Transcriptions of Frescobaldi, Legrenzi, Gabrieli, Viadana and Wassenar
    Luciano Berio: Chemins V
    Orchestra della Svizzera Italiana
    Dennis Russel Davies
    Pablo Marquez, Guitar
    ECM CD 2485, New Series 4815034, LC 02516