Sören Brinkmann: Es wird saniert in Berlin. Ein Satz, der reichlich unspektakulär klingt. Nun aber geht es an eine der Ikonen der Moderne und eines der ganz markanten Nachkriegsgebäude der Stadt: die neue Nationalgalerie in der Nähe des Potsdamer Platzes. Ein Entwurf von Mies van der Rohe. Für einige Jahre bleibt das Haus für Besucher geschlossen, doch vorher verabschiedet man sich noch spektakulär in die lange Renovierungspause. Die weltbekannte Elektropop-Gruppe Kraftwerk tritt ab heute auf, und ich spreche mit dem Leiter der Neuen Nationalgalerie, Joachim Jäger. Guten Tag nach Berlin!
Joachim Jäger: Guten Tag!
Brinkmann: Kraftwerk in der Neuen Nationalgalerie, Herr Jäger – das passt doch eigentlich gut zusammen. Das Gebäude wurde 1968 eröffnet, im selben Jahr hat auch Kraftwerk seine Ursprünge. War das für Sie ein Grund, zu sagen, das Konzert machen wir hier?
Jäger: Ja, genau das war die Idee. Wir haben ein ganzes Jahr konzipiert, ein Abschiedsjahr für dieses Haus, und wir haben Ausstellungen gemacht, die mit dem Haus ganz besonders in Beziehung stehen. Ich erinnere an Otto Piene, "More Sky", eine Diaprojektion, die der große Künstler Otto Piene in den 60er-Jahren entworfen hat und die ebenfalls eben mit diesem Zeithorizont zu tun haben. Wir haben David Chipperfield eingeladen, eine Bau- und Architekturinstallation, eine Intervention in diesen besonderen Raum der oberen Halle zu machen. Und wir haben genau, wie Sie es eben gesagt haben, genau an dieses Zeitmoment gedacht, an diese Phase zwischen 1960 und 1970, Ende der 60er-Jahre, in der eben diese Anfänge der elektronischen Musik liegen. Und wenn man an dieses Serielle dieser elektronischen Musik denkt, dann ist man eben auch nicht so weit entfernt auch von dem Raster und den sozusagen immer wieder seriellen Elementen auch dieser fantastischen Architektur hier.
Ein Museum als Bühne
Brinkmann: Von den klaren Formen, die ja aus dem Bauhaus kommen, dieser obere Teil dieser Neuen Nationalgalerie – ist es deswegen auch der richtige Ort für so ein Konzert, weil ja der obere Teil so hallenartig ist?
Jäger: Wir dachten auch ganz stark natürlich an diese Stahldecke. Dieses Stahldach war damals die größte Metallplatte, die es in ganz Europa gab. Am Boden zusammengeschweißt und hochgefahren. Es ist eben selbst auch ein Kraftwerk in gewisser Weise, das Museum, und immer noch beeindruckend auch heute noch, unter diesem Dach zu stehen. Man sieht es jetzt auch schon oben bei den Konzertaufbauten, man sieht die Bühne, und das wird, glaube ich, ab heute Abend ganz toll aussehen, dieser Futurismus, Retro-Futurismus sozusagen von Kraftwerk und diese damals doch ziemlich visionäre Architektur aus dieser frei aufgeständerten großen Metallplatte, die dieses Museum begrenzt.
Dieser Raum ist besonders, da haben Sie recht. Wir haben viele gute Ausstellungen dort gemacht, wir werden das auch weiter sich nach der Sanierung tun, aber Mies van der Rohe hat diesen Ort auch immer als eine Art von Bühne begriffen. Tatsächlich ist es ja so, dass, wenn man sich dem Museum nähert, dann geht man bereits auf die Terrasse leicht hoch und ist dann schon auf einem Plateau, auf demselben Plateau, auf dem sich auch das Museum dann befindet. Und deswegen eignet sich das auch für theatralische Formen wie eben Performances oder Konzerte auch sehr gut.
Von Kuba nach Berlin
Brinkmann: Allerdings war ja ursprünglich der Entwurf Mies van der Rohes gar nicht als Museumsentwurf geplant, sondern als Gebäude für eine Spirituosenfabrik, wenn ich das richtig weiß.
Jäger: Ja, für Bacardi in Kuba, richtig. Und das gehört natürlich auch zu den Besonderheiten oder, ja, zu den typischen Besonderheiten von Mies van der Rohe, dass er eigentlich an Lösungen immer weiter gefeilt hat. Er hat eben tatsächlich, wie Sie sagen, Mitte der 50er-Jahre als Grundentwurf für die Firma Bacardi in Kuba entwickelt, noch damals mit einem Steindach und in anderen Proportionen. Und dann kam natürlich die Revolution und Fidel Castro, und das Kapitalistische und Bacardi musste wirklich die Insel verlassen. Da half nichts, obwohl man sich am Anfang, glaube ich, sogar ganz gut verstand.
Bacardi hat sich dann woanders niedergelassen, hat weiter mit Mies van der Rohe gebaut, aber eben nicht diesen Entwurf verwendet. Und Mies hatte ihn dann noch in der Tasche und in der Schublade, als Berlin zu ihm kam nach Chicago. Es waren ja verschiedene Politiker, die ihn besuchten und gefragt haben, ob er nicht bereit wäre, für Berlin ein Gebäude zu entwerfen, und ein Museum haben sie ihm vorgeschlagen, und dann hat er sich an diesen Entwurf erinnert und ihn geändert.
Die Zeit nach der Sanierung
Brinkmann: Wo steht die Neue Nationalgalerie heute in der Berliner Museumslandschaft? Wenn sie in einigen Jahren dann wieder neu eröffnet, muss da zwangsläufig die Klassische Moderne sein? Weil das Gebäude ja eben genau dazu passt, der Bauhauszeit entspringt?
Jäger: Wäre sehr wünschenswert. Tatsächlich haben wir jetzt in drei aufeinander folgenden Sammlungspräsentationen seit dem Jahr 2008 erst die Klassische Moderne gezeigt, dann die Kunst von '45 bis '68 und bis Silvester, bis zur Schließung dieses Hauses die zeitgenössische Kunst oder zeitgenössischere Kunst von 1968 bis zum Jahr 2000. Und da wird es dann schon sehr großformatig. Man hat Filmräume, man hat Installationen, und dafür sieht man, dass das Haus nicht so ganz gedacht ist. Also, es funktioniert zum Teil ganz gut, aber noch schöner sind tatsächlich die Mittelformate und die klassischen Skulpturen der früheren Moderne, sodass es schon sehr wünschenswert wäre, mit dieser Kunst wiederzueröffnen, aber sicherlich auch in wechselnden Bespielungen.
Es wird auf jeden Fall im Untergeschoss die Sammlung zu sehen sein, im Obergeschoss, in der offenen Halle, werden sicher Projekte konzipiert werden, die ganz speziell für diesen besonderen Ort entworfen werden. Es werden Künstler eingeladen werden weiter, oder auch Architekten oder eben, wie gesagt, Tanz oder Musiker, hier an diesem Ort aufzutreten.
Brinkmann: Die Neue Nationalgalerie in Berlin verabschiedet sich in eine langjährige Sanierungspause. Ab heute tritt dort noch die Gruppe Kraftwerk auf, und darüber habe ich gesprochen mit Joachim Jäger. Vielen Dank nach Berlin!
Jäger: Vielen Dank!
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