Archiv

Neue Pink-Floyd-Box
Ausgequetscht bis zum letzten Ton

250 Millionen Tonträger und Meilensteine wie "The Wall“ oder "Shine on you crazy diamond" machen Pink Floyd zu einer der erfolgreichsten Rockbands. Doch damit nicht genug: Für das Boxset "The Early Years 1965-72" hat Schlagzeuger Nick Mason das Band-Archiv geleert. Bis zum letzten Ton.

Von Marcel Anders |
    Drei Musiker sitzen auf einer Treppe.
    Die Band Pink Floyd mit ihrem 2008 verstorbenen Keyboarder Rick Wright (l.), ganz rechts Schlagzeuger Nick Mason. (picture-alliance / dpa/Starstock/Photoshot)
    "Mit dem Archiv habe ich schon vor langer Zeit begonnen. Und zunächst ganz alleine – weil es mir eine Herzenssache war. Richtig umfangreich wurde das Ganze erst, als mir die anderen Bandmitglieder zustimmten, dass es eine gute Idee wäre und man es richtig verwalten müsse. Ich bin dann zu Apple gefahren und habe mir angeschaut, wie sie das handhaben. Es hat mich sehr beeindruckt, wie vorsichtig sie vorgehen. Und das ist ja auch wichtig. Gerade im Hinblick auf Projekte wie den Beatles-Film, den sie vor kurzem veröffentlicht haben."
    "The Early Years 1965-72", so Nick Mason, sei denn auch der große Kehraus. Einfach, weil es aus den folgenden Jahren kein unveröffentlichtes Material gebe. Aus den Anfangsjahren aber umso mehr. Und das habe man in jahrelanger Kleinstarbeit gesichtet und bearbeitet. Das Resultat: 130 Songs oder 12 Stunden und 33 Minuten Audio-Material, bestehend aus Demos, Live-Versionen und frühen Singles. Außerdem über 18 Stunden Videomaterial mit TV-Auftritten, Konzert-Impressionen und Kurzfilmen. Alles zusammengefasst auf 27 CDs, die stolze 500 Euro kosten. Und laut Mason nichts aussparen.
    Obskures aus dem ZDF
    Unter der Flut an Material findet sich auch viel Obskures und Unterhaltsames. Etwa ein Beitrag von ZDF-Aspekte, der der Band vorwirft, ihr rebellisches und subversives Momentum verloren zu haben. Dazu TV-Auftritte, bei denen sich Mastermind Syd Barrett gar nicht erst die Mühe macht, die Lippen zum Playback zu bewegen. Oder Gastspiele im französischen Beat-Club, bei denen die Bandmitglieder durch wallendes Haar, Cowboyhüte und Fellwesten glänzen – während das Publikum aus tanzenden jungen Damen in Miniröcken besteht. Bilder, von denen sich Mason – mittlerweile 72, vierfacher Familienvater und ein rundlicher, älterer Herr – äußerst amüsiert zeigt.
    "Fantastisch! Wobei ihr, die das jetzt hört, vorsichtig sein solltet, über die Leute zu lachen, die da tanzen – es könnten eure Eltern sein." Ansonsten ist es pure Nostalgie. Und bei einigen Sachen denkt man: "Wie angeberisch." Bei anderen: "Das war ziemlich gut." Und die Songs passen in die Zeit, und sind weit weniger chaotisch als ich sie in Erinnerung habe. Einfach, weil sie doch eine Struktur besaßen. Ich zögere mit dem Wort, aber sie waren durchaus musikalisch."
    Psychedelische Bewegung
    Dabei waren die Pink Floyd der späten 60er noch keine millionenschwere Rockband mit aufwändigen Konzeptalben. Das kam erst Mitte der 70er. Davor verstand man sich als reine Underground-Band, die mit Stroboskop-Licht und quadrophonischem Sound Teil der psychedelischen Bewegung sein wollte. Und auch in diesem Kontext agierte. Etwa im legendären Londoner UFO-Club, wo man Haus- und Hofband war, und täglich drei Shows spielte. Ab Mitternacht bis 6 Uhr morgens. Mit spannendem Beiprogramm.
    "Es ist eine dieser Sachen, bei der man im Nachhinein denkt: Das war bahnbrechend. Aber zu der Zeit hieß es eher: "Das ist ja ganz nett hier." Dabei ist der UFO-Club eigentlich aus einem anderen Grund interessant. Denn als wir dort spielten, drehten sich die Abende nicht nur um Pink Floyd. Es ging vielmehr um Gegenkultur - mit Lesungen, Lichtshow und kreativen exotischen Tänzern. Die Idee war "mixed media". Doch schon nach sechs Monaten wurde das Ganze zur kommerziellen Musikveranstaltung. Denn damit ließ sich Geld verdienen – aber nicht mit Gedichten und kreativen Tänzen."
    Die treibende Kraft hinter Pink Floyd war zu dieser Zeit Sänger und Gitarrist Syd Barrett. Ein Mädchenschwarm, ein Multitalent, Drogenfreak und Totalverweigerer. Jemand, der großartige Song wie "Interstellar Overdrive", "Arnold Layne", "See Emily Play" und den Löwenanteil des Band-Repertoires schrieb, aber weder mit Ruhm noch Leistungsdruck umgehen konnte. Weshalb er sich in LSD-Trips flüchtete, Konzerte platzen ließ und sich in TV-Interviews ausschwieg. Im April 1968, kurz vor dem zweiten Album "A Saucerful Of Secrets", hatten Pink Floyd genug und ersetzen ihn durch David Gilmour. Ein Schritt, den Mason bis heute bedauert.
    Syd Barret: "Ich will Künstler sein"
    "Wir wussten nicht, was wir tun sollten – und wir waren ziemlich egoistisch. Wir wollten eine Pop-Gruppe sein. Wir wollten im Fernsehen auftreten und Platten verkaufen. Doch Syd sagte: "Ich bin nicht glücklich mit diesem kommerziellen Ding. Ich will ein Künstler sein." Und er war ein toller Maler, der wunderbare Bilder schuf. Seine Grafiken waren ebenfalls Klasse. Wir haben ein paar Briefe von ihm, die er für eine seiner Freundinnen verfasst hat. Mit einer detaillierten Beschreibung unseres damaligen Vans. Und einer Zeichnung davon – also wie er von innen aussah."
    Syd Barrett (2. v. r.) mit den anderen Gründungsmitgliedern von Pink Floyd
    Syd Barrett (2. v. r.) mit den anderen Gründungsmitgliedern von Pink Floyd (picture alliance / dpa - Starstock/Photoshot)
    Die Briefe und Bilder von Syd Barett sowie Exponate vom anschließenden Aufstieg zur Supergroup der 70er sollen Gegenstand einer Ausstellung werden, die Pink Floyd im Frühjahr 2017 im Londoner Victoria & Albert Museum planen. Nach ähnlichem Muster wie die Werkschau von David Bowie, die 2015 ein Riesenerfolg war. Aber laut Mason doch mit kleinen Unterschieden.
    "Es ist weniger Material, viel weniger sogar. Einfach, weil wir keine Kostüme getragen haben. Bei uns gibt es nur ein paar T-Shirts. Weshalb wir den Schwerpunkt auf etwas anderes legen wollen. Wir denken darüber nach, zu zeigen, wie wir die Loops bei "Dark Side Of The Moon" hingekriegt haben und was wir alles in den Abbey Road Studios angestellt haben. Etwa wie es zu den Gitarrensounds kam und wie die Elektronik funktionierte. Wir wollen den Leuten demonstrieren, wie das damals war."