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Neue Pläne zu TTIP-Schiedsgerichten
"Das Ganze ist Augenwischerei"

Dem Grünen-Europapolitiker Sven Giegold gehen die angekündigten Änderungen am Freihandelsabkommen TTIP nicht weit genug. Großunternehmen aus den USA hätten auch nach einer Abschaffung der "rechtsstaatswidrigen" Schiedsgerichte im TTIP-Abkommen noch die Möglichkeit, Deutschland zu verklagen, sagte er im DLF. Denn in anderen Abkommen blieben diese Gerichte bestehen.

Sven Giegold im Gespräch mit Bastian Brandau |
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen.
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen. (imago/ Rainer Weisflog)
    Bastian Brandau: In Brüssel gab es heute Neuigkeiten zum Thema Freihandelsabkommen TTIP. Die Gegner von TTIP haben immer wieder bemängelt, dass nach dem aktuellen Entwurf Unternehmen Gewinne einklagen könnten, vor internationalen Schiedsgerichten, die intransparent und ohne Aufsicht entscheiden. Die zuständige Handelskommissarin Cecilia Malmström wollte heute einen Schritt auf ihre Kritiker zugehen.
    Zu denen, die der Kommissarin Etikettenschwindel vorwerfen, gehört auch der grüne EU-Parlamentarier Sven Giegold. Am Abend habe ich ihn in Brüssel erreicht und ihn zunächst gefragt, ob er sich über die Annäherung der Kommissarin an die TTIP-Kritiker freut.
    Sven Giegold: Zunächst mal bin ich erfreut, dass sie verstanden hat, dass es ein wirkliches Problem gibt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung und auch ein Erfolg für die Kritiker der Schiedsgerichte, die ja nun lang genug belacht worden sind. Allerdings ist das Ganze Augenwischerei, denn die Schiedsgerichte sollen in dem Kanada-Abkommen und auch in dem ausverhandelten Singapur-Abkommen bestehen bleiben, und damit hätten Großunternehmen aus Amerika zu 80 Prozent weiter die Möglichkeit, uns zu verklagen, auch wenn in TTIP auf diese rechtsstaatswidrigen Schiedsgerichte verzichtet wird.
    Brandau: Aber auch das könnte die Kommission ja einschränken?
    Giegold: Schwer! In der Substanz sind die Schiedsgerichte dann im Kanada-Abkommen vorgesehen, die sind ausverhandelt und deshalb muss das geändert werden. Das Europaparlament hat auch fraktionsübergreifend festgestellt, dass das Kanada-Abkommen nicht akzeptiert wird, wenn die Schiedsgerichte enthalten sind. Frau Malmström legt sich da nicht nur mit den Grünen an, sondern mit der Mehrheit des Parlaments.
    Entgangene Gewinne kein legitimer Klagegrund
    Brandau: Das heißt - kommen wir noch mal zu dem Vorschlag zurück -, Sie haben kein Vertrauen in die jetzt öffentlich bestellten Richter, die diesen neuen internationalen Gerichtshof bilden sollen?
    Giegold: Nein, das ist nicht mein Problem. Das müssen wir uns genau anschauen. In die Richter habe ich unter diesen Bedingungen schon grundsätzlich Vertrauen. Das Problem, was jedoch bleibt, ist, dass man sich fragen muss, ob überhaupt die Klagegründe legitim sind, denn unter deutschem bisherigen Recht gibt es unter solchen Bedingungen gar kein Klagerecht, denn Entschädigung gibt es nur für tatsächlich entstandene Verluste und niemals für entgangene Gewinne, und das Grundprinzip will sie scheinbar nicht lösen.
    Brandau: Aber auch die Möglichkeit für Investoren, vor Gerichte zu ziehen, die will die Kommission ja auch einschränken. Der Missbrauch, der ja häufig von den Gegnern angeführt wird, durch klagefreudige Unternehmen, den will Malmström auch verhindern. Auch das hat sie angekündigt.
    Giegold: Auch das ist ja erfreulich, dass das verändert werden soll. Aber ich will es noch mal wiederholen: Ein deutsches Unternehmen, das sich vom Staat ungerecht behandelt fühlt, kann natürlich klagen, hat natürlich Anspruch auf Rechtsschutz, aber nicht auf entgangene Gewinne. Eine solche Idee gibt es überhaupt nicht in deutschen Klagen und genauso ist das in den meisten europäischen Partnerländern: Diese Idee muss man grundsätzlich verwerfen und da haben wir nach wie vor keine Übereinstimmung.
    "Wir fordern, dass diese Abkommen neu verhandelt werden"
    Brandau: Das heißt, es reicht Ihnen auch nicht, wenn die Kommissarin jetzt das Recht der Staaten auf Regulierung festschreibt?
    Giegold: Nein! Das Grundprinzip, dass man vor Gerichtshöfen diese Art von Klagen führen kann, während gleichzeitig grundlegende soziale, ökologische und andere Rechte nicht in gleicher Weise erstreitbar sind, ist eine ungleiche Behandlung. Ich habe es ja gesagt: Es ist ein Schritt nach vorne, aber das Problem bleibt, dass die Schiedsgerichte damit nicht vom Tisch sind, sondern sie bleiben in zwei europäischen Handelsabkommen, wo Frau Malmström nicht dran rühren will, und gleichzeitig bleibt die fragwürdige Ausweitung von Klagegründen im Verhältnis zu dem, was wir aus guten Gründen in der sozialen Marktwirtschaft vereinbart haben in Deutschland.
    Brandau: Das heißt, Sie fordern konkret, auch noch an die Handelsabkommen mit Kanada und mit Singapur heranzugehen?
    Giegold: Wir fordern, dass diese Abkommen neu verhandelt werden, damit die Schiedsgerichte dort herauskommen. Und zum Zweiten muss Klarstellung darüber sein, dass entgangene Gewinne kein Klagegrund sind, sondern sie brauchen tatsächlich eingetroffene Schäden. So ist das normal, wenn Unternehmen Rechtsschutz verlangen, und das ist auch die richtige Balance zwischen gemeinwohlorientierter Politik und privaten Interessen.
    Bilaterale Abkommen nicht der einzig mögliche Weg
    Brandau: Aber, Herr Giegold, es spricht ja viel dafür, TTIP werden Sie letztendlich nicht verhindern können. Wäre es da nicht besser, konstruktiv an den Strukturen mitzuarbeiten und jetzt mit der Kommissarin zusammenzuarbeiten?
    Giegold: Ich bin völlig konstruktiv, und zwar konstruktiv insbesondere was das angeht, dass wir endlich die Welthandelsorganisation wieder flott bekommen. Aus meiner Sicht gibt es eine völlig falsche Grundüberlegung hier, nämlich dass die bilateralen Abkommen der einzig mögliche Weg sind. Gerade Deutschland hat aus guten Gründen immer dem Multilateralismus den Vorrang gegeben und dort stehen auch die Entwicklungsländer in einer deutlich günstigeren Verhandlungssituation. Das setzt allerdings voraus, dass wir bereit sind, einige ungerechte Privilegien infrage zu stellen. Der Hauptknackpunkt, warum wir in der WTO nicht weiterkommen, ist, dass die EU nicht bereit ist und auch die USA, die ungerechten Subventionen für eine nicht nachhaltige Landwirtschaft einzuschränken, die weltweit die Agrarpreise manipulieren und unfair gestalten. Wären wir bereit, endlich Politik im Agrarbereich so zu machen, dass wir zu multilateralen Handelsabkommen zurückfinden würden, dann wären wir einen großen Schritt vorwärts. Deshalb ist für mich die konstruktive Mitarbeit überhaupt nicht in Frage, sondern es geht darum, dass wir offene Märkte mit wirklich international auf Augenhöhe verhandelten Standards in der WTO zusammenbringen.
    Brandau: Sven Giegold war das, Grünen-Politiker und Mitglied des Europaparlaments. Herr Giegold, ich danke Ihnen ganz herzlich.
    Giegold: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.