"Open Season" – ein Song über das Problem der Waffengewalt und Polizeiübergriffe in den USA. Auf ihrem neuen Album "Murder Ballads" widmet sich die US-Musikerin Stephanie Nilles dem Genre der Schauergeschichten. "Das Konzept gefällt mir, weil Bänkelsänger ja nie von sich selbst singen, sondern aus dem Leben anderer berichten", sagt sie. Sie gibt eh ungern Details über sich preis. Und in den Murder Ballads ist das Element Spannung quasi schon eingebaut.
"Ich denke, dass alle Schauerballaden Geschichten über den Kampf zwischen Gut und Böse sind. Und meistens gewinnt das Böse. Wenn man es sich genau überlegt, geht es doch in allen Geschichten, in allen Artikeln, im Leben überhaupt um den Kampf zwischen Gut und Böse. Ich dachte, dieses Genre ist wunderbar geeignet, um über schillernde, verrückte Typen zu erzählen. Als Songwriter muss man sich da gar nicht groß anstrengen. Die Geschichten sind schon an sich interessant."
Impressionistische Stimmungsbilder von nebelverhangenen Hafenvierteln
So wie der "A To Z Blues" von Blind Willy McTell, in dem ein eifersüchtiger Liebhaber genüsslich schildert, wie er in den Körper seiner Geliebten Buchstaben ritzt – als Warnung – damit sie nur ja nicht fremdgeht. In "Expired as an old driver's Licence" erzählt Nilles die Geschichte eines Künstlers, der in den 70er-Jahren in New Orleans als Literaturheld gefeiert wurde.
"Hier geht es um den Grenzbereich zum Selbstmord. Ich singe über den Dichter Everette Maddox. Die Zeile "Expired as an old driver's Licence" stammt aus einem seiner Gedichte. Er war Alkoholiker und Dichter. Er lebte im Französischen Viertel in New Orleans und schrieb meist über seinen Alkoholmissbrauch und darüber, dass er wusste, dass er sich damit umbringen würde. Er soff trotzdem weiter. Dieser Song ist aber auch eine Art Liebeslied an New Orleans. Ich verwende hier impressionistische Stimmungsbilder von nebelverhangenen Hafenvierteln.
Zu "Bait + Switch" wurde Stephanie Nilles von der berühmten 47-Prozent-Rede des früheren Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Mitt Romney, angeregt. Er hatte sich 2012 mit der Aussage in die Nesseln gesetzt, dass die Obama-Wähler eh alle vom Wohlstandsstaat abhängige Schmarotzer seien. Stephanie Nilles, die bekennende Obama Anhängerin ist, fand das zynisch.
"Ich versetzte mich in die Warte eines potenziellen Mörders, der die Gesellschaft hasst. Ich versuchte herauszufinden: warum staut sich so viel Wut in ihm an?"
Merkwürdigerweise hatten alle Ideen, die mir kamen, diese Bezüge zum Wasser, zur Flut, zur Erderwärmung. Da war diese mulmige Stimmung, dass etwas Schlimmes passieren würde. All das tauchte plötzlich in diesem Song auf. Es machte überhaupt keinen Sinn für mich. Ich verstand den Song nicht. Einen Monat später wurden wir von Hurricane Sandy getroffen. Und das sorgte dann dafür, dass Mitt Romneys Wahlkampagne implodierte.
Viele Kollegen hätten ihr inzwischen erzählt, dass sie dieses Phänomen kennen, dass sie in ihren Songs Geschehnisse voraussagen, berichtet sie. Die 32-Jährige ist vor vielen Jahren von New York nach New Orleans umgezogen, weil es dort für Künstler angenehmer und auch billiger ist. Sie lebt in einer Wohngemeinschaft, ist aber kaum zu Hause. Um Geld zu sparen, schlief sie früher auf ihren US Tourneen häufig im eigenen Auto. Inzwischen hat sich meine Situation verbessert, sagt sie.
"In den letzten Monaten, die ich in den USA unterwegs war, war ja noch Sommer. Und ich hab jetzt endlich ein Zelt. Das hatte ich immer dabei. Von Mai an habe ich ein paar Wochen in der Wüste gezeltet und bin von meinem Campingplatz aus immer zu meinen Auftritten gefahren. Ich musste also nicht im Auto schlafen, was sehr schön war."
Stephanie Nilles würde sich nie verbiegen, um viel Geld zu verdienen. Die klassisch ausgebildete Künstlerin setzt auf Unabhängigkeit. Das hört man ihrer Musik an. "Murder Ballads" ist eine stilistisch vielfältige, schräge, amüsante, aber auch tiefgängige Songsammlung mit vielen Überraschungen.