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Neue Position
Hohe Anforderungen an Hessens Antisemitismusbeauftragten

Der Bund hat einen, Baden-Württemberg hat einen - jetzt bekommt auch Hessen einen Antisemitismusbeauftragten. Er soll den kritischen Diskurs zum Thema Antisemitismus koordinieren - und dabei auch ein Auge auf die AfD haben, die bald im hessischen Landtag sitzen könnte.

Von Ludger Fittkau |
    Ein Mann richtet seine Kippa, als er die Synagoge in Wiesbaden betritt
    Hessens Antisemitismusbeauftragter soll unter anderem Ansprechpartner für die jüdischen Gemeinden und insgesamt für die Bürger sein (Imago)
    Frankfurt am Main – Innenstadt. Die Konstablerwache und die Hauptwache sind in der Fußgängerzone beliebte Treffpunkte für junge Muslime, oft arabischer Herkunft. Es sind Orte, an denen Frankfurter Juden ihre Kippa in der Regel nicht zeigen. Das sagt Daniel Neumann, der Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen:
    "Frankfurt hat natürlich auch Probleme mit Antisemitismus. Ich kenne keinen frommen Juden, der bereit ist, bestimmte Bereiche von Frankfurt zu betreten, etwa die Konstablerwache oder die Hauptwache, und dort seine Kopfbedeckung offen zu zeigen. Sondern da wird eine Mütze drüber gesetzt, da versteckt man sich. Weil das Risiko eines Übergriffs einfach zu groß ist. Und dieses Risiko hat sich aus Erfahrung gespeist, hat sich bestärkt und gezeigt, dass dieses Risiko existiert, und deshalb geht man dieses Risiko lieber nicht ein."
    Bouffier: "Die Kippa angstfrei tragen können"
    Für den hessischen CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier ist diese Angst der Flaneure jüdischen Glaubens mitten in der Mainmetropole nicht mehr hinnehmbar:
    "Wenn Menschen ihre Kippa nicht mehr tragen können, weil sie Angst haben, dann stimmt was nicht. Es gibt Leute wie Herrn Augstein, der im Spiegel schreibt, das sei eine Provokation, wenn die ihre Kippa tragen. Ich halte das ehrlich gesagt für eine Verwirrung der Geister. Sie müssen angstfrei leben können, und dazu zählt, für gläubige und orthodoxe Juden allemal, auch das Recht und die Pflicht, die Kippa zu tragen. Und wenn sie sie tragen, müssen sie sie ohne Angst tragen können, und deshalb – das ist unser Ziel!"
    Daran soll nun wie im Bund – und im Nachbarland Baden-Württemberg - auch in Hessen erstmals ein eigener Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung mitwirken. Die Person steht noch nicht fest, soll aber bis Mitte Mai gefunden werden. Die ehemalige Frankfurter CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth, der Grünen-Politiker Cem Özdemir oder der Gießener Politologe Claus Leggewie sind prominente Persönlichkeiten, die ins Gespräch gebracht werden. Das Anforderungsprofil ist jedenfalls anspruchsvoll. Volker Bouffier:
    "Ich glaube, dass es notwendig ist, dass wir jemanden haben, der mehrere Funktionen erfüllt. Zum einen muss das jemand sein, der Ansprechpartner für die jüdischen Gemeinden ist. Es muss jemand sein, der auch insgesamt für die Bürgerschaft ansprechbar ist, und der auf der anderen Seite jetzt nicht eingebunden ist in ein bestimmtes Referat, in irgendein Ministerium, sondern der für die ganze Regierung Aufgaben wahrnimmt. Weil die Frage des Antisemitismus eine große Bedeutung hat. Im Kern ist das ja ein Angriff auf unsere freiheitlich demokratische Grundordnung."
    Junge Araber in Frankfurt und Rechtsextreme aus Nordhessen
    Dieser Angriff geht in Frankfurt am Main oder Offenbach zurzeit vor allem von jungen Muslimen arabischer Herkunft aus. In Nordhessen sind die Täter eher Rechtsextreme, das sind die Beobachtungen der Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen. Verbandsdirektor Daniel Neumann sieht aktuell vor allem im Internet den Ort, in dem Verschwörungstheorien gegen Juden verbreitet und in antisemitischen Echokammern Widerhall finden:
    "Dort gibt es klassische Stereotype gegen Juden, gegen Israel, gegen die jüdische Weltverschwörung, gegen die Ostküstenpresse, die auch die arabische Welt ins Chaos stürzen will - das ist dort unheimlich weit verbreitet. Die große Schwierigkeit ist eben, diesem Problem Herr zu werden, weil Sie auf der einen Seite die Meinungsfreiheit haben, die ein unheimlich hohes Gut ist und einen unheimlichen hohen Stellenwert auch zu Recht hat, und auf der anderen Seite eben die Grenze der strafrechtlichen Relevanz. Vieles von dem, was sich im antisemitischen, verschwörungstheoretischen Bereich bewegt, ist eben noch nicht strafrechtlich relevant. Und deshalb braucht es Gegenpositionen, deshalb braucht es kritisches Denken, deshalb braucht es im Prinzip den kritischen Diskurs, um dem Herr zu werden. Und nicht Strafrechtsgesetze."
    Diesen kritischen Diskurs soll der neue hessische Antisemitismusbeauftragte koordinieren - in Schulen, an Hochschulen, in Ministerien, im öffentlichen Raum.
    Verantwortung delegiert - Gesellschaft entlastet?
    Doch besteht nicht die Gefahr, dass mit der Einrichtung eines solchen, bisher lediglich ehrenamtlich geplanten Beauftragen sich die Gesellschaft entlastet - und die Verantwortung für die Bekämpfung des Antisemitismus quasi an eine solche Institution delegiert? Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier will verhindern, dass sich zu viel Gleichgültigkeit in der Gesellschaft breit macht:
    "Ein Beauftragter ist ja kein Ersatz für engagiertes demokratisches Handeln. Und schon gar keine Freizeichnung dafür, nach dem Motto: Jetzt haben wir da irgendeine Person, eine Institution, und damit sind wir es los. Eine lebendige, demokratische Ordnung lebt von aktiven Demokraten und nicht von Leuten, die weghören, wegsehen, sich wegducken oder einfach zu bequem sind. Und insofern muss es beides geben. Eine spezielle Aufgabenzuweisung, aber auch eine breite, gesellschaftspolitische nicht nur Debatte, sondern auch Haltung."
    Auch die AfD soll der neue Antisemitismusbeauftragte kritisch in den Blick nehmen. Denn Stand heute ist davon auszugehen, dass die Partei bei den hessischen Landtagswahlen im Herbst in den Wiesbadener Landtag einziehen wird. Aktuelle Umfragen sehen sie bei zehn Prozent. Daniel Neumann, Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen:
    "Der Antisemitismusbeauftragte hat sicherlich nicht nur einen Fokus auf bestimmte Städte und bestimmte Gesellschaftsteile, sondern der muss natürlich einen umfassenden Blick streifen lassen, und da sind auch Parteien natürlich von betroffen. Wir wissen, dass es bei der Linken mitunter ziemlich heftige Ausprägungen von Antisemitismus gibt. Und bei der AfD erleben wir die mitunter auch. Gerade in Baden-Württemberg und anderen Ländern haben wir ziemliche Ausbrüche erleben müssen. Und deshalb ist es natürlich notwendig, auch die AfD ganz besonders zu beobachten und zu schauen, wie sich da deren Weltbilder artikulieren."